Mit den Augen eines Mannes

Die junge Amerikanerin Adelle Waldman tut etwas, was bisher nur sehr selten gemacht wurde: Sie erzählt einen ganzen Roman aus der Perspektive eines Mannes. Das Buch sorgte in den USA für eine kleine literarische Sensation. „Kann die Autorin glaubwürdig das Innenleben eines Mannes zeigen?“ lautete die – meist unausgesprochene – Frage.

Nun, das kann ich nicht beurteilen. Ich bin ja kein Mann.

Waldmann wagt aber den Blick in die Psyche eines Männertyps, den jede westliche Frau irgendwann kennengelernt hat: Sie flirtet mit ihm, geht mit ihm aus, er umwirbt sie. Seit der Erfindung der Pille geht man auch zusammen ins Bett, zunächst ohne Erwartungen. Dann verliebt sie sich in ihn, signalisiert den Wunsch nach Verbindlichkeit und er … bekommt kalte Füsse und ruft nicht mehr an. Nathaniel, kurz Nate, der Held dieses Buches, macht das gleich mehrmals. Meine Mutter hätte ihn einen Schwerenöter genannt. Welche schweren Nöte so einer überhaupt durchmacht, erörtert Waldman sehr ausführlich.

Das könnte man sich ja getrost sparen, wenn die Autorin dazu nicht eine wohl zeittypische Zuspitzung der Problematik aufzeigen würde. Nate’s Freundinnen, sind alle gebildete, erwachsene Frauen aus der New Yorker Oberschicht. Wenn er sie verlässt, sind sie verletzt und gedemüdigt. Klar. Und nun verlangen sie Trost und Verständnis – und zwar von Nate. Sie erwarten, dass man mit ihm über das alles diskutieren kann. Dass er eingesteht, dass er ein bindungsscheuer Holzklotz ist. Hallo?! „Lass das! Hab ein bisschen Stolz!“ hätte meine Mutter zu mir gesagt.

Ich weiss nicht, weshalb mir bei der Lektüre dieses Buches ständig meine Mutter eingefallen ist. Vielleicht, weil sie mich damals mit ihren Ratschlägen genau vor solchen Verletzungen schützen wollte. Natürlich konnte sie es nicht – und ihre Regeln fand ich beknackt. Aber ich hielt mich an sie (meistens), und sie verhinderten wenigstens, dass der Täter das Messer in meinem Herzen noch x-mal umdrehte.

Jetzt könnte ich selber die Mutter einer solchen jungen Frau sein (die gibt’s nicht nur in New York). Jetzt sitze ich da und schüttle den Kopf darüber, dass alle Privilegien, alle Emanzipation und alle technischen Gadgets jungen Frauen offenbar nicht mehr Selbstvertrauen und Lebensklugheit gebracht haben. Sondern nur mehr unrealistische Erwartungen.

Ja, bei der Diskussion über dieses Buch kommt man schnell weg vom Roman, hin zum Stoff. Alle sagen, es sei ein gutes Buch. Keiner sagt, warum. Es sind zwei Dinge, die ich daran brilliant finde:

1) Die Präzision, mit der Waldman durch die Augen von Nate die Frauen in New York beschreibt.

2) Es gehört zu den Grundregeln des modernen Romans, dass sich die Hauptfiguren darin verändern. Nate selber verändert sich tatsächlich, wenn auch nur ein bisschen. Viel mehr aber wandeln sich Nate’s Freundinnen – jedenfalls in seiner Wahrnehmung, und nur durch die lernen wir diese Frauen ja kennen. Erst findet er eine nicht so toll, dann plötzlich hübsch – und süss. Und klug. Und dann wird sie in seiner Wahrnehmung plötzlich schwach, bedürftig und noch unattraktiver als zuvor. Sie zerfällt geradezu. Und dann sieht er an einer Party in einer Ecke eine andere und findet sie, naja, nicht so toll. Es ist grossartig und sehr satirisch, wie Waldman das macht.

