Wir sitzen im Lockdown und wenden uns nach innen. Frau Frogg hat zum Glück genügend Lesestoff und vertieft sich in eine der ältesten Geschichten überhaupt.
Abends lese ich „Die Stille der Frauen“ von Pat Barker, einen Roman über den Trojanischen Krieg. Barker (78) hat preisgekrönte Romane über den Ersten Weltkrieg geschrieben. Man glaubt ihr, wenn sie über Kriegstraumata schreibt. Hier stützt sie sich auf die Iljas von Homer (800 vor Christus), erzählt die Geschichte aber weitgehend aus der Sicht der Sklavin Briseis. Die 18-Jährige war Königin einer Stadt nahe Troja, bevor Achilles mit seinen Leuten kam, die Mauern stürmte und alle Männer abschlachtete. Die Frauen nehmen sie als Siegestrophäen mit. Achilles bekommt Briseis. Was folgt, wird oft als Romanze dargestellt, eine handlungstreibende Romanze dazu, auch im Monumentalnepos „Troy“ von 2004 mit Brad Pitt. Aber für Briseis ist es keine Romanze. Für sie sind Achilles und seine Kumpanen Schlächter und sie deren Sexspielzeug und, für kurze Zeit, Statussymbol. Doch sie wahrt ihre Würde als wäre ihr Innerstes eingehüllt in einen undurchdringlichen Panzer. Ich weiss nicht, ob ich das könnte. Ich weiss nicht, ob ich in der Lage wäre, mich der Komplizität mit den neuen Herren zu enthalten. Es braucht dafür eine starke Persönlichkeit.
Nachts, wenn ich nicht schlafen kann, denke ich mich nach Troja zurück, ich sehe die blassgrünen Wiesen, die Felsen und uns auf dem Schiff über die Dardanellen. Ich war dort 2008. Hier habe ich darüber gebloggt. Die Erinnerung fühlt sich traumartig an und leicht melancholisch. Über die Ausgrabungsstätte, die heute von den meisten für den Standort des antiken Troja gehalten wird, habe ich nicht geschrieben. Ein Steinhaufen halt. Ich erinnere mich nur, dass wir mit einem klapprigen Sammeltaxi voller Schafskot hinfuhren, und dass die Mauerreste gut beschriftet waren. Davor stand ein hölzernes Pferd. Ausser uns war niemand da.
Tags kämpfe ich mit Zielkonflikten. Das Virus prägt unseren Alltag. Soll ich zu Fuss zur Arbeit gehen? Ja, das wäre gut, dann muss ich nicht busfahren. Der Bus ist mir nicht ganz geheuer zurzeit. Aber ich muss auch mein Mittagessen von zu Hause mitnehmen, denn unsere Betriebskantine ist wegen Ansteckungsgefahr geschlossen. Soll ich wirklich jeden Morgen mein Kübelchen voller Essen die 40 Gehminuten über den Hügel tragen? Mein Arbeitsweg kommt mir jetzt vor wie eine Odyssee. Ist unsere Welt so klein geworden? Nun gut, das ist keine Katastrophe, James Joyce hatte für seinen Roman „Ulysses“ auch nicht das ganze Mittelmeer zur Verfügung, sondern nur die Stadt Dublin. Nur? In „Ulysses“ ist sie ein ganzes Universum.
Als ich den Fluss überquere, beginne ich erste Ideen zu wälzen. Davon aber später.
Ich gehe auch zu Fuss ins Büro, wenn ich nicht zuhause arbeite. Zwar „kostet“ mich das ca. eine Viertelstunde mehr Zeit, als wenn ich mit der Tram fahren würde. Doch das nehme ich gern in Kauf. Autobussen gegenüber habe ich seit der neuen Normalität einen regelrechten Horror entwickelt.
Das Essen hole ich mir vom Wirtshaus ums Eck und verzehre es im Büro an meinem Arbeitsplatz, gibt es bei Dir auch nicht diese Möglichkeit?
Nach Feierabend bin ich manchmal sehr müde und fahre ein, zwei Stationen mit der Bim heim, aber ich steige auch vorher wieder aus, wenn’s mir zuviel wird.
„Troja“ habe ich einmal im Kino gesehen. Ich fand es nicht so beeindruckend, meine einzige Erinnerung ist ein total nerviger Orlando Bloom als Paris.
Das mit dem schlecht Schlafen ist eine Erfahrung, mit der ich mich seit fast einem Jahr immer wieder auseinander setzen muss. Es ist grässlich.
Liebe Grüsse!
Bei uns gibt’s gegenüber vom Büro eine Bäckerei, wo man sich aufgewärmtes Mittagessen kaufen kann. Das Essen ist ok, recht erschwinglich. Etwas störend ist, dass während der „neuen Normalität“ nur drei Kund*innen im Laden stehen dürfen. Man steht dann draussen in einer Schlange, die schon mal zehn Personen umfassen kann, im Moment meistens bei Minustemperaturen.
Schlecht schlafen tue ich teils pandemiebedingt (viel Stress im Büro mit ungewisser Zukunft). Teils aber auch einfach, weil ich nicht mehr 20 bin. Ist an sich keine Katastrophe, ich lese dann noch ein bisschen. Mir hilft das Lesen, es erlöst mich von schweren Gedanken, die in der Nacht unweigerlich kommen und nichts bringen.
An den Film „Troya“ mit Brad Pitt erinnere ich mich kaum. Damals habe ich ihn allerdings besser gemocht als ich erwartet hatte. Ja, die Männer sind schon im Film verwöhnte Buben, auch Bras Pitt als Achilles mit seinem Schmollmund.
Ach herrje, das mit den langen Warteschlangen vor den Bäckereien kenne ich hier in Wien auch gut. Da habe ich es mit dem Wirtshaus noch gut getroffen, auch wenn ich eh nur einmal die Woche im Büro bin.
Ich marschiere stramm auf die 40 zu und muss mich langsam daran gewöhnen, dass ich keine 21, 29, 33… bin.
Liebe Grüsse!
Da bist Du ja noch sehr jung 🙂 Dir auch liebe Grüsse!
Danke für den Hinweis. Die Leseprobe ist schon mal sehr verheißungsvoll von „die STILLE der Frauen“.
Danke Dir für den Hinweis! Ich habe den Buchtitel jetzt geändert. Was mir an dem Buch auch gefällt, ist die Sprache: Eher bodenständig, wenn auch durchaus mit der einen oder anderen Metapher, die dem Ganzen etwas poetische Tiefe verleiht. Ich kann den Schwurbel von Schwab nicht ab, und auch Christa Wolfs Sprachkünstelei in „Kassandra* hat mich immer ein wenig gefröstelt.
troja – das waren noch zeiten… wenn man als krieger sein leben für den könig riskiert, ist es nur recht und billig, wenn man dafür eine sklavin bekommt.
Die Krieger von Agamemnon bekamen für ihr „Opfer“ 3000 Jahre Ruhm. Das sollte eigentlich reichen für einen bescheuerten Kriegseinsatz.
dann noch lieber im namen allahs sterben und 50 jungfrauen im paradies kriegen.
nein, ich präferiere die realistische variante: eine sklavin würde mir reichen – sie hätte es auch gut bei mir. versprochen!
Äh… ich nehme jetzt einfach mal an, dass Du das nicht ironisch meinst. Dann muss ich jetzt dringend erwähnen, dass alle Menschen autonome Geschöpfe mit unantastbarer Würde sind, Frauen und Männer.