Die neue Sucht


Mein bisher erfolgreichstes Bild auf Instagram

Vor einigen Monaten eignete sich Herr T. eine merkwürdige Gewohnheit an. Schon früh morgens lag er im Bett und starrte auf sein Handy. „Was machst Du denn?!“ fragte ich. „Instagram“, antwortete er einsilbig. Eine Zeitlang versuchte er mich für die Bildchenfluten zu begeistern, die über sein Handy flackerten. Aber ich lächelte nur – zunächst liebevoll desinteressiert. Später wurde mein Lächeln etwas gereizt. Ich bemerkte, dass er abends wegen Instagram sogar unseren Lieblingskrimi, den Bestatter, verschmähte. Und dass man ihm in den Skiferien gut zureden musste, damit er endlich das Handy wegsteckte und sich auf die Piste machte.

Am letzten Samstag bekam ich selber ein neues Handy. Ich muss hier anmerken, dass mich Handys bislang wenig interessiert haben. Für SMS unentbehrlich – aber sonst?! Nö, nicht nötig. Doch jetzt bekam ich ein richtig schönes Teil – und Herr T. installierte mir einen tauglichen Internet-Zugang und ein paar Apps. „Soll ich Dir Instagram installieren?“ fragte er. Ich schüttelte den Kopf.

Aber ich mochte das Handy. Die psychedelischen Farben auf dem Display. Das Format. Ich streichelte es oft. Am Montagmorgen machte ich mein erstes Bild damit.


Die Wildnis auf meinem Arbeitsweg

Am Mittag schaute ich das Bild nochmals an. Und dann wieder. Noch nie hatte ein Medium das glücksverheissende Leuchten an einem blassblauen Vorfrühlingshimmel so gut wiedergegeben. Schien mir. Kann man so einem Handy-Bildschirm süchtig machende Farbpixel mitgeben? Am Montagabend installierte Herr T. Instagram für mich.

Schon am Dienstagmorgen sah ich die Welt in quadratischen Bildausschnitten. Am Dienstagabend lud ich mein drittes Bildchen hoch. Und dann musste ich anderer Leute Bildchen anschauen. Viele. Ständig. Sie wirbeln an meinen Augen vorbei und fiepen vielstimmig auf mich ein – in einer Grammatik, die ich noch nicht wirklich verstehe. Herr T. sass neben mir schaute gelassen den Bestatter.

„Sag mal, wie bist Du eigentlich diese Instagram-Sucht wieder losgeworden?“ fragte ich. Herr T. lächelte: „Ich habe sie einfach weitergegeben.“

5 Gedanken zu „Die neue Sucht“

  1. Ich selbst habe Instagram nicht installiert. Meine Erinnerungen gehen noch den Weg über das normale Kamerafoto, den Upload in den Rechner und dort über die Verwendung in Facebook. Im Prinzip läuft das aber auf das Gleiche hinaus.
    Ohne zu werten, sehe ich eine Gefahr: es handelt sich um den Verlust von nmemotechnischen Fertigkeiten.
    Gestern sprach ich mit meiner Frau von meiner Unfähigkeit, mir meine Passnummer zu merken. Jedesmal, wenn ich sie verwenden muss, – und das ist doch ein bis zweimal im Monat – muss ich nachsehen.
    Mit Telefonnummern bestätigen ja viele bereits ein ähnliches Phänomen.
    Was das Gedächtnis in Bezug auf Bilder verlieren könnte, kann ich für meine Person so darstellen. Bilder können für mich sehr intensiv mit Gerüchen oder mit Musik verbunden sein. In den meisten Fällen, aber nicht immer, sind das Erinnerungen, die sehr früh geprägt wurden.
    Ich stelle auch fest, dass ich den Unterschied zwischen einer Fotografie und einem Bild sehr, sehr deutlich anhand einer Malerei von Vincent van Gogh feststellen konnte.
    https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_works_by_Vincent_van_Gogh#/media/File:Van_Gogh_-_Fischerboote_am_Strand_von_Saintes-Maries1.jpeg
    Es ging um dieses oder ein ähnliches Bild. VvG hat Fischerboote ja mehrfach gemalt.
    Ich kannte das Bild vom Aussstellungsplakat und war völlig erstaunt, als ich das Orignal sah. Plötzlich leuchteten die Farben und strahlten.
    Zu dem dargestellten Bild aus dem Posting kann ich sagen: ich trage solche Bilder in meiner Erinnerung. Sie sind mit Spaziergängen verbunden. Manchmal bin ich an einen Ort gegangen, um zu sehen, ob mich meine Erinnerung nicht trügt.

    Ich gestehe aber, dass Bilder von Personen sicher eine andere Rechtfertigung haben. Menschen verändern sich stetig. Wenn man einen Moment des Glücks einfangen kann, ist auch das Hilfsmittel dazu ein gutes.

  2. REPLY:
    Nicht einmal auf Glanzpapier leuchtet es so wie im Original. Ich war damals (vor drei Jahren) sagenhaft erstaunt. Ich hätte das nicht für möglich gehalten.
    Dabei hätte ich das wissen können. Mein Vater bekam einmal zwei Bildbände über die österreichische Nationalgallerie geschenkt. (Kunsthistorisches Museum) Ich sah manche Bilder später im Original. Doch nie war der Unterschied so groß wie bei van Gogh.

  3. REPLY:
    das einem dieses Leuchten bereiten kann, ja lange Zeit unterschätzt. Es kann mit dem Glück, Musik zu hören, durchaus mithalten. Beinahe jedenfalls (für mich – aber das hat wohl damit zu tun, dass Musik hören können für mich ein knappes Gut geworden ist, während ich Farben überall sehe. Zurzeit viel bewusster und intensiver.

  4. Ich habe mich absichtlich nicht bei Facebook angemeldet.
    Von Instagram habe ich bisher immer nur den Namen wahrgenommen, und dass es dabei wohl um Fotos geht. Mehr weiss ich nicht darüber. Nun bin ich aber neugierig.

  5. REPLY:
    Herr Lo! Merkwürdige Dinge warten auf einen in dieser Welt der Bilderfluten 😉

    Unterdessen habe ich herausgefunden, dass man beim Fotografieren die Geo-Tags herausnehmen kann. Dann wird man zwar wohl immer noch ständig von Google verfolgt. Aber es kann nicht jeder gleich nachschauen, wo man das Bild gemacht hat.

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