Wer hat Syrien zerstört?


Die Omayyaden-Moschee in der syrischen Stadt Aleppo heute (Quelle: dailymail.co.uk).

Das Internet ist voll von Bildern der zerstörten Stadt Aleppo. Es sind Horrorbilder. Die Vorstädte Ruinenwüsten; die Altstadt zerschossene Häusergerippe; die Zitadelle schwer beschädigt.

„Was sind schon alte Gemäuer?“ denkt man. „Es geht doch um Menschen.“ Nur: Die Mauern und die Menschen gehören zusammen. Ich meine: Wo sind sie hin, die Möbelhändler und Lampenhändler der Atstadt? Was ist aus ihren Familien geworden? Leben sie noch? Wo ist der Wirt mit den köstlichen Mezzes? Und das Hotel mit dem Sofa des Propheten? Steht es noch? Was machen seine dienstbaren Geister jetzt, so ohne Touristen?

Überhaupt: Wie kann so etwas passieren? Ich suche in meinem Reiseführer von anno dazumal nach Antworten. Ich lese: „Fanatismus, Intoleranz und Extremismus fällt bei den Syrern kaum auf fruchtbaren Boden. Syrien … ist ein Land religiöser und ethnische Vielfalt. Und diese Vielfalt nährte seit jeher die Toleranz.“* Ich breche in Hohngelächter aus. War der Autor blind? War das Zweckoptimismus? Oder eine Lüge? Oder ist in diesen wenigen Jahren alles anders geworden? Und wer hat die Stadt zerstört?

Nun: Es war Landesvater Baschar al Assad selber, mit freundlicher Unterstützung eines gewissen Herrn Putin. Es war die Freie Syrische Armee, die 2012 in den Strassen von Aleppo um mehr Demokratie kämpfte – man nannte es Arabischer Frühling – wisst Ihr noch? Sie bekamen Geld und Waffen von Herrn Obama und auch ein bisschen Geld von der EU. Beide Seiten haben Tod und Zerstörung über die Stadt gebracht.

Dann zerfiel die Freie Syrische Armee. Die Islamisten drängten nach. Sie meldeten stolz, auch sie hätten noch ein paar historische Gebäude in Trümmer gelegt. Heute ist Aleppo eine geteilte Stadt: Im Osten mordet der Islamische Staat, mit freundlicher Unterstützung reicher arabischer Göttis. In der Mitte hält Assad einen Korridor. Und im Westen … – ich weiss es nicht genau.

Ich sage nicht, dass der Krieg ohne die Grossmächte nicht stattgefunden hätte. In diesem Land muss es viel Hass gegeben haben, schon 1998 – auch wenn man es uns nicht gesagt hat. Aber das, was jetzt passiert, ist auch ein Stellvertreterkrieg der Grossmächte.

Das verpflichtet uns umso mehr, den Vertriebenen zu helfen.

*Marco Polo: Syrien (Autor: Peter Pfänder); Mayrs Geographischer Verlag, Ostfildern, 1997.

26 Gedanken zu „Wer hat Syrien zerstört?“

  1. REPLY:
    Vielleicht ist es für uns (oder zumindest für mich) so bestürzend, weil wir das selber nie erlebt haben. Unsere Eltern und Grosseltern haben die Zerstörung Berlins erlebt – das muss sich aus der Distanz jener, die nicht betroffen aber Zeitgenossen waren, ähnlich angefühlt haben.

  2. REPLY:
    ich erlebte es auch nie, aber ich weiß, wie wir menschen sind: auf der einen seite zerstörerisch und auf der anderen helfend und wiederherstellend. möglicherweise denke ich das manchmal von mir selbst – nur eben in einer viel kleineren dimension, aber das prinzip ist dasselbe. ich muss nicht alle gräuel persönlich erlebt haben, um sie im menschlichen kontext zu verstehen.

  3. REPLY:
    ist das eine. Und klug sind jene Menschen, die auf Grund ihres Wissens wiederherstellend handeln können und nicht „nur“ auf Grund eines direkten, persönlichen Erlebnisses!

    Aber für mich war es im konkreten Fall halt so – die ganze Sache mit Syrien geht mir auch deshalb so nah, weil ich positive Erinnerungen an das Land habe.

    Und wir aus dem Newsgeschäft wissen: Je geografisch näher eine Nachricht sich verorten lässt, desto eher wirkt sie auf die Leute. Menschenrechtsverletzungen in Eritrea? Schwierig zu erklären. Ein Unfall auf der Autobahn mit vielen Verletzten? Grosse Betroffenheit.

  4. Du weißt, warum ich bisher keine Zeit für einen Kommentar fand. Aber ich möcht mich jetzt – nach dem Nachlesen aller bisherigen Syrienbeiträge – ganz laut fürs Verfassen bedanken!

  5. REPLY:
    … ein beglückendes Wochenede!

    Und was die Beiträge über Syrien betrifft: Ja, es ist auch ein bisschen Sühne dabei. Weil ich so furchtbar unbedarft war, damals. Und weil ich sonst nicht viel tun kann. Fürs Erste jedenfalls.

