Nachtrag zum ersten Impfbericht

So, nun habe ich also die erste Impfung verabreicht bekommen. Es war Moderna. Das sagen sie einem hierzulande erst unmittelbar bevor die Kanüle die Haut ritzt. Ist auch richtig so. So eine Impfaktion wäre in der Schweiz nicht organisierbar, wenn jede und jeder zwischen Pfizer und Moderna wählen könnte. Gott bewahre! Und AstraZeneca ist hierzulande gar nicht zugelassen.

Auf dem Weg ins Impfzentrum ist mir dann auch klar geworden, warum uns im Zusammenhang mit dieser Impfaktion ein solcher Mitteilungsdrang erfasst: Wir erleben – und beschreiben – hier ja doch Zeitgeschichte. Aber diese Erkenntnis hemmt bei mir erst mal die Erzählfreude. Sofort frage ich mich: Was werden die Nachgeborenen wissen wollen, wenn sie einmal alte Archive nach Impfberichten durchforsten? Kann ich überhaupt noch etwas erzählen, was nicht bereits tausendfach bezeugt ist?

Einerlei, dachte ich. Ich schreibe ja für meine Blogleserinnen und -leser. Nicht für Nachgeborene. Ich brauche das Impfzentrum nicht zu beschreiben. Es wird Fotografien geben von der Messehalle mit den 50 Impfkabinen. Es wird Erlebnisberichte geben von den Zivildienstlern, die die Leute von Posten zu Posten schicken. Es gibt bereits zwei launige Leserbriefe von einem der pensionierten Ärzte, die hier den Leuten das Vakzin verabreichen. Es wird Bilder geben von der Ruhezone, in der 50 frisch Geimpfte mit 1,5 Metern Abstand 15 Minuten lang abwarten, ob sie einen anaphylaktischen Schock bekommen oder nicht. Ein seltsamer Anblick, so viele still dasitzende Menschen unter einem Dach, wie früher in der Kirche. Nur mit Maske.

Für Schwerhörige hält so ein Impfprozedere seine eigenen Schwierigkeiten bereit. Auf dem ganzen Parcours wird man fünfmal instruiert oder befragt. Alle sind nett und geduldig, aber die Halle ist riesig und lärmig, und alle tragen Mundschutz. Viermal musste ich jemandem sagen, dass ich schwerhörig bin, und dass er langsam sprechen muss. Wenn ich glaubte, die Instruktionen verstanden zu haben, wiederholte ich sie, um ja nichts falsch zu machen. An einem Ort mit so viel Sicherheitspersonal muss man vorsichtig sein. Man weiss nie, wie die reagieren, wenn jemand auffällig wird. Es dauerte alles sehr, sehr lange.

Danach machte ich einen kleinen Spaziergang, sah die ersten Saat-Esparsetten, den ersten Wiesensalbei und roch Flieder und war glücklich.

12 Gedanken zu „Nachtrag zum ersten Impfbericht“

  1. Das ist ja interessant, dass AstraZeneca in der Schweiz gar nicht zugelassen ist. Umso surrealer ist es für uns EU-Mitgliedsländer, dass überhaupt zwischen BioNTech/Pfizer und Moderna abgewägt werden muss.

    Ich bin schon gespannt auf den nächsten Akt!

    1. Wie läuft denn das in der EU? Könnt Ihr zwischen Pfizer und Moderna wählen? Danke für die Ermunterung. Also, wenn keine Nebenwirkungen auftauchen, dürfte das ein kurzes Epos werden 🙂

  2. Liebe Frau Frogg,
    ich kann nur aus deutscher Sicht etwas beitragen. Hierzulande kann man, wenn man den Weg übers Impfzentrum wählt (die Hausarztpraxen impfen ja auch, aber noch nicht so lange, die Registrierung fürs Impfzentrum war weit vorher möglich), nicht zwischen den Vakzinen wählen.
    Zusammen mit dem Impftermin wird einem der Wirkstoff mitgeteilt, allerdings erhalten Frauen unter 60 grundsätzlich keine Impfung mit Astra, nur in den Hausarztpraxen wird das nach Beratung in Einzelfällen auch an diese Personengruppe verimpft.
    Ihr erster Beitrag zu dem Thema hat mich nachdenklich gestimmt, und zwar nicht, weil ich mich zu