Düster, düster

Die Weltlage ist ungemütlich, auch in unserem kleinen Europa. Seit der Brexit-Abstimmung ist der Zerfall der Europäischen Union in den Bereich des Möglichen gerückt. Der Klimawandel schickt schon mal seine Regenfluten voraus. Und wenn man gewissen Experten glauben will, hat die so genannte Flüchtlingskrise eben erst begonnen.

Früher, denken, früher war alles besser. Wir hatten Gewissheiten: Die EU wird weiter wachsen. Wir werden immer einen Job haben (wenn wir uns nicht zu blöd anstellen), und für unsere Kinder wird alles gut. Und das mit dem Klimawandel: Naja, das sagt man uns seit dreissig Jahren. Aber wir wären ja blöd gewesen, wenn wir deswegen auf’s Fliegen verzichtet hätten. Alle anderen haben das schliesslich auch nicht getan.

Ja, eben. Dieses Horrorszenario kennen wir seit zwanzig Jahren. Überhaupt gab es eigentlich immer jede Menge Schrecknisse am Horizont. Wer sich nicht daran erinnert, verklärt die Vergangenheit. Meine Mutter hat einmal gesagt: „Als du zwei Jahre alt warst, hatten wir den Sechstagekrieg. Wir hatten schon Angst, dass daraus ein Weltkrieg wird. Und du warst doch noch so klein.“ Meine Mutter war nicht mit der Gewissheit geboren, dass es nie wieder Krieg geben wird. Sie hat Jahrgang 1942. Aber wer erinnert sich hier in der Gegend heute noch an den Sechstagekrieg?

Bis zu meinem 24. Lebensjahr war sowieso Kalter Krieg mit allem, dazugehörte: Atombomben, Stellvertreterkriege in Vietnam und Afghanistan, dem bösen Kommunismus. Wer damals in die Kristallkugel blickte, sah nichts als Tod, Zerstörung und Knechtschaft.

Als ich 16 war, kam die Horrorvision vom Waldsterben. Ich erinnere mich noch gut, wie ich als junges Mädchen in unserer Gegend durch den Wald fuhr und die Abgas-Schäden zu sehen versuchte.

Als junge Menschen liebten wir es, nach ein paar Gläschen Wein richtige Horrorszenarien auszumalen. Eines Abends im Jahre 1991 sassen wir in einem Industrievorort meiner Stadt. Wir begannen aufzuzählen, welche Fabriken verkauft worden waren, welche Leute entlassen hatten und welche demnächst schliessen würden. Es drohte Massenarbeitslosigkeit. Wie sollte das herauskommen? Was würde aus all diesen Leuten werden?

Aber die entlassenen Büezer fanden irgendwo wieder Arbeit. Gegen das Waldsterben erfand man den Katalysator. Und der Kommunismus brach eines Tages einfach in sich zusammen.

Ich will nicht sagen, dass wir diesmal auch so glimpflich davonkommen. Ich sage nur: Früher gab es auch Horrorszenarien. Nicht alle sind Realität geworden.

Mein Beitrag zum siebten Wort von Dominik Leitners famosem Projekt *txt. Das Wort heisst „verklären“.

6 Gedanken zu „Düster, düster“

  1. Ich kann mich erinnern, dass hier einmal eine Diskussion über 15 Minuten Verspätung bei einer Fahrt Mailand-Zürich geführt wurde. Damals gab es die Aussage, dass die Schweizer keine Verspätung bei der Eisenbahn gewöhnt sind. (Was ich auch durchaus begreifen kann, nachdem ich später einen Vortrag von der Chefin des Personalverkehrs der SBB gehört hatte.)
    Umso überraschter war ich, dass die S-Bahn S3 von Dornach-Arlesheim nach Basel zwei (ZWEI) Minuten Verspätung hatte.
    Ts, ts, ts …
    Aber sonst war alles eine fantastische Schweizer Reise zum und von Goetheanum in Dornach. Ganz toll Faust 1 und Faust 2.

  2. ja, alles stirbt. die frage ist nur, wie.
    als menschen könnten wir es uns angenehmer machen.
    irgendwas hindert uns dran.
    der knackpunkt ist, glaube ich, dass wir unserer verlorenheit
    bewusst sind.
    was schwer auszuhalten ist.
    naheliegend ist unsere flucht in den verdammten materialismus
    oder in das reich der fiktionen, der ideologien
    und religionen
    wir brauchen das scheiß feindbild, um uns am leben zu halten
    wir brauchen kampf, krieg und katastrophen, weil uns sonst die langeweile
    erdrücken würde
    die wahrheit ist, dass wir idioten sind
    dass wir nicht mit uns selbst klar kommen

  3. REPLY:
    … @steppenhund Ja, das ist ein schöner Ort – und die Theaterproduktion des Goetheanums bestimmt ganz aussergewöhnlich.

    Zwei Minuten Verspätung. T t t, kann ich da nur sagen!

  4. REPLY:
    Danke für den Zuspruch – auf den hatte ich gehofft. Schreiben macht ja mehr Freude, wenn man auch gelesen wird. Ich komme wieder, ich versprech’s – allerdings muss ich gestehen, dass mich zurzeit zwei Aufgaben mit so viel Beschlag belegen, dass ich mich im Moment schwerlich aufs Schreiben konzentrieren kann.

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