4 Gedanken zu „Mit den Augen eines Mannes“

  1. Ich habe vor ca. 15 Jahren im Brish Council eine Lesung von Norman Rush miterlebt. Es ging um das Buch „Mating“, in dem er als Mann in der Ich-Form als Frau schreibt.
    Seine Frau war anwesend und wurde befragt, ob Norman plausible und glaubhaft als Frau schreiben konnte. Sie meinte, dass in dem ganzen Roman (mehr als 400 Seiten) nur zwei Stellen wären, in denen man den Mann als Autor vermuten könne.
    Man sollte also meinen können, dass eine Frau auch das Umgekehrt machen könnte.
    Ich selbst glaube nicht, dass eine Frau ein Buch schreiben könnte, in dem ich mich als Mann wiederfinden kann. Und umgekehrt könnte ich auch nicht als Frau schreiben. Frauen sind so unterschieden, selbst wenn sie männliche Berufe haben.
    Allerdings möchte ich hiermit keine Wertung ausdrücken.
    Einfach unterschiedlich …

  2. REPLY:
    … aus der Perspektive von Frauen ganze Romane schreiben, kommt ja relativ oft vor. Gustave Flaubert zum Beispiel schrieb „Madame Bovary“ ganz aus der Perspektive besagter Emma Bovary. Ich habe den Roman mit 19 gelesen und fand das damals sehr authentisch.

    Von Norman Rush habe ich leider nie etwas gelesen. Auf Google sieht er aus wie ein spät geborener Ernest Hemingway – mitsamt Bart. Ob prädestiniert ihn auf den ersten Blick nicht gerade zur Schöpfung einer Frauenfigur. Und die Frau des Autors würde ich in diesem Zusammenhang nicht unbedingt als glaubwürdige Zeugin betrachten. Schliesslich trägt die Kredibilität ihres Mannes zum Haushaltseinkommen bei 😉 Aber ich kann mich natürlich irren.

    Dass es wenige Frauenromane mit Männer-Hauptfiguren gibt, hat dagegen mit der Geschichte der Frauen-Literatur zu tun: In den achtziger Jahren hiess es, Männerphantasien über Frauen habe es in der Literatur nun genug gegeben – nun müsse Frauenliteratur endlich die Erfahrung von Frauen adäquat abbilden. Erst in den neunziger Jahren kam dann Judith Butler, erklärte die Kategorie Geschlecht rundweg für inexistent und forderte das ungehemmte Spiel mit Geschlechterrollen.

    Interessanterweise beruft sich Waldman aber nicht auf Butler. Die Figuren im Roman diskutieren ja ständig über Literatur, und so hat sie eine Gelegenheit ihre Paten zu erwähnen, darunter explizit Flaubert. Und George Eliot, eine der ersten weiblichen Autoren im englischen Sprachraum – damit sie ernst genommen wurde, schrieb sie unter einem männlichen Pseudonym. Sie hiess in Wirklichkeit Mary Anne Evans.

    Aber um eine Antwort auf ihre These zu geben, dass Männer und Frauen zu verschieden seien für so etwas: Doch, ich glaube das geht – beim Schreiben schafft man ja immer Figuren, die über einen selber hinausgehen. Man setzt sie zusammen, aus dem, was man weiss und aus dem, was man sieht.

  3. REPLY:
    Ich vermute aber, dass das, was man weiss und was man sieht, nicht ausreicht, eine Person im Inneren zu erfassen.

    Die Frau des Autors, ich kann mich nicht mehr erinnern, was sie gemacht hat, schien sehr objektiv zu sein. Da würde ich mich ja echt wundern, wenn eine Frau der anderen Objektivität abspricht 🙂

  4. REPLY:
    gegen die Frau. Sie ist loyal zu ihrem Mann und sah dabei auch noch kompetent und objektiv aus – alle Achtung!

    Aber ich werde bei Gelegenheit nochmals einen Blick in Flaubert werfen. Mal schauen, ob ich heute noch finde, dass er es gekonnt hat.

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