Shoppen nach dem Lockdown

Am Mittwoch musste ich in die Stadt zum Arzt. Die Stimmung auf den Strassen war gelöst, viel lockerer als während des Lockdowns. Noch war auf den Gassen kein Gedränge – einzelne Frauen huschten über die Plätze, mit beigen Regenmänteln, dezenten Halstüchern und Schirmen, wie ich. Es hat dieses Jahr keine Frühlingsmode gegeben, dachte ich. Einige trugen die Schuhe vom letzten Jahr. Es fiel mir auf. Ausser mir trägt in dieser Stadt sonst nie jemand Schuhe vom letzten Jahr. Seit Wochen hatte ich nicht darauf geachtet, was irgendwer trägt.

Nein, ich kaufe jetzt noch keine Kleider, dachte ich. Dafür fand ich mich, wie von Geisterhand hingeführt, plötzlich vor der Filiale eines global bekannten Kaffeekapselherstellers wieder. Ich habe immer geglaubt, die Kette nicht besonders zu mögen und meine Kapselmaschine aus rein praktischen Überlegungen zu besitzen. Doch nun trat ich ein, desinfizierte mir die Hände und reihte mich in die Schlange der Wartenden ein. Und als ich am Tresen stand und mich die Verkäuferin mit dem Mundschutz begrüsst hatte, hörte ich mich gegen die Plexiglasscheibe zwischen uns sagen: „Hach, ist es schön, wieder Kaffee zu kaufen!“ Ich glaube, sie lächelte, ihre Augenwinkel zogen sich leicht zusammen.

Es ist nicht so, dass ich während des Lockdowns unter Kaffee-Entzug gelitten habe. Ich habe meine Kaffeekapseln halt einfach beim Grossverteiler aus dem Gestell genommen. Aber mit der Zeit fehlte mir dabei etwas. Der extra starke Espresso in der nachtblauen Verpackung? Dieses Wohlgefühl des Bedientwerdens? „Dienen und bedient werden ist ein Grundbedürfnis“, sagte eine Wirtin in unserer Lokalzeitung, als bei uns die Gastronomie wieder geöffnet wurde. Naja, dachte ich beim Lesen. Ich bin Konsumskeptikerin. Das hat mit meiner katholischen Kindheit zu tun, die auch einen asketischen Zug hatte. Dienen und Bedientwerden hatte etwas Anrüchiges. Der Vorwurf lag in der Luft, dass der (öfter die) Dienende bei der Ausübung ihrer Funktion gedemütigt werde, sich verleugnen und sich alles mögliche bieten lassen müsse. Noch in jungen Jahren kam die Erkenntnis: Konsum schadet der Umwelt. Das passte alles gut zusammen und führte dazu, dass ich immer eine zurückhaltende Shopperin gewesen bin.

Doch dann kam das Coronavirus, und wir haben gelernt: Wenn wir nicht konsumieren, fällt uns innert einem Monat der Himmel auf den Kopf. Wenn wir nicht ständig rennen, unser Geld ausgeben, uns Vergnügungen und neues Material um die Ohren schlagen, dann verarmen erst die Kulturveranstalterinnen, dann die Wirte, die Verkäufer, die Ladenbesitzerinnen und schliesslich auch wir selber. Konsumieren ist systemrelevant. Sich bedienen lassen ein Akt der Solidarität.

Ich packte meine Kaffeekapseln ein, lächelte, ging dann noch in den Computerladen und in die Buchhandlung. Nein, ich bestelle meine Bücher nicht online. Ich unterstütze die Buchhandlung in der Nachbarschaft, die beste, die ich kenne. Jetzt noch viel mehr. Als ich nach Hause kam, versorgte ich zufrieden meine neuen Schätze. Nur der penetrante Geruch fünf verschiedener Handdesinfektionsmittel störte ein wenig.

