Gestern besuchten Herr T. und ich mit Freunden eine Ausstellung von Edward Hopper. Im Zug nach Basel streckte Herr T. mir einen kleinen Bildband entgegen. „Lies das mal, Du kannst uns nachher einen Vortrag halten“, sagte er. Merkwürdiges Ansinnen, dachte ich, aber ich las zerstreut ein paar Zeilen. Auf der Seite 11 stand, «einige Bilder» würden «eine Fixierung auf die eigene Frau» verraten, «die auffällt. Offensichtlich steht die Beziehung zu Jo im Zeichen einer geheimen Konkurrenz. Die Ehefrau ist nicht allein Kommentatorin und Managerin ihres Mannes, sondern selbst Malerin.»*
Wenn Hopper sie als Konkurrenz empfunden hat, muss sie gut gewesen sein, dachte ich. Warum kann man ihre Werke nirgends sehen? Meine Neugier war geweckt.
Bei Beyeler las ich nebenbei, dass Hopper die geheimnisvolle Jo 1924 heiratete, ein Jahr nach seiner ersten erfolgreichen Einzelausstellung. Damals war er 41. „Hing der Erfolg irgendwie mit der Heirat zusammen?“ fragte ich mich.
Und wie! Eine kleine Online-Recherche brachte später an den Tag, dass Josephine Nivison den Erfolg des Göttergatten überhaupt erst ermöglichte. Jo war selber Malerin, ein Jahr jünger als Edward. Sie arrivierte früh und hatte Edward 1923 die Teilnahme an einer Gruppenausstellung im Brooklyn Museum Art ermöglicht. Dort wurde er entdeckt.
Josephine selber malte nach der Heirat zwar noch, verschwand aber zusehends hinter ihrem Mann. Sie wurde seine Muse, sein Modell, seine Sekretärin und Managerin. Hier gibt es einen erschütternden Beitrag über sie von Senta Trömel-Plötz. Er enthält zahlreiche Auszüge aus dem Tagebuch der Künstlerin. Jo wusste um ihr Verschwinden. Sie war wütend und verbittert. „Für eine Künstlerin ist es fatal zu heiraten, ihr Bewusstsein wird zu sehr aufgerührt. Sie kann nicht mehr genügend in sich selbst leben, um produktiv zu sein. Aber es ist schwer, dies zu akzeptieren“, schriebt sie. Und: „Zwei können nicht Künstler sein.“ Als Ehemann war Hopper ein Tyrann. Und doch hat sie ihn nie verlassen.
Immerhin, sie vernachlässigte die ihr auferlegten Pflichten als Hausfrau, um malen. Doch was ist mit ihrem Werk passiert?
Als sie starb, gingen ihre Bilder zusammen mit jenen von Edward ans Whitney Museum in New York. 96 Gemälde wurden an New Yorker Spitäler verschenkt. Vieles verschwand. Eine Ausstellung mit Bildern von Edward und Josephine fand 2018 hier statt.
Wenn heute nicht Internationaler Tag der Frau wäre, hätte ich das wohl gar nie niedergeschrieben – eine Einladung, über unsere Arbeit, unsere Ehen, unserer Rollen nachzudenken.
Als Herr T. und ich mit unseren Freunden gestern in der Fondation Beyeler ankamen, habe ich den Vortrag dann gehalten. Er ist vielleicht nicht so herausgekommen, wie mein Mann ihn sich vorgestellt hat. Jede Ehe ist kompliziert. Während ich dies hier schreibe, kocht er. Ich habe offene Rechnungen mit der Kunst – jener des Schreibens. Aber ich kann mich jedenfalls nicht darüber beklagen, dass er mich zu Schweigen gebracht hat.
* Rolf Günter Renner: „Edward Hopper“, Benedikt Taschen Verlag, Köln 1992
schätze, sie wartet auf ihre Geliebte. das heißt, sie sieht sie bereits kommen. stelle mir vor, dass die geliebte auf einem alten motorrad heranrattert und ihr weißer seidenschal im wind flattert…
sehr schönes bild von hopper!
Warum glaubst Du, dass sie lesbisch war?
wegen ihrer körperhaltung. einen liebhaber würde sie niemals so erwarten.
und da in ihrem garten wahrscheinlich kein ufo landete, dachte ich relativ sofort an das nahen der liebhaberin.
Sehr interessanter Eintrag, vielen Dank. Mir gefallen die Bilder von Hopper schon immer. Von den „Frauengeschichten“ wusste ich nichts. Da ich nur 30 km von der Fondation Beyeler entfernt wohne, habe ich mir fest vorgenommen, die Ausstellung zu besuchen. Zuletzt war ich dort zur grossen Picasso-Ausstellung im April vorigen Jahres. Liebe Grüsse!
Danke für den Kommentar, Herr Schreibmann! Diese 30 Kilometer zurückzulegen lohnt sich tatsächlich. Ich lese dann bei Dir, was es über Herrn Hopper zu sagen gibt 🙂
https://orf.at/stories/3158736/
Ich musste an Ihren Beitrag denken.
Liebe Grüße aus Wien,
S.
Vielen Dank, das ehrt mich 🙂