    Zum Glück hat jetzt eh ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Da ist es etwas weniger bedauerlich, dass man mit so einem Blog bestenfalls ein paar Dutzend Leute erreicht.

    Es kommt dann noch mehr. Ich bin schon stark am Nachdenken.

  6. mein Name ist Oton,
    ich habe mich neu registriert, weil mich der Bericht über Syrien
    sehr fasziniert, mein hört so viel und weiß so wenig über die Zusammenhänge,
    ich hatte vor ungefähr 60 Jahren mal eine Brieffreundschaft
    mit Damaskus, da war vieles noch intakt…

    ich freue mich auf die nächste Folge
    danke
    Oton

  7. REPLY:
    Oton! Das ist natürlich ein Anstoss, weiter zu machen. Ich bin natürlich auch sehr interessiert an Kommentaren – vielleicht erinnern Sie sich noch an das eine oder andere aus den Briefen Ihres damaligen Brieffreundes.

    60 Jahre – das waren ja sehr unruhige Zeiten in Syrien – noch vor Assad!

  8. „Und diese Vielfalt nährte seit jeher die Toleranz.“ Haben wir es hier mit falsch verstandener Toleranz zu tun? Es wird Zeit, dass die westliche Wertegemeinschaft aktiver wird.

  9. REPLY:
    was der Autor des Buches, Peter Pfänder, unter „Toleranz“ verstand. Es war ja ein Reiseführer, kein philosophisches Werk 😉 Es ist aber eine Tatsache, dass Muslime und Christen in Syrien viele Jahrhunderte lang einigermassen friedlich neben einander gelebt haben.

    Aber was verstehst Du unter Toleranz?

    Und was heisst „die westliche Wertegemeinschaft“?

  10. REPLY:
    Hallo Frau Frogg,
    was ich noch weiß,
    ich war damals noch Schülerin Unterstufe,

    übrigens in einem christlichen Internat,
    die haben auch die Adressen vermittelt,
    natürlich nur männliche,
    was auch zeigt, dass Christen und Muslime nebeneinander lebten____
    politisch war ich natürlich damals noch nicht interessiert……

  11. Danke, liebe Fröschin, schon allein für diese Serie, aber auch für Ihre so spezielle im positivsten Sinn journalistische Sicht der Welt gebührt Ihnen mehr als ein Liebster Award!

  12. REPLY:
    Ja, in dem Alter war ich politisch auch noch nicht interessiert. Ich hatte mit 15 einen Brieffreund in Magdeburg, damals noch DDR. Ich erinnere mich, dass er Motorräder liebte – Welten lagen zwischen uns. Und, um ehrlich zu sein: In Briefen konnte man kaum anfangen, Unterschiede zu verstehen, geschweige denn zu benennen oder darüber zu diskutieren.

    Also, ich verstehe das richtig: Du warst in einem christlichen Mädchen-Internat. Und die Internatsleitung hat Euch Adressen von jungen christlichen Männern aus Syrien vermittelt. Das ist ja sehr apart! Und warum nur männliche? Verzeihen Sie meine Naivität. Ich bin selber katholisch erzogen, aber nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Es war eine Zeit der Öffnung.

  13. REPLY:
    Das sind herzzerreissende Videos, die da beim Link aufgehen!

    Ich bin froh zu wissen, dass Du die Texte wahrscheinlich so verstehst, wie sie gemeint sind 😉 Ist ja beim Bloggen nichts Selbstverständliches. Danke.

    Ich wünsche meinerseits viel gutes Gelingen bei Deinen Projekten mit Flüchtlingen. Ich glaube, dass ist es, was jetzt für alle am nötigsten ist: den Kontakt suchen; herausfinden, was sie brauchen; helfen, wo wir können; sie herausfinden lassen, wer wir sind; herausfinden, wer sie sind. Dann werden wir mit den Herausforderungen fertig, die uns das bringt.

  14. REPLY:
    Toleranz hat eine böse Schwester, die Gleichgültigkeit. Zur weiteren Behandlung empfehle ich die Wikipedia. Nach „Westlicher Wertegemeinschaft“ einfach mal googeln. Bringt auf jeden Fall Erkenntnisse. Lange Jahre waren die USA die Speerspitze dieses Terminus. Unter Barack Obama bin ich mir da nicht mehr so sicher …

  15. REPLY:
    eine Diskussion nicht einfach, Herr Moonbrother. Wenn ich „westliche Wertegemeinschaft“ google, bekomme ich 64700 Einträge. Die ersten drei ziehen eingangs mal in Zweifel, ob es das Besagte überhaupt gibt, um dann episch darüber zu leiern – mit sehr unterschiedlichen Stossrichtungen.

    Und wenn Syrien und uns selber auch noch Barack Obama und nebst der Toleranz auch noch ihre böse Schwester dabei haben, wird’s definitiv unübersichtlich.

    Könnten Sie mir nicht einfach sagen, was Sie sagen wollen?

