Das neue Heidi


Heidi, Alp-Öhi und Geissenpeter in der Heidi-Verfilmung 2015

Carina (10) wollte den neuen Heidi-Film sehen. Ich seufzte. Mir war nicht so nach dem Heidi. Ich bin mit Heidi-Büchern aufgewachsen, mit Heidi-Trickfilmen am Fernsehen (oder war es die Biene Maja?), später kamen das Heidiland als Tourismus-Destination und Heidi-Milch und Heidi-Käse in der Migros dazu. Und sowieso ist mir seit den letzten Wahlen nicht so nach Alpen-Verherrlichung. Die kippt bei uns ja nur zu schnell ins Heimattümelnde.

Aber Carina ist mein Patenkind, ich sehe sie nur zwei- oder dreimal im Jahr – was will man machen?! Ich bestellte Heidi-Billette und ging mit ihr ins Kino. Im Saal neben dem neuen Heidi läuft auch grad noch der neue Schellenursli. So drängelten an diesem grauen Nachmittag Scharen von Familien in die Säle. An der Bar beim Kino wäre im Kampf um Cappuccinos und Coca Colas beinahe das Faustrecht ausgebrochen.

Für den Film aber erwärmte ich mich wider Erwarten sofort. Das neue Heidi lächelt bei jeder Einstellung so spontan, so herzig in die Kamera, dass man gar nicht anders kann. Und überhaupt … hier die Besprechung der NZZ, die mir ganz aus dem Herzen spricht.

Weniger spontan war Carina. Ganz blasiert sass sie in ihrem Kinostuhl. Meine beiden Nichten können so vornehm gelangweilt aussehen, dass mir bei ihrem Anblick manchmal ganz bänglich wird. Erst in der Pause war ich mir sicher, dass Carina mit ihrer Tussen-Pose nur ihre Schüchternheit kaschiert hatte – denn jetzt musste sie sofort das Verhalten von Tante Dete aufs Tapet bringen. „Als die das Heidi mit nach Frankfurt nimmt, sagt sie doch: ‚Wenn es Dir dort nicht gefällt, dann kannst Du jederzeit wieder heim in die Berge.‘ Aber das ist doch gar nicht wahr!“ Wir sind uns sofort einig, dass Tante Dete das Heidi fadengerade angelogen hat – und von da weg ist das Eis zwischen uns gebrochen.

Ich muss später noch lange über diese Tante Dete nachdenken. War sie nun eine böse Figur, weil sie das Waisenkind Heidi erst einfach bei seinem ruppigen Grossvater abliefert und es dann nach Frankfurt … entführt? Ja, sie entführt es, und später verkauft sie es sogar an eine reiche Familie, man kann es nicht anders sagen. Heute wäre so etwas ein Fall für die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb – Gott bewahre! Und für die Gerichte.

Oder war Tante Dete eine gute Figur, weil das Heidi dank ihr nach Frankfurt kam und dort doch endlich lesen lernte?

9 Gedanken zu „Das neue Heidi“

  1. Ich wollte als Kind „Heidi“ gerne auswendig lernen. Bis Seite zwei bin ich gekommen.
    Tante Dete war mir immer abgrundtief unsympathisch.

  2. REPLY:
    weiter gekommen als ich! Ich mochte die Geschichte als Kind auch – hab sie mindestens dreimal gelesen. Ich meine mich zu erinnern, dass Tante Dete im Original von Anfang der Bösewicht in der Story war.

    Im Film oszilliert die Figur merkwürdig. „Es geht einfach nicht mehr“, sagt sie, als sie Heidi auf die Alp bringt. Sie habe vier Jahre für das Kind gesorgt, und man nimmt ihr zunächst ab, dass sie einfach am Limit ist als allein erziehende Frau eines Kindes, das noch nicht mal ihr eigenes ist. Als sie dann aber kommt, Heidi unter falschem Vorwand vom Alp-Öhi weglockt und in Frankfurt richtiggehend verhökert (und sich dann nie mehr blicken lässt), sieht man sie dann auch rückblickend anders. Sie ist eigentlich diejenige Figur, die im Film am meisten Fragen aufwirft, daher so spannend.

