Neulich war ich an einem Treffen im Quartier, wo ich aufgewachsen bin. Auf dem Weg ging ein alter Mann an mir vorbei. Er war einer von vielen, die alten Leute sind hier so zahlreich. Aber ich erkannte ihn sofort und rief ihm „Grüezi Herr König“ zu. Er stutzt, ist schon fast vorbei, dann grüsst er zurück und – unglaublich – beginnt zu lächeln. Jäh durchzucken mich Glück und Wehmut zugleich. Wenn er lächelt, sieht er der Prinzessin so unfassbar ähnlich, seiner Tochter, meiner Freundin aus Kindertagen.
Ich kann mich nicht erinnern, dass er mich je angelächelt hat. Als ich ein Kind war, war ich nicht die Sorte Freundin, die sich Königs für ihre Tochter wünschten. So haben mir jedenfalls meine Eltern damals Vater und Mutter Königs Reserviertheit mir gegenüber erklärt. Königs, sagten sie, hielten sich für etwas Besseres. Die hätten eben mehr Geld als wir. Mir war das damals, vor vierzig Jahren, noch nicht so wichtig. Die Prinzessin und ich waren ein Herz und eine Seele. Bis uns nach Jahren ein Zickenkrieg entzweite. Später entschwand sie ganz, ins ferne Paris. Ich sehe sie noch ganz selten auf Facebook.
Aber jetzt lächelte mich ihr Vater mit ihrem Gesicht an, ihrer Zahnstellung. Er freute sich, weil ich ihn an seine Tochter erinnerte, an das Kind, das er gehabt hat, und das weit weg ist. Ich habe in letzter Zeit viel mit alten Leuten zu tun. Ich beginne zu verstehen, was sie glücklich macht.
Später erzählt jemand, dass Königs bald wegziehen werden. Dass sie im Stadtzentrum eine kleine Alterswohnung gefunden haben. Das macht mich noch wehmütiger. Die Welt meiner Kindheit ist am Untergehen. Im Quartier, wo ich aufgewachsen bin, werde ich die Prinzessin nie wiedersehen.
Zum ersten Mal seit langer Zeit bin ich froh um Facebook.