Ü50 – die Vorteile

Neulich in der Stadt ging ein Mann an mir vorbei, der nach DKNY roch. Düfte lösen Erinnerungen aus, und so erwartete ich, dass ich mich sofort an der ewiggleichen, alten Gedankenkette würde entlanghangeln müssen. Dass sich mir die Frage stellen würde, warum DKNY mich zugleich anmacht und anwidert. Dass ich mich sodann an die verstörendste Liebesgeschichte meines Lebens erinnern würde – und dass ich wieder alle ihr zugehörigen Fragen über das Warum und Wozu und überhaupt würde durchdeklinieren müssen.

Aber nichts geschah. Das alles interessierte mich einfach nicht mehr.

Einsetzende Demenz? Nöö, wahrscheinlich nicht, dachte ich. Wahrscheinlich fühlt sich so die Permanenzphase an. So nennt Frank Bascombe seine Zeit als Mittfünfziger. Bascombe ist ein fiktiver Immobilienmakler, der über alles sehr gepflegt nachdenkt, während er mit dem Auto in New Jersey umherkurvt. Er ist der Held einer Romantrilogie von Richard Ford, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt. Nach Meinung von Bascombe kündigte die Permananenzphase „ein Ende des ständigen Werdens an, ein Ende der Überzeugung, dass das Leben mir ständig wunderbare Veränderungen bringen würde, auch wenn es dies gerade nicht tat. Sie kündigte einen Bruch mit der Vergangenheit an und verschaffte mir die Freiheit, nur undeutlich über sie nachzudenken.“*

Die Stelle habe ich mit Anfang 40 gelesen, und sie hat mir derart imponiert, dass sie mir in Erinnerung geblieben ist – was man vom Rest des Buches nicht behaupten kann. Ich hoffe, ich erreiche die Permanenzphase auch, wenn ich Ü50 bin, dachte ich damals. Ja, ich denke, ich habe sie erreicht. Ich denke nicht mehr jeden Tag darüber nach, wer ich bin und wer ich werden sollte, könnte oder dürfte. Ich bin, wer ich bin, und das ist jetzt erst mal ok so.

Ich wiege mich mit 56 nicht in der Illusion, dass ich unerschütterlich bin. Bei Frank Bascombe wurde die Permanenzphase jedenfalls ziemlich turbulent, daran erinnere ich mich auch noch. Aber im Moment habe ich einen Boden, auf dem ich stehe.

* Richard Ford: „The Lay of the Land“, London, Bloomsbury Paperback, 2006, S. 76. (Übersetzung von mir)

Übers Spazieren

Wenn wir nichts mehr beweisen müssen, werden wir wie unsere Urahnen: Wir streifen durch die Wälder und suchen Pfade über die Wiesen. Wir werden Wildbeuter ohne Wild, Nomaden ohne Zelte. Wir lassen uns von unseren Launen von Ort zu Ort tragen. Es hat keinen Sinn und Zweck, aber es gehört zu den Dingen, für die unsere Körper gemacht sind. Wenn wir es tun, werden wir Teil der Welt, aus der wir gefallen sind.