  3. Interessant, wie schlecht die Tante Dete wegkommt. Ich habe den Film noch nicht gesehen und will ihn mir vor allem wegen Bruno Gans anschauen.
    Ich habe Heidi mit Vergnuegen gelesen. Es gibt Stellen daraus, die ich immer wieder gelesen habe.
    Doch Dete habe ich offensichtlich damals total verdraengt. Ich habe es nicht einmal als Abschiebung empfunden, als sie Heide beim Alm-Oehi abgeliefert hat. Ich hatte im „frauenblatt“ soviele Fortsetzungsromane mit dem Problem der ledigen Muetter gelesen, dass wir die Belastung einer alleinstehenden Frau durchaus plausibel erschien. Dass sie das Kind nach Frankfurt verkauft hat, ist mir so gar nicht in Erinnerung. Es wird aber wohl stimmen und nur an meiner positiven Einstellung liegen, dass ich solche Informationen gerne verdraenge.
    Aber ganz fantastisch fand ich die Szene, wie sie in Frankfurt ausreisst, weil sie einem Eindruck aus den Alpen nachzulaufen scheint.
    Und selbst als kleiner Bub konnte ich mich besser mit dem Grossvater als mit dem Ziegenpeter identifizieren 🙂

  4. Heute wäre so etwas ein Fall für die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb – Gott bewahre! Und für die Gerichte.

    Ganz sicher sogar, liebe Frau Frogg. Und die Heldin meiner Kindheitsträume, Pippilotta Viktualia Rollgardina Schokominza Efraimstochter Langstrumpf, würde von einer zugeschalteten Familienhelferin Ritalin verabreicht bekommen. Um das Zuviel an Energie zu entschleunigen, die Persönlichkeit um ihre Ecken und Kanten zu schleifen, damit sie in ein kleines, perfekt handhabbares Schublädchen passt.

    Dabei war sie doch mein imaginärer Strohhalm, der mich an starke, kleine Mädchen und meine, eigene, lebens-rettende Kraft glauben ließ. Rückblickend haben sich einige Schatten der Kindheit als recht erhellende Irrlichter entpuppt. Auf der anderen Seite bin ich eben diesen Antagonisten dankbar, dafür, dass sie mich bis an den Abgrund tauchen ließen und dadurch verhalfen, Schwächen in Stärken zu wandeln, die zu werden, die ich bin und meine Interpretation der Pippilotta zu inkarnieren. Tante Dete hieß bei Pippi übrigens Frollein Prusselise, ebenfalls eine hinterhältige Spaßbremse.

    Hach, ich mag Ihre anregenden Gedanken so sehr, liebe Frau Frogg. Aber das ist Ihnen ja nicht unbekannt. 😉

  5. REPLY:
    macht seine Sache wirklich gut. Mir ist die Wandelbarkeit dieses Schauspielers erst in „Heidi“ richtig bewusst geworden – obwohl ich ihn schon als brüllenden Hitler und als Frauen verstehenden Kellner in Venedig („Brot und Tulpen“) gesehen habe. Das wirft einzig die Frage auf, woher dieser sonst so melancholische Mann plötzlich dieses warme Alpöhi-Lächeln nimmt.

    Die Tante Dete hatte ich vage als Bösewicht der Story in Erinnerung – die Tragweite ihres Verhaltens ist mir aber erst im Film bewusst geworden. Es kann durchaus sein, dass auch im Buch ihre Notlage als Alleinerziehende deutlich wurde.

    Schön, diese Heidi-Erinnerungen hier! Es ist wirklich spannend zu sehen, wie unterschiedlich Menschen Bücher lesen und erinnern!

  6. mir ging´s wie herrn steppenhund. die dete hab ich komplett vergessen, ich kann mich auch nur mehr an den öhi, den peter, die klara und ihre großmama erinnern. und vor allem, wie leid mir die klara immer getan hat, das heidi dagegen überhaupt nicht;-)

  7. REPLY:
    … ich hatte die Tante Dete auch nicht sooo präsent. Aber ich wusste, dass sie mir schon begegnet ist (und dass ich mich schon als Kind gefragt habe, wie sie mit vollem Namen hiess – wenn Heidi schon die Kurzform von Adelheit ist, dann muss Dete auch so etwas sein. Bernadette vielleicht? Oder hatte sie einen jener alten Namen, die so völlig aus unserem Bewusstsein verschwunden sind.

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