Dienstbarer Geist in Damaskus

Auf dem Soukh von Damaskus, 15. Oktober 1998

Das Bild bringt auf den Punkt, wie sich die Stadt Damaskus damals anfühlte: ein bisschen westlich. Oder sie versuchte wenigstens, es zu sein, für die Touristen – oft mit fast schon parodistischer Unbeholfenheit. Denn Damaskus war zuallerserst eine Stadt im Orient, viel mehr als Aleppo. Was man auf dem Bild nicht sieht: Es war eine riesige Stadt, „ein Drittweltmoloch“, schrieb ich ungnädig in mein Tagebuch; eine Stadt, die unter ihrem ungeheuren Alter zu ächzen schien.

Wir Touristen waren in einem Viersternhotel untergebracht – wir sollten im Dschungel der Grossstadt einen Rückzogsort mit westlichem Standard haben. Schon bald zeigte sich jedoch, dass dieser Plan nicht aufging. Bei der Ankunft begrüsste man uns mit einem Geschenk – einer lokaltypischen Dose mit Intarsienarbeiten (Bild unten). Massenware, dachte ich und legte sie auf ein Tischchen. Dann ging ich duschen.

Die Handtücher im Bad waren weiss – auf den ersten Blick. Bei näherem Hinsehen sah man sandbraune Krusten zwischen den Frotteemaschen. Man konnte die Tücher beinahe hinstellen, so steif waren sie. Sie kratzten beim Abtrocknen.

Wir blieben nur eine Nacht. Am nächsten Morgen trat ich mit gepacktem Koffer auf den Korridor und erblickte vis à vis die offene Tür einer Wäschekammer. Sie war voller unbeschreiblich schmutziger Wäsche. Und, weiss Gott, ich bin puncto Hygiene nicht pringelig. Aber selbst ich sah, dass auch dem Korridor eine reinigende Hand gutgetan hätte. Ich schluckte leer, schloss mein Zimmer ab und ging zum Lift. Auf dem Weg begegnete ich einem Mann mit knittriger Livree und geöltem Schnurrbart. Wie ein Gespenst irrlichterte er durch den Korridor. War er betrunken? „Er sieht jedenfalls nicht aus, als ob er demnächst zum Besen greifen würde“, dachte ich.

Kaum hatte ich den Liftknopf gedrückt, tippte mich jemand auf die Schulter. Es war der Mann mit dem geölten Schnurrbart. Mit einer schiefen Verbeugung überreichte er mir meine Intarsien-Dose. Ich hatte sie im Hotelzimmer vergessen. Mir wurde leicht übel. Diese merkwürdige Gestalt verfügte also über einen Schlüssel zu meinem Zimmer – er hätte mich jederzeit im Schlaf überraschen können. Er krächzte etwas auf Arabisch. Ich fragte nach, bis ich es verstanden hatte: „Bakschisch, bakschisch!“ Er wollte wahrscheinlich ein Trinkgeld.


Ungefähr so sah die Dose aus, die man uns im Hotel gab. Ich habe sie heute noch (Quelle: hanaweb.de).

8 Gedanken zu „Dienstbarer Geist in Damaskus“

  1. was Du uns mit dieser Geschichte erzählen willst, frau frogg. Ich dachte, Du befürwortest, dass wir die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten hier willkommen heissen. Da solltest Du die Syrer aber nicht so negativ darstellen!

  2. REPLY:
    Ich finde es toll, dass Sie die Geschichte erzählt haben. Denn die befremdende Andersartigkeit orientalischer Zustände schafft man nicht durch Beschönigen, Nicht-wahr-haben-wollen oder schlichtweg Leugnen aus der Welt. Ich lese sowas sogar gern, weil es mich daran erinnert, dass unsere Lebensweise keineswegs die einzig selbstverständliche auf der Welt ist. (Allerdings gibt es sicher in jedem Hotel der Welt jem., der Zutritt zu allen Zimmern hat oder haben kann. Und hier – stelle ich mir vor – mag das Anliegen wohl gewesen sein, dem Zimmerbewohner bei der Abreise noch eine Hilfestellung anzubieten, um ihm ein Trinkgeld zu entlocken.)

  3. REPLY:
    Hilfestellung stimmte wohl. Damals hat mich das doch sehr irritiert – ich war furchtbar unwissend. Heute wäre ich wohl weniger ungnädig.

  4. REPLY:
    Solche ungnädigen Reaktionen kenne ich aber auch von mir selbst sehr gut. Sie dienen einzig und allein dem Selbstschutz und haben nichts mit Diskriminierung zu tun. Mittlerweile habe ich sie durch eine gleichgültig-desinteressierte Haltung ersetzt. Hilft auch im Inland.

  5. REPLY:
    ganz mit Ihnen, bei der desinteressierten Haltung – vor allem im Inland. Sich aufs Wesentliche konzentrieren, sich mit dem eigenen Kram beschäftigen, stoisch bleiben.

    Bei Reisenden erwarte ich da aber doch eine gewisse Offenheit für die Umwelt. Man reist ja nicht aus Narzismus, sondern aus Interesse an dem, was einem da draussen begegnen wird. Wer sich nicht für die Welt interessiert, sollte zu Hause bleiben, denke ich manchmal, wenn ich die selbstgefälligen Touristen bei uns am Quai sehe. Auf meiner Syrien-Reise bin ich aber meinem eigenen Ideal nur sehr in Ansätzen gerecht geworden. Aber ich hole jetzt auf 😉

  6. REPLY:
    Na ja, wer ist schon ideal … Ansätze sind schon mal
    sehr gut, Aufholen preisverdächtig und das Ideal zu realisieren überirdisch!

  7. REPLY:
    ja nur diese eine Begegnung als negativ dar. Ich habe mir dieselbe Frage aber auch gestellt. Soll ich diese Geschichte überhaupt erzählen? Ist sie für die gegenwärtige Lage relevant? Ich habe mich dann dafür entschlossen, weil sie mir in so lebhafter Erinnerung geblieben ist. Wenn ich sie nicht erzählt hätte, dann wären mir diese ganzen Reisememoiren als nicht wahrhaftig vorgekommen.

    Kommt noch dazu, dass die ganze Szene so etwas Apokalyptisches hatte: dieser Dreck, diese gespenstische Gestalt. Hier schien sich alles, was für mich in dieser Stadt für den Westen, für meine Wohlfühl-Zone stand, in Auflösung zu befinden. Ich spielte mit dem Gedanken, die Szene als Sinnbild für einen Staat dazustellen (oder es zumindest zu versuchen), der sich auflösen wird. Aber das schien mir den doch zu anmassend.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert