Mein geliebter Herr T. und ich haben uns ein bisschen auseinander gelebt. Auf dem Weg zur Vernissage fotografiert er enthusiastisch Dinge, die ich belanglos finde. Den Bahnhof, den wir schon tausendmal gesehen haben zum Beispiel. Ich beschäftige mich derweil mit Fragen, die mir fundamental erscheinen, über die ich aber schlecht sprechen kann. Zum Beispiel: Macht es Sinn, die Vernissage eines Künstlers zu besuchen, zu dem wir den Kontakt vor ein paar Jahren fast gänzlich verloren haben? Ist es ok, vor allem zum Plaudern an eine Vernissage zugehen? Wie viele soziale Kontakte braucht der Mensch? Welche sind sinnvoll? Und, die allerdringendste Frage: Wie werde ich dieses schlechte Gefühl los? Es hat etwa die Grösse einer schimmlig gewordenen Grapefruit, sitzt in meiner Magengrube, verdirbt mir den Appetit und raubt mir manchmal auch den Schlaf. Es sitzt dort, wo die Neugier sitzen sollte, das Gefühl für einen Sinn und Zweck. Das alles ist mir irgendwie abhanden gekommen.
Aber der Künstler hat uns nun mal zur Vernissage eingeladen, und so stapfen wir über die gefrorenen Trottoirs einer unwirtlichen Agglomeration. Und siehe da: Wir finden Bilder von grosser Schönheit. Bilder von in Farben versunkenen Urwäldern, Bilder voller unerwarteter Tiefen, in die das Auge hineinforschen will.
Vor einem der Gemälde komme ich mit dem Künstler ins Gespräch. Er erzählt mir von der Musik die ihn beeinflusst hat und von seinem Interesse an Forschungsreisen – und dass er sich von Joseph Conrad’s „Herz der Finsternis“ für eines der Bilder hat inspirieren lassen. Ob er denn selber grössere Reisen unternehme, fragte ich ihn. Er verneinte. Manchmal reize ihn die Vorstellung zu reisen, aber dann sei ihm die Erforschung der Malerei Reise genug.
Als wir nach Hause kommen, gehe ich ans Büchergestell und ziehe Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ hervor und beginne zu lesen. Schon die ersten Sätze berauschen mit ihrer sprachlichen Schönheit. Später merke ich: Es geht hier nicht nur um eine Expedition in den dunkelsten Teil des afrikanischen Dschungels. Es geht um die Frage, wie man überlebt, wie man ganz bleibt in einer Umwelt von tiefster moralischer Verkommenheit. Meine Neugier ist geweckt.