11 Gedanken zu „Shoppen nach dem Lockdown“

    1. Ja, das ist tatsächlich ein himmelweiter Unterschied. Charly Chaplin’s „Modern Times“ legt ja nahe, dass wir eigentlich bedient sind, wenn wir eine Maschine bedienen – weil sie uns bei der Arbeit ihren Rhythmus aufzwingt. Der Mensch hat doch im Allgemeinen einfach einen Wunsch, und das stresst dann beim Bedienen gelegentlich ein bisschen (weiss ich aus eigener Erfahrung im beruflichen Dienen). Ist aber nie mit so vielen Zwängen behaftet wie das Bedienen einer Maschine.

  1. Du hast recht, ich hab das bisher so noch gar nicht gesehen! Daß dienen eine anrüchige Note hat.
    Ich möchte nicht zu weit ausholen: Meine unterfränkische Paten-Groß-Tante war die Reinkarnation der Kaiserin Sissi. Die Tante sagte öfter zu mir: „Mädle, du hast keine Ahnung, was es bedeutet, dienen zu müssen!“
    Sie lebte bei Würzburg und hat als junge Frau in Frankfurt am Main gedient. Könnt sein, daß sie später noch in Nürnberg diente, dort wo sie ihren Mann kennengelernt hat. Er zog zu ihr ins Elternhaus, das ging gut, so wie es für mich den Anschein machte.
    Überhaupt kannte ich die Tante rennend, laufend, arbeitend, sich die Hände schmutzig machend, kochend, andere pflegend, bis sie kurz darauf selber an Krebs erkrankte und starb.
    Genau das gegenteilige Leben einer Kaiserin, aber das passt!

    1. Da war es ja tröstlich, dass sie ein Vorleben als Kaiserin hatte. Danke für diesen schönen Kommentar! Und sorry, dass ich erst jetzt antworte. Es waren schwierige Wochen, meine Gedanken hüpften hin und her und wurden ab und zu mal von der Arbeit weggeweht.

      1. War eher dafür vorgesehen, damit man nachvollziehen kann, daß es eben doch eine „göttliche“ Gerechtigkeit auf der Welt gibt: Die Tante führte ein privilegiertes Vorleben, und diese Privilegien hat sie in ihrem Leben wieder ausgeglichen.
        Das ist okay, andere lassen sich auch Zeit, schließlich muss man nicht regelmäßig oder in kurzen Abständen in die Community reinschauen: Das Leben bietet gar manchem von uns allerlei Ungemach, und dann auch noch wo gar im Eiltempo. Ergo müssen andere Prioritäten gesetzt werden.
        Deinen aktuellen Beitrag lese ich in Kürze. Alles Liebe Dir! 🙂

        1. Die auch alles Liebe, Edith! Ich weiss, ich bin eine lausige Kommentarbearbeiterin. Das Leben treibt mich hin und her. Aber es wird mich auch wieder zu Dir treiben. Bis bald!

          1. Alles super! 🙂
            Hier der Einfachheit halber meine Antwort auf Deinen Spargelpfannenkommentar, falls Du keine E-Mailbenachrichtigung erhältst:
            Hey Danke! Hier schnell das Teigrezept, Du kannst aber mit allem beliebig variieren, denn es kann fast nix passieren:
            5 EL Quinoa, 5 EL Hirse, 2 EL Haferkörner, 2 EL Dinkelkörner, alles fein gemahlen, oder Du nimmst einfach statt allem Dinkelmehl, am besten Vollkorn. Dazu 200ml Wasser, etwa eine Stecknadelkopf kleine Portion Frischhefe, 1/2 TL und eben beliebige Gewürze wie zB. Knoblauch und Muskatnuss … Alles über Nacht stehen lassen. Gutes Gelingen! 🙂

          2. 😳 Salz – 1/2 TL Salz muss dort stehen! Sorry, hab es in meinem eigenen Beitrag auch schon nachgetragen.
            Die Spargelspitzen etwas in den Teig reindrücken, sonst garen sie mit zu viel Biss … 😉 Und immer mit Deckel … Hoffe, wir können jetzt aber abschließen -Bussi! 🙂

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