In den letzten Tagen habe ich meinen Estrich aufgeräumt. Ich entsorgte meine sämtlichen Schulhefte und Berge von Karton. Dann fand ich eine grosse Plastiktüte mit Fragmenten eines Romans. Das Manuskript ist gewiss 15 Zentimeter dick, lauter A4-Blätter, eng mit Schreibmaschine beschrieben, praktisch ohne Ränder. Die erotischen Verwirrungen eines Teenagers, kein Mensch wird das je lesen wollen. Nicht einmal ich wollte es mehr lesen.
So, wie ich dieses Manuskript verfasst habe, habe ich immer geschrieben. Anfallsweise. Stossweise. Reichlich. Ich habe auch reichlich gebloggt. „Wer ein geheimes Selbst hat, neigt oft zum Schreiben, um ihm Ausdruck zu verschaffen“, habe ich kürzlich in irgendeinem Hochglanzmagazin gelesen. Ich wollte nicht den ganzen Artikel dazu lesen, er schien mir trivial. Aber dieser eine Satz blieb mir hängen. Ich muss ein sehr opulentes geheimes Selbst gehabt haben.
Ich schreibe „gehabt“, denn in letzter Zeit ist mir nicht mehr so ums Schreiben. Es liegt daran, dass ich mittlerweile weiss: Wenn ich noch etwas Publizierbares auf die Reihe kriegen will, muss ich sehr hart arbeiten – wahrscheinlich härter als es meine Kräfte erlauben. Die Malaise rund ums Bloggen kennt ihr ja alle. Und mit dem Journalismus ist es bei mir auch vorbei.
So drücke ich mich ums Schreiben. Ich komme aus der Übung. Sogar meine Tagebücher bleiben leer. Ich tue statt dessen Dinge, die ich früher nie getan habe. Meinen Estrich aufräumen zum Beispiel. Das ist durchaus sinnvoll. Aber ich fühle mich dabei doch ein bisschen wie in einer Beschäftigungstherapie. Ich versuche mir vorzustellen, wer ich bin, wenn ich nicht mehr schreibe. Dann sehe ich eine ganz gewöhnliche Frau mittleren Alters vor mir. Es ist gewiss nichts Ehrenrühriges daran, eine ganz gewöhnliche Frau mittleren Alters zu sein. Und doch fühle ich mich dabei, als hätte man mir etwas amputiert. Wahrscheinlich mein geheimes Selbst.
Um ehrlich zu sein: Ich weiss nicht, wie ich weitermachen soll. Ich wünschte, jemand würde es mir sagen. Ich habe es nicht einmal fertig gebracht, mein altes Romanmanuskript zu entsorgen.
ich würde es auch nicht entsorgen. schließlich hast du damals sehr viel energie/leidenschaft hineingesteckt. vielleicht überkommt es dich irgendwann, darin zu lesen… zumindest ausschnitte.
den ehrgeiz auf publikation gab ich mit den jahren (fast vollständig) auf. aber die leidenschaft zum schreiben blieb erhalten. natürlich ist sie nicht zu allen zeiten gleich groß.
das schreiben (in den foren) und auf den blogs bietet mir ausreichend plattform. ja, manchmal wünsche ich mir auch etwas mehr, zumal die luft hier auf twoday immer dünner wird.
wer weiß, wie es mit dem schreiben weitergeht…
Oje……
Wir kenen uns ja nicht persönlich, insofern halte ich mich mit einem Rat zurück. Vermutlich, und das hoffe ich für Dich (und für das Manuskript), ist es nur so eine Phase.
Vielleicht Erschöpfung, vielleicht Ablenkung durch andere gewichtige Ereignisse, die einfach unbemerkt Deine Aufmerksamkeit stehlen und das Aufraffen für das, was Du „eigentlich“ tun wolltest, schwerer macht oder gar unmöglich erscheinen lässt.
