Hair

Neulich habe ich „Hair“ wieder mal gesehen. Etwas angejahrte Kinofreaks erinnern sich: Das war dieser US-Streifen, der um das Jahr 1980 in die europäischen Kinos kam. Er zelebrierte das Hippie-Leben und die Widerstand gegen den Vietnam-Krieg.


Rebellisch: Treat Williams als Hippie John Berger

Hier geht’s zum Trailer.

Ich muss damals um die 15 oder 16 gewesen sein, und für uns junge Kleinstadtfreaks war der Film ein absolutes Must. Damals war ich ja noch ein schwärmerischer Teenager. Aber auch schon eine junge Frau, die ein gewisses Unbehagen über die herrschenden Verhältnisse spürte.

Als ich ihn jetzt wieder sah, habe ich zuerst mich ein wenig fremdgeschämt für die junge Frau Frogg. Denn im Grunde lebten wir damals schon nicht mehr in der grossen Zeit des Flower Power. Die kommende kulturelle Leitfigur war auch bei uns nicht der Hippie, sondern der Yuppie – ein junger Mensch, für den ein Leben in Freiheit vor allem bedeutet, dass er Geld mit beiden Händen zum Fenster hinauswerfen kann. Wir Kleinstadtfreaks aber träumten immer noch davon, mit Konventionen zu brechen und im Jeansgilet auf den Tischen der Bourgeoisie zu Rockmusik zu tanzen.

Nun gut, für meine männlichen Kollegen hatte die Rebellion immerhin noch einen sehr realen Hintergrund. Für sie galt es, die Fesseln des helvetischen Militarismus abzuwerfen. Es war Kalter Krieg und allgemeine Wehrpflicht – und viele wollten nicht ins Militär. Einfach, weil sie keinen Sinn darin sahen. Sie konnten Identifikationsfiguren gebrauchen – es war damals noch nicht so leicht wegzukommen. Viele mussten ins Gefängnis oder sich für psychisch labil erklären lassen. Was damals noch viel beschämender war als heute.

Als Mädchen bekam ich das nur aus zweiter Hand mit und war froh, fein raus zu sein.

Was mich dann aber wirklich mit der jungen Frau Frogg und den Hippies im Film versöhnte, war ihre anarchische Haltung zum Geld. Meistens haben sie keines, und das ist auch ok so. Gut, meine Filmhelden standen nicht darüber, mal ihre Eltern um grössere Summen anzupumpen oder ein Auto auf nicht ganz legale Weise mitgehen zu lassen. Aber dem Geld nachzujagen, damit zu protzen und es auszugeben, ist nicht ihr primäres Ziel. Eigentlich edel.

Eigentlich wünschte ich mir, der Yuppie hätte den Hippie als kulturelle Leitfigur damals nicht so gänzlich verdrängt.

15 Gedanken zu „Hair“

  1. REPLY:
    … schaurig, wie er das Flugzeug verpasst. Quel horreur!!!

    Und, ja, es gibt eine erstaunlich freizügige Szene mit einem fast nackten upper class girl nachts am Teich im Central Park.

  2. hair
    deswegen habe ich meine haare ganz lang wachsen lassen und irgendwie hat mich der film so geprägt, dass ich immer noch ganz lange haare habe. und öfter noch trällere ich an einem schönen morgen: good mornig sunshine, the earth says hello…….
    näm mich ja wunder, wie der film heute auf mich wirkt….
    vielleicht ist es besser, man sieht solche filme nicht noch mal.

  3. REPLY:
    … einen leicht zynischen Sinn für Happy Ends, Herr Steppenhund. Statt Claude Bukowski (der ja die ganze Sache mitmachen wollte und nur für einen Nachmittag blau machte) geht der Hippie John Berger in den Krieg (der Bukowski vorübergehend als Soldat vertreten hat). Glück für Bukowski, aber er wird wohl ein Leben lang Gewissensbisse haben, denn von Berger bleibt am Ende des Films nur ein Grabstein übrig.

  4. REPLY:
    Schön! Doch, ich fand’s auch schön, ihn nochmals zu sehen. Wegen der Nostalgie. Und weil man ein bisschen drüber lächeln kann, was aus einem geworden ist.

  5. REPLY:
    Mein Name ist Hans Zyni Hartmann 🙂

    Zur Erklärung: ein Spruch, den ich (selbst als Agnostiker) sehr schätze: Der Mensch denkt und Gott lenkt. Oder noch etwas härter: Wenn ein Mensch plant, dann lacht Gott.

    Ich finde das die Pointe in dem Film, dass die „Wunschrollen“ vertauscht sind.

    Übrigens habe ich gestern drei Folgen in arte über den Vietnamkrieg gesehen. Aus der geschichtlichen Distanz betrachtet, sieht die Sache noch gruseliger aus. Zuerst nur Fliegerangriffe, dann erstmalig Bodentruppenkontingente. Startet mit 3000, gefolgt von 10000, 20000, 200000 … Aber die Serie ist noch nicht zu Ende. Es handelt sich um eine sehr seriöse Dokumentation. (Regie Ken Burns)
    Es kommen auch nordvietnamesische Befehlshaber zu Wort. Eigentlich gleichen sich ihre Aussagen mit denen der Amerikaner, die nachträglich, sehr sehr betroffen agieren. Nordvietnamesischer Kommentar: es war erstaunlich, wie sich die Amerikaner um die gefallenen Kameraden angenommen und geweint haben, die Erschütterung war fühlbar. Da habe ich gesehen, dass die Amerikaner auch menschlich sind. (Betonung auf „auch“.)

