Gott, arabischer Pop und heisse Dessous


Strasse in der Altstadt von Aleppo in Syrien, wohl vor dem Krieg (Quelle: wikimedia.org)

Später Nachmittag, Oktober 1998. Hinter mir das Tor des Hotels. Vor mir ein Häusermeer – die Altstadt von Aleppo. Ich sah ein Strassenschild und erschrank. Es war Arabisch, das hiess für mich: vollkommen unleserlich. Ich durfte mich auf keinen Fall verirren. Einem Passanten wollte ich mich hier lieber nicht anvertrauen – die Männer hatten alle diesen schwülen Blick, sobald sie mich Westlerin sahen. Ich ging also einfach geradeaus und wurde sofort mitgerissen von einer Flut von ungewohnten Sinneseindrücken.

Da waren Gassen mit Dutzenden und Aberdutzenden von Schuh-, Möbel- und Kleiderläden. Von überall her arabische Popmusik. Kein einziger Song aus dem Westen. Schaufenster lockten mit tiefen Decolletés und opulenter Reizwäsche. „Wer trägt das alles?“ fragte ich mich – die meisten Frauen hier führten lange Mäntel und Kopftücher spazieren. Zu fromm für Spitzendessous. Dachte ich.

Sollte ich mir selber ein Kopftuch kaufen? In muslimischen Ländern sei das die beste Methode, sich vor zudringlichen Blicken zu schützen, hatte mir eine reisegewohnte Freundin versichert. Da sah ich Kreuze an einem Haus, eine christliche Kirche, unverkennbar. Vor der Tür eine Madonnenfigur in Blau und Weiss. Also doch kein Kopftuch. Wie könnte ich ein Kopftuch tragen in einer Stadt, in der es Christen gibt?

Schliesslich kam ich zum riesigen Platz unter der Zitadelle. Hier tobte der Feierabendverkehr – Dauerhupen inklusiv.

Genau in diesem Moment erhob sich die Stimme des Muezzin und füllte den Abendhimmel. Sie verkündete die Grösse Gottes. Dazu warf die Sonne ihre letzten Strahlen auf die lärmende Stadt und liess ihre Mauern in einem Rausch von roten, gelben und violetten Farbtönen untergehen. Nie werde ich diesen Moment vergessen.

Danach war es dunkel. Am Strassenrand hielten ein paar Taxis. Aus ihnen stiegen geschminkte Frauen mit offenen Haaren, spitzenverzierten Blusen und reich gemusterten Leggins. „Sind das nun die Trägerinnen der heissen Dessous?“ fragte ich mich und folgte ihnen.

Sie strömten in die Kirche, die nun mit Kerzen erleuchtet war.

Dahinter eine Gasse, die mit ihren Lichtern lockte. Es war die Gasse der Lampenhändler, in jedem Schaufenster ein Kronleuchter, hundert Lampenläden, einer heller als der andere.

Ich ging bis an ihre Ende und dann wieder zurück ins Hotel. Ich durfte mich ja nicht verirren.

2 Gedanken zu „Gott, arabischer Pop und heisse Dessous“

  1. REPLY:
    Ja, das habe ich auch gedacht, als ichs nochmals gelesen habe … Rückblickend bin ich richtig froh, dass ich das alles nicht fotografiert habe. So behält es in der Erinnerung eine mythische Grösse, die halb gelungene Fotos ständig in Frage stellen würden.

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