Ich bin seit dem Jahreswechsel nun nicht mehr selbständig berufstätig und habe mir zuvor vorgenommen, dann auch endlich mehr zu schreiben, zu malen, Podcasts aufzunehmen…
Ach ja: auch endlci einmal meinen Aktenschrank von allerlei angesammeltem Krimskrams zu befreien, das wollte ich auch…
Nun ist der April vorbei, und ich habe trotz der vielen freien Zeit nur wenig davon auf den Weg gebracht.
Ich hoffe aber, das wird schon wieder.
Dir wünsche ich es auch.
Alle guten Wünsche – auch an den Flaneur 😉
Lo
Danke für Eure verständnisvollen Kommentare. Fühle mich in meiner ganzen Ratlosigkeit sehr gut verstanden von Euch. Warte jetzt einfach mal ein bisschen zu: Kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht lese ich einfach mal ein bisschen mehr, auch bei Euch 🙂
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… die Grüsse bestellten – und wünsche weiterhin eine gute berufsfreie Zeit. Man muss ja nicht immer gleich alles wieder mit Aktivitäten vollstopfen und Planziele erreichen.
Ohne dass ich Sie, Frau Frogg, zu irgend etwas drängen möchte, muss ich doch sagen, dass Ihre Texte oft ein gewisses Etwas haben, das berührt. Ist es das Persönliche, das darin lebt, ohne dass es peinlich und zur Nabelschau wird? Ist es die Gabe der genauen (Selbst-)Beobachtung? Oder die Poesie, die immer wieder unverhofft durch das Alltäglichste hervorglitzert? Ohne Zweifel haben Sie Talent. Die Texte lesen sich leicht, auch wenn sie inhaltlich durchaus eine gewisse Schwere haben können. Man liest sie gerne.
Seit meiner Jugend, die jetzt doch schon etwas zurückliegt, setze ich mich – vielleicht wie Sie – hautnah mit dem Schreiben auseinander, manchmal – eher selten – lustvoll, oft genug auch zweifelnd, mutlos, ja verzagt. Trotzdem kann ich es nicht lassen. Das Schreiben ist mir ein Lebensgefühl, eine Lebensform geworden, ohne dass ich allerdings – und zum Glück – davon leben muss. Am besten gelingt es mir, wenn ich mich ambitionslos der Freude am sprachlichen Ausdruck hingeben kann. Der Zensor und der Korrektor kommen erst später zum Einsatz. Manchmal muss ich die beiden richtiggehend überlisten. Schreiben ist ein seelischer Vorgang, ja ein seelischer Balanceakt, bei dem das Produkt, der Text, nur eines von mehreren Zielen sein kann. Allein schon die Fokussierung der Gedanken auf den entstehenden Text ist eine Art Meditation, die auf die Dauer ihre gesundende Wirkung entfaltet. Oder man schreibt über ein Thema – oder über etwas, das einen umtreibt (Tagebuch) – und findet dabei meist mehr Klarheit als zuvor. Ein kleines Wunder. Und mit etwas Talent und Übung kommt, gleichsam als Nebenprodukt, noch ein lesbarer, berührender, womöglich gar erschütternder Text dabei heraus.
So, das wäre mein Werbeblock fürs Schreiben gewesen.
Viel Freude beim … – nun ja, bei was auch immer!
Herzlich – Walter B
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Dieser „Werbeblock“ wäre schon das Einrahmen wert….
Toll, diese Beschreibung der Vorgänge im Inneren,
die das Schreiben bewirkten kann.
Lo
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Vielen herzlichen Dank für Deinen Werbeblock, der auch eine sehr schöne Darstellung von dem ist, was Schreiben für einen selber sein kann! Es freut mich sehr, dass Du so gerne bei mir liest (dieses „liest“ setze ich nun ganz bewusst ins Präsens, ich wollte eigentlich schreiben „gelesen hast“).
