
Am Freitag zählte die Schweiz erschreckende 6600 Neuansteckungen. Frau Frogg sass im Büro und fand Trost im medizinischen Alkohol.
Freitag, 16.30 Uhr in meinem Büro. Draussen auf dem Korridor gähnende Leere. Alle anderen sind entweder ins Homeoffice geflohen oder schon fertig mit der Arbeit. Nur drüben im Sekretariat sitzt noch eine Kollegin. Wir harren in unseren Büros aus, bei wieder beginnender Coronastinkigkeit allüberall. Was wir alles lesen müssen von unseren Kunden!
Vom Sekretariat komme ich gerade, ich musste etwas abholen. Jetzt desinfiziere ich mir reflexartig die Hände. Dann rieche ich an ihnen. Mein neues Handdesinfektionsmittel duftet wunderbar. Irgendwie… nach Williams vielleicht? Oder Zwetschgenschnaps? Kirsch? Ich werfe einen Blick auf das Kleingedruckte auf dem Fläschchen. „Distillerie Studer, Escholzmatt“ steht da. Eine kurze Google-Suche bringt es an den Tag: Die Herstellerin meines Desinfektionsmittels ist ein Familienunternehmen, das seit Generationen kostbare Obstbrände herstellt. Jetzt haben die Leute dort die Ernte vom letzten Herbst für medizinisches Zubehör in den Kocher geworfen.
Ich bin wenig überrascht, denn wir alle wissen: Schon Mitte Februar, zu Beginn der ersten Welle, ging in der Schweiz der medizinische Alkohol aus. Die Ethanol-Pandemiereserve war aus Spargründen 2018 abgeschafft worden. So opferten wir im Februar 2020 notfallmässig unsere edlen Tropfen: „Agroscope, die Forschungsstelle für Landwirtschaft, leert ihren gesamten Weinkeller. Aus 20000 Litern Wein – rotem und weissem aus dem Tessin, dem Wallis und dem Lavaux – werden knapp 3500 Liter Desinfektionsmittel für die Armee-Apotheke. Im Kanton Zug müssen 2000 bis 2500 Liter edler Etter-Kirsch mit 80 bis 90 Prozent Alkoholgehalt dran glauben. In Martigny bringt die Destillerie Morand eine Desinfektionslösung auf der Basis von Birnenschnaps auf den Markt. Hipster in Lausanne, Genf und Neuenburg schätzen sie bald schon, weil sie ’nach Williams riecht und die Hände weich macht‘.“ So steht’s im Schweizer Bestseller „Lockdown“, und dann heisst es: „Das Problem ist fürs erste gelöst. Eine erfolgreiche Aktion, die anmutet wie aus der legendären Schweizer Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg.“
An den Zweiten Weltkrieg denke ich gerade, als ein Mail bei mir hereinläuft. Ein älterer, durchaus gebildeter Herr aus den Bergen beklagt sich bitter. Er sei aus dem Café geworfen worden, weil er keine Maske tragen wollte. „Zum ersten Mal wusste ich, wie sich die Juden damals gefühlt haben.“ Zorn kocht in mir hoch. Ich kann das nicht sofort beantworten, sonst werde ich ihm ganz unprofessionell schreiben müssen, dass er ein bescheuerter Covidiot ist, und dazu eine Gefahr für die Allgemeinheit.
Ich brauche Trost, spritze mir nochmals ein wenig Desinfektionsmittel auf die Hand und rieche daran. Mittlerweile bin ich mir sicher: Es ist Zwetschgenduft. Ich frage mich: Wie sehr muss man das Zeug wohl verdünnen, damit man es trinken kann?**
Dann geige ich dem Herrn aus dem Bergen kühl und sachlich meine Meinung.
*“Recherchedesk TAMedia: „Lockdown“, Lachen, 2020, Verlag Wörterseh, (S. 69-70).
** Stunden später habe ich nun herausgefunden, dass das Zeug mit Kampfer ungeniessbar gemacht worden ist,