Spendensammler

Am Anfang der Hertensteinstrasse stehen die Spendensammler der NGOs. Ihr wisst schon: WWF, Amnesty International, pro natura und wie sie alle heissen. Der Platz ist ideal, um Leute anzusprechen: Wer von Osten her in die Altstadt will, muss hier vorbei, und das sind täglich helle Scharen. Ich passiere die Stelle mindestens zweimal wöchentlich.

Am Montag waren die von Amnesty International dort. Ich versuchte, unbeachtet an ihnen vorbeizukommen. Ich meine, nichts gegen Amnesty International, ich finde es heldenhaft was diese Leute tun. Ich spende an sich auch gerne Geld, allerrdings eher an Behindertenorganisationen (das liegt mir nahe) und an das Internationale Rote Kreuz, für die syrischen Flüchtlinge. Ich mag mir im Moment nicht so recht überlegen, ob in meinem Spenden-Etat noch eine Mitgliedschaft bei Amnesty drinliegt. Eben hat es aufgehört zu regnen, ich habe meinen Schirm zugemacht, er tropft mir noch in der Hand.

Aber es gibt kein Entwischen. Ein junger Hipster spricht mich an. Er zeigt auf meinen Regenschirm und labert etwas in seinen blonden Bart. Ich habe keine Chance, ihn zu verstehen. Ich stelle mich vor ihm auf und sage: „Wie bitte? Ich habe Sie leider nicht verstanden, ich bin schwerhörig, und zwar ziemlich.“

Ich erwarte, dass er sich jetzt geduldig wiederholen wird. Aber er sagt nur: „Ok, vielen Dank und schönen Tag noch. Auf Wiedersehen.“ Auch ich wünsche ihm einen schönen Tag und gehe weiter, zuerst erleichtert, dann zunehmend befremdet.

Warum hat er wohl nicht weiter gequatscht? Warum hat er nicht auf Teufel komm raus versucht, mir Geld abzuschwätzen, wie er das bei jedem anderen getan hätte? Weil er selber verblüfft war? Weil er gedacht hat, das sei die dümmste faule Ausrede, die ihm heute vorgekommen sei? Oder denkt er: „Ach so, naja, Schwerhörige sind ja behindert und haben wohl sowieso kein Geld.“?

Beinahe wäre ich umgekehrt, zu ihm zurückgegangen und hätte ihm meine Hörgeräte gezeigt. Ich fühle mich beinahe … naja … diskriminiert.

9 Gedanken zu „Spendensammler“

  1. In diesem Posting gibt es nur einen Satz, der mich stört. „… Ob im Spenden-Etat noch eine Mitgliedschaft bei Amnesty drinliegt.“

    Es ist meine Überzeugung, dass das Aufteilen eines Spendenetats unvorteilhaft für die Verwendung des Geldes ist. Zwar heißt es, dass kleine Spenden auch willkommen sind. Doch jede Spendentransaktion kostet Geld, und sei die Gebühr auch noch so klein.
    Daher argumentiere ich, dass es besser ist 100 € auf zwei Organisationen aufzuteilen, als auf 10.

    Für meinen Teil beschränke ich mich auf 2 Organisationen: CARE und Ärzte ohne Grenzen.

    Ein Kollege von mir, der sehr humanitär ausgerichtet ist, hat mir darüber hinaus erzählt, dass die Spendensammler auf der Straße eine sehr unökonomische Art sind, wo einerseits weniger Geld der Spende aktiv übrig bleibt, andererseits aber der Idealismus der jungen Leute ausgenützt wird. Ich kann das selbst nicht verifizieren. Aber es reicht, um mein Gewissen zu beruhigen, wenn ich einfach an ihnen vorbeigehe.

  2. wozu spenden, wenn man schon so viel steuern zahlt?
    gegebenenfalls reiche ich einem penner ein oder zwei münzen, gebe dem lieferanten und dem kellner reichlich trinkgeld, oder ich helfe einem freund aus, aber niemals spende ich irgendeiner organisation etwas, auch wenn sie noch so einen guten ruf hat. wird durch spenden die welt wirklich besser? ich hab da so meine zweifel.

  3. REPLY:
    … des Spendenetats sehe ich auch so. Ich spende eigentlich kaum noch kleinere Beträge, sondern eher wenige höhere. Es ging da, wenn ich die Situation aus der Ferne richtig überblickte, auch mehr um Vereins-Mitgliedschaften. Über Mitgliederbeiträge leistet man ja auch einen Beitrag an die Geschäftstätigkeit der Vereine.

  4. REPLY:
    Spenden schon in Ordnung. Es gibt viele Aufgaben, die der Staat nicht abdeckt – immer mehr, ist zu befürchten, mit der schleichenden Verarmung der Staaten.

  5. Ich habe es oft als Ausrede verwendet, wenn ich nicht weiter beschwatzt werden wollte. „Ich höre schlecht und verstehe Sie nicht.“

    Später dann als Studentin in Wien: „Ich bin aus Deutschland.“

    1. 😀 Funktioniert oft, gell? Aber nicht immer. Ich hab’s seither auch öfter gemacht, aber Leute, die wirklich in Not sind, nehmen sich dann zusammen und sprechen sehr deutlich.

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