  16. REPLY:
    Irgendjemand muss diesen IS-Terroristen Einhalt gebieten, meinetwegen auch Angela Merkel als Führerin eines großen europäischen Landes. Wie hier die Weltgemeinschaft zuschaut, wie Syrien vor die Hunde geht, ist doch unerträglich.

  17. REPLY:
    einig. Es ist entsetzlich zuzuschauen. Aber ich möchte nicht die westliche Kriegsherrin sein, die den Befehl zu diesem militärischen Einsatz gibt. Es sind ja nicht nur die Islamisten (die auch ich liebend gerne weghätte) an der Sache schuld. Selbst wenn der Krieg dort zu gewinnen wäre, stellen sich reihenweise Fragen, zum Beispiel: Lässt man Assad weiter regieren? Und wenn nein: Wen sonst? Der Staat muss dort nachher irgendwie wieder funktionieren, sonst passiert dasselbe wie im Irak: mehr Islamisten.

    A propos westliche Werte: Mein Lieblings-Kolumnist Daniel Binswanger schreibt heute hier: „Der Westen befindet sich im Krieg mit dem islamistischen Fundamentalismus. Wenn wir diesen Krieg gewinnen wollen, müssen wir uns mit den Opfern des Islamismus solidarisch zeigen.“

    Vielleicht ist das eine Antwort auf die Frage, was wir tun können.

  18. REPLY:
    Warum sollte Assad nicht weiter regieren? Im Irak ist die Situation durch die Abschaffung des Despoten auch nicht ruhiger geworden, wie Du selber schreibst.

  19. Nach meinem Wissen ist der Hass von Außen gekommen. Die Führer des Islamischen Staates sind Iraker z. B. auch der selbsternannte Kalif. Auch die ganzen anderen kämpfenden Islamisten stammten größtenteils aus dem Ausland wie Tschetschenien, Afghanistan, Saudi-Arabien, Europa…
    Die Menschen in Syrien sind zu Spielbällen von Akteuren außerhalb ihres Landes geworden. Sie haben ihr Schicksal schon lange nicht mehr in der Hand.

  20. REPLY:
    die Führer des Islamischen Staates sind Iraker, und viele selbst ernannte Gotteskrieger stammen aus der halben Welt, auch aus den Slums von Europa. Aber der Islamische Staat war am Anfang des Bürgerkrieges gar nicht involviert. Angefangen hat es mit dem Arabischen Frühling 2011 – als die Leute auf der Strasse mehr Redefreiheit forderten. Die Proteste eskalierten zum Krieg, noch bevor die Islamisten überhaupt da waren.

    Wirklich hässlichen Schaden hat Assad selber angerichtet. Der syrische Diktator ist vielleicht der schlimmste Kriegsverbrecher in Syrien. Hier mehr dazu. Man kann auch in der Wikipedia („Geschichte Syriens“) nachlesen, wie der Bürgerkrieg begann. Assad wird von Putin unterstützt.

    Auch die Freie Syrische Armee war nicht zimperlich, hat viel zerstört und viele Menschenleben vernichtet. Bei ihrer Unterstützung spielt der Westen eine gewisse Rolle, wobei ich trotz einigem Recherchieren nichts Genaues gerausgefunden habe.

    Fazit: Der Bürgerkrieg hatte seine Ursprünge in erheblichen Spannungen in Syrien. Viele Leute hatten genug vom Diktator. Der Bürgerkrieg begann 2011. Aleppo wurde 2012 zerstört. Der IS kam erst 2013. Aber schon vorher waren Hunderttausende auf der Flucht. Heute hat der Krieg mindestens drei Fronten. Alle drei (oder mehr) Fronten haben auch Unterstützung von aussen. Wenn es ganz dumm läuft, kann der Bürgerkrieg zum Weltkrieg werden.

    Im Bezug auf die Flüchtlinge ist das erst einmal egal, finde ich. Sie sind Opfer, sie sind geflohen, wir müssen ihnen helfen. Aber es ist wichtig, dass wir den Konflikt im Land verstehen. Dann verstehen wir auch, warum Obama und Merkel keine Truppen hinschicken.

  21. REPLY:
    ist die Vorstellung verführerisch: Es war doch alles schön ruhig da unten mit Assad. Warum kehren wir nicht einfach zurück auf Feld 1. Ich selber neigte lange Zeit zur Ansicht: Assad ist das kleinste aller möglichen Übel.

    Aber seit ich „Assad und Kriegsverbrechen“ gegoogelt habe, stehen mir die Haare zu Berge. Der Mann hat Blut an den Händen – nein, sorry. Das ist eine massive Untertreibung: Er watet bis weit über die Hüftlinie im Blut seines Volkes. Ich weiss nicht, ob es ein guter Neuanfang wäre, einfach so zu tun, als hätte er das alles nicht getan.

  22. REPLY:
    Ich bin der Überzeugung, dass unsere westlichen Wertemaßstäbe da nicht passen. Hier verweise ich gerne auf die Entwicklung im Irak, wie ja bereits schrieb 😉

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