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klar. diese inneren kämpfe ficht jeder für sich aus.
man kann sich oft selbst nicht erklären, warum es so ist, und muss da einfach durch.
das schreiben erfüllt so viele aspekte…, da wäre es schade, wenn man es ganz sein ließe. es tut mir jedesmal sehr leid, wenn sich ein blogger (aus welchen gründen auch immer) verabschiedet, zumal wenn ich seine beiträge gern las. die soziale komponente spielt hier eben auch eine große rolle…
ja, durch das lesen kann man frisch zum (kreativen) schreiben inspiriert werden.
ich wünsche dir alles gute!
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Ja, da ist der Schreibeprozess sehr schön beschrieben. Aber ich selbst erlebe da gerade eine Sperre. Mein Buch beschäftigt mich. Ich denke viel darüber nach und manchmal wirkt es noch in den Träumen nach. Aber zum Schreiben kann ich mich nicht aufraffen, weil ich noch mit der Konstruktion hadere. Ursprünglich hatte ich gedacht, dass ich mit einem Protagonisten auskomme. Doch dann habe ich erkannt, dass ich einen Zeitverlauf, der über mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Generationen, beschreiben muss. Und damit sind einige der Texte, die ich schon hatte, (200 Seiten) komplett zu überarbeiten.
Dafür habe ich meine wesentliche Knackpunkte mittlerweile einigermaßen im Griff. Naja …
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für mich würde ich es als glück bezeichnen, dass ich nicht vom schreiben leben muss. dadurch genieße ich viel mehr freiheit… und spüre nur den eigenen druck, den ich mir mitunter mache, wenn ich an was schreibe/dichte.
ich weiß aber, dass viele menschen, die hinsichtlich einer gesellschaftlichen reputation wesentlich ehrgeiziger sind, die also die dinge, welche sie mit leidenschaft betreiben, auch durch eine größere öffentlichkeit und anerkennung wertgeschätzt wissen wollen, dann schneller in ein „schreibloch“ fallen können, wenn diese erwartete wertschätzung nicht in ihrem sinne ausfällt.
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Na für die Wertschätzung schreibe ich nicht. Aber ich habe einen Ex-Chef, der mich regelmäßig antreibt. Auf meine Facebook-Geschichte hat er nur geantwortet: Ceterum censeo: Ich will Dein Buch lesen – wenn das so weitergeht, schreib ich eine ganze Bibliothek mit Fachbüchern voll, bevor ich das mal zum Lesen bekomme:)
Die Geschichte findet sich außer auf FB auch auf meiner privaten Homepage. „Die Realität, ein Traum“.
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Da bringst Du mich auf einen guten Gedanken! Ich habe in letzter Zeit öfter gesagt: „Das Schreibenwollen ist doch ein Fluch.“ Aber wahrscheinlich ist nicht das Schreibenwollen der Fluch, sondern der Ehrgeiz, dafür Anerkennung bekommen zu wollen. Ich sollte das Ganze vielleicht mal unter diesem Aspekt betrachten.
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Oh, Du schreibst also unterdessen auf FB. Das ist mir irgendwie durch die Lappen gegangen – ich hatte in letzter Zeit ein paarmal Deinen WordPress-Blog aufgesucht und dort nichts Neues gefunden. Auf FB bin ich eher selten. Aber das kann man ja mal ändern um zu schauen, was der Herr so macht. Jedenfalls herzliche Grüsse nach Wien!
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eigentlich ganz normal, dass wir menschen etwas wertschätzung erfahren wollen… eben auch bei so (nebensächlichen) dingen wie dem schreiben.
in der kunst ist es mit dem erfolg wie beim lottospielen. wer gar nicht spielt, kann auch nie gewinnen. um so mehr man spielt, desto besser stehen die chancen – aber man sollte deswegen keinen gewinn erwarten…
man kann natürlich auch lottoscheine ausfüllen, und sie gar nicht abgeben. ja, ich glaube, das ist es. man muss verdammt noch mal lernen, sich selbst zu genügen.