  6. Auch ein Film/Musical aus meiner Teeniezeit. Ich fand es damals genial und hatte das Glück die originale Broadway Version sehen zu dürfen. Hair bleibt für mich bis heute Kult.

  7. Unvergesslich bis heute der Ohrwurm-Hit der Fifth Dimension, ein Medley zweier Nummern aus dem Musical:


    (Treat Williams, der als „Hair“-Protagonist zur Hippie-Ikone avancierte, nahm ich später nur mehr einmal als Bösewicht-Nebendarsteller in „Vertrauter Feind“ wahr. Tatsächlich aber wirkte er seither, wie googeln ergab, in mehr als 100 Filmproduktionen mit. Ein fescher Mann noch immer, auch mit Haarschnitt.)

  8. REPLY:
    … der Dokumentation habe ich gestern auch noch gesehen. Finde sie auch sehr gut gemacht. Geht einem sehr nahe. Ruft uns vom Frieden verwöhnten Menschen in Erinnerung, was Krieg für eine grauenhafte Sache ist.

    Dass Held Berger in Vietnam sterben musste, ist tatsächlich ein grausamer Scherz – aber es macht die Antikriges-Botschaft des Films tatsächlich viel eindringlicher.

  9. REPLY:
    dass mein jugendliches Interesse natürlich Treat Williams in einem hohen Masse galt. Es ging mir genau wie Ihnen, Herr nömix. Ich habe auch nur noch in irgendeiner Nebenrolle gesehen – und dann anlässlich dieses Beitrags auf imdb.com nachgeschaut. Und siehe da: Der Mann hatte immer zu tun – wenn auch eher in Action-Streifen als als Friedens-Aktivist.

  10. REPLY:
    … hätte ich auch gerne mal gesehen. Ich hatte mal die Platte, ein Geschenk von meiner Grossmutter aus dem Fundus meines Onkels. Der Onkel wollte sie dann aber irgendwann wieder. Das sei eine Kapitalanlage, sagte er. Mein Onkel war ein Yuppie vor der Zeit.

  11. bist du ein yuppie geworden?

    der rebell in mir war schon lebendig, als ich noch nichts von den 68ern wusste, weil ich zu klein war.
    später dann waren es vor allem die auflehnung gegen die spießige elterngeneration, der wunsch nach freiheit und die damalige rockmusikkultur… eigentlich bis heute. mit den yuppies hatte ich nie was am hut. ich fand es enttäuschend und beschämend, dass nicht wenige der „hippies“, die ein wenig meine vorbilder waren, zu „yuppies“ wurden. für die war die damalige rebellion offenbar nur ein spiel und eine mode. viele nannten das auch „erwachsen werden“. sieht also so aus, als wäre ich bis heute nicht erwachsen geworden.
    das musical „hair“ war nicht so mein ding – das roch mir schon zu sehr nach kommerz und mode.

  12. REPLY:
    … ein Yuppie geworden. Selbst wenn ich gewollt hätte – ich hatte zu wenig Geld. Geld haben war nie meine erste Priorität. Ich habe meinen Kollegen, die Yuppies geworden sind, immer misstraut. Diese Wichtigtuerei, weil es ihnen gelungen ist, das System für sich selber spielen zu lassen. Erst gestern hat ein alter Freund zu mir gesagt: „Margaret Thatcher hat mir die Augen geöffnet. Sie hat eine Gesellschaft geschaffen, in der nur das Geld zählt. Da wusste ich, dass ich reich werden musste.“ Er sagte das ganz sachlich, eigentlich geradezu zynisch. Er IST auch reich, er hat viel geerbt (und klug investiert, wie er gerne erzählt). Aber diese Haltung finde ich irgendwie genau so wenig erwachsen.

  13. REPLY:
    es ist das credo unserer leistungsgesellschaft, dass man es zu was bringen muss im leben, ansonsten gilt man als versager… gegen diese art von ellenbogenkultur lehnte ich mich immer auf. der kapitalismus treibt dies nur auf die spitze. die wurzeln dieses denkens liegen tiefer.
    erfolg und macht machen sexy – wahrscheinlich ist es das, was reizt. unter allen lebewesen läuft es ähnlich: es ist ein ständiges für sich werben, um sich gegen gen-rivalen durchzusetzen. humanität und soziales gewissen sind bei diesem „rennen“ untergeordnete werte.
    da ich mich selbst zu den versagern zähle, wünsche ich mir natürlich, dass mit unsereins pfleglich umgegangen wird. ich kam ohne diesen durchsetzungsdrang auf die welt, der für karriere und erfolg unabdingbar ist. mir fehlt der ehrgeiz – ich bin ein schwarzes schaf, ein hoffnungsloser fall, ein tagträumer und tunichgut. nicht mal zum richtigen „hippie“ reichte es.

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