Stille Stadt Genf

Luftbild von Genf, in der Mitte die Rhone mit Rousseau-Insel (Quelle: img.myswitzerland.com)

Unsere Reise begann in Genf, der grossen Schweizer Stadt nahe der französischen Grenze. Ich habe sie als besonders still in Erinnerung. Vielleicht liegt es daran, dass wir an einem Sonntag ankamen und nicht viel Betrieb herrschte. Oder daran, dass wir zuerst die Altstadt aufsuchten, einen verkehrsfreien Hügel mit mächtigen, alten Steinhäusern. An meinem schwachen Gehör konnte es nicht liegen. Meine Hörgeräte sind so stark aufgedreht, dass ich Städte im Allgemeinen als besonders lärmig empfinde.

Staunend ging ich durch die Gassen. Ich bin wenig gereist in den letzten Jahren. Ein Ausflug in eine unbekannte Schweizer Stadt ist für mich wie eine Reise ans ferne Ende Europas. Es ist schon mehr als einen Monat her. Wenn Ihr mich fragt, woran ich mich noch erinnere, dann sage ich: an die vielen Menschen, die im grossen Park Plainpalais Schlange standen fürs public viewing des Weltmeisterschaftsspiels Deutschland-Mexiko. An den Schuhladen von Manolo Blahnik auf dem Weg dorthin. Er befindet sich in einem repräsentativen, gewiss mehr als hundert Jahre alten Steinhaus mit zwei kleinen Schaufenstern. Die scharlachroten und kobaltblauen Schuhe darin schienen von Prinzessinnen hinterlassen, die von bösen Monstren entführt worden waren.

Calvins Stuhl (Quelle: Wikimedia)

Ich erinnere mich auch an etwas, was wir nicht gesehen haben: An Calvins Stuhl im Genfer Münster – der Sitz jenes gestrengen Reformators, der Genf im 16. Jahrhundert unter seiner Knute hatte. Wir haben das Sitzmöbel verpasst, weil wir das Münster in der Altstadt einfach links liegen liessen – Herr T. sieht sich nicht gerne Kirchen an, und ich wusste nichts von Calvins Stuhl und habe deswegen keine Besichtigung gefordert. In meiner Vorstellung ist der Stuhl ein grosser, finsterer Holzthron, aber die Google-Suche ergibt einen geradezu zierliches Möbel.

Wenn der Cowboy vom Pferd stürzt


Cowboy Brady in „The Rider“ liebt Pferde. Aber reiten kann er nicht mehr. (Quelle: theatlantic.com)

„The Rider“ ist ein sterbenslangweiliger Film. Endlose Einstellungen mit Cowboys und Pferden. Endlose Einstellungen mit dem Gesicht des Hauptdarstellers. Merkwürdige Dialoge schlecht eingeführter Figuren (Hier geht’s zum Trailer). Im dunklen, fast leeren Kinosaal streckte mir meine Freundin Kaja verstohlen eine Notiz unter die Nase: „Dieser Film wird von der Kritik stark überschätzt.“ Ich nickte heftig. „The Rider“ hat mehrere renommierte Filmpreise gewonnen. Doch wir sind beide froh, als er vorbei ist.

Kaum bin ich zu Hause, google ich ihn dennoch. Etwas an diesem Film hat mich gepackt: Hier geht es um einen Menschen, der nicht mehr tun kann, was er am liebsten tut. Um den jungen Rodeoreiter Brady, der sich bei einem Sturz vom Pferd schwer am Kopf verletzt hat und jetzt seinen Beruf nicht mehr ausüben kann – der überhaupt nicht mehr über längere Zeit reiten kann. Was dieser junge Mann durchmacht, kenne ich genau. Als mein Gehör zu streiken begann, musste ich die Hoffnung aufgeben, je wieder meinen geliebten Beruf als schreibende Journalistin auszuüben. Ich musste mich in den hinteren Rängen der Redaktion neu zurechtfinden. Ich habe es gekonnt. Aber die Ratlosigkeit im Gesicht des jungen Reiters Brady kenne ich nur zu gut. Ich kenne seine zum Scheitern verurteilten Versuche, wieder zu reiten. Ich kenne seine Annäherungsversuche an die Grenzen des Möglichen. Und seine Enttäuschung, wenn er sie lächerlich schnell überschreitet und einen Rückschlag erlebt.

Im Grunde habe ich erwartet, dass der Film verläuft wie die üblichen Geschichten über behinderte Helden: Sie leiden ein bisschen, akzeptieren dann ihre Grenzen, entdecken neue Perspektiven und wachsen schliesslich in ein neues Leben hinein. Wäre es eine solche Geschichte gewesen, dann wäre ich voller Hoffnung nach Hause gegangen. Ich hätte gedacht: „Es gibt also doch Menschen, die es schaffen.“

Aber „The Rider“ ist nicht so. Cowboy Brady findet keine Perspektiven, nur einen ungeliebten Job im Supermarkt. In der Schlussszene besucht er seinen Freund Lane im Behindertenheim. Lane geht es noch viel schlechter. Er hat beim Sturz am Rodeo eine Hirnverletzung erlitten und kann weder gehen noch sprechen. Die Frage hängt in der Luft: Was für einen Sinn hat das Leben dieser beiden schwer Gestürzten überhaupt. Wir wissen es nicht.

Und doch bleiben zwei Dinge von dieser Schlussszene: Die Zärtlichkeit, mit der sich Brady um seinen Freund kümmert. Und die Schönheit des gescheiterten, jungen Cowboys.

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