Das Schweigen der Syrer


Assad-See: Der Teil des Euphrat, der Aleppo bis heute mit Wasser versorgt (Quelle: Wikimedia)

Am 10. Oktober 1998 zeigte uns der Reiseführer eine Sehenswürdigkeit an einem Fluss. Ich habe die Sehenswürdigkeit vergessen. Aber ich erinnere mich gut an den Fluss. Ein Rinnsal zwischen hohen Mauern. Es zog grüne Algenschlieren mit sich.

„Früher hat dieser Fluss die Grossstadt Aleppo mit Wasser versorgt“, sagte der Fremdenführer. Aber er entspringe in der Türkei. Und 1952 hätten die Türken an seinem Oberlauf einen Damm gebaut. Sie hätten den Menschen von Aleppo damit buchstäblich das Wasser abgegraben. Seither komme das Leitungswasser in Aleppo vom Euphrat, sagte er und wies mit dem Zeigefinger gen Osten, wo der grosse Strom liegt.

Aha! Das Thema Wasserstreit! Endlich! Ich hielt meine Stunde für gekommen. „Bevor wir losreisten, las ich in der Zeitung, es könnte ein Wasserkrieg zwischen den Türken und den Syrern ausbrechen“, sagte ich zum Reiseführer. „Was hat es damit auf sich?“ Die Frage hatte uns Reisende doch mit Sorge erfüllt. Endlich würden wir Antwort bekommen, dachte ich. Aber ich irrte mich. Der Reiseführer brummelte ein paar gehässige Bemerkungen über die Türken. „Die stehlen unsere Kunst“, schimpfte er. Aber er sagte nichts Bestimmtes über den angeblich drohenden Wasserkrieg.

Wusste er selber nichts? Wollte man uns Touristen nicht beunruhigen? Oder traf ich mit meiner Frage einfach auf das in Diktaturen übliche Schweigen? Letzere Frage stellte ich mir damals noch nicht. Ich war zu unbedarft.

Immerhin wusste ich, dass an der Südwestgrenze des Landes ein weiterer Konfliktherd schwelte. Bei der Einreise hatte man uns eingeschärft, das Land dort dürfe man in Syrien keinesfalls Israel nennen. Sondern nur Palästina. Die Syrer waren nicht gut auf die Israelis zu sprechen. Denn die hielten seit 1967 syrisches Gebiet besetzt – die Golanhöhen.

Was ich jetzt mit all dem sagen will? Nun, Syrien war schon damals ein Pulverfass. Es ist im Grunde nicht erstaunlich, dass es explodiert ist. Aber wie es passiert ist, hat auch mich überrascht.

Damals nahm ich das alles nicht sonderlich ernst. „Verstehe einer die Streitigkeiten der Syrer!“ dachte ich mit jener touristischen Heiterkeit, mit der Obelix jeweils sagt: „Die spinnen, die Helvetier!“ Mein Blick folgte dem Zeigefinger des Reiseführers und ging in die Ferne. Der Euphrat. Das Zweistromalnd. The Rivers of Babylon. „Fernweh erschafft immer neues Fernweh“, schrieb ich in mein Tagebuch. Ich träumte von Bagdad. Noch wusste niemand, was wenige Jahre später dort geschehen würde.

Am nächsten Tag brachen wir Richtung Osten auf: nach Palmyra.

7 Gedanken zu „Das Schweigen der Syrer“

  1. Interessant geschriebener Beitrag. Wasserstreit wird immer alles Krieg der Zukunft beschrieben. Die Chinesen bauen immer mehr Dämme an den großen Flüßen die in Tibet entspringen und die Indien und viele andere Länder mit Wasser versorgen. Auch soll das Wasser dieser Himalaya-Flüsse teilweise in trockenere chinesische Regionen umgeleitet werden. Wusste aber nicht, dass schon in den 50er Jahren so Wasser Menschen weggenommen wurde.
    Wasser ist nach meiner Meinung ein Menschenrecht und gehört wie die Luft allen Geschöpfen. Wasser sollte nicht für nationale egoistische Gründe missbraucht werden.
    Hoffe du schreibst noch etwas über Palmyra, da wurde ja auch viel zerstört.

  2. REPLY:
    … Moonbrother! Das ist eine sehr sinnvolle Ergänzung zum Text. Ich habe ja die aktuellen Bezüge der Geschichte selber nicht herausgearbeitet.

    Zur Frage, welchen Medien ich vertraue erst mal kurz und oberflächlich: Schwierige Frage. Den Informationen von westlichen Mainstream-Medien vertraue ich grundsätzlich – allerdings mit Einschränkungen:
    – Auf diese Distanz nimmt der Autor gerne ein paar Fakten und spekuliert dann auf ihrer Basis ein bisschen, was alles passieren könnte. Also: Spekulationen als solche erkennen und von den Fakten trennen. Sich nicht ins Bockshorn jagen lassen.
    – Viele Medien haben ihre eigene Ideologie (liberal oder links oder was auch immer). Wenn man weiss, in welche Richtung ein Medium tendiert, erkennt man tendenziöse Aussagen sofort und kann sie richtig einordnen.
    – Bei einer aus unserer Sicht derart verworrenen Lage ist es für ein nicht-lokales Medium schwierig, die relevaten Stories aus dem allgemeinen Chaos herauszufiltern. Meine Erfahrung schon bei einer lokalen Grossüberschwemmung: Man weiss nicht mehr recht, welches eigentlich die wichtigste Story ist. Da kann man auf Korrespondenten hoffen, die trotz vielen Bäumen den Wald noch sehen.

    Sorry, der kulturflaneur drängt zum Aufbruch … muss gehen!

  3. REPLY:
    … eine Leserreise der Zeitung, für die ich arbeitete. Das sind so die kleinen Privilegien, die man als Zeitungsredaktorin ab und zu bekommt. Damals hat mir das aber wenig Spass gemacht. Erst heute wird mir bewusst, was für eine aussergewöhnliche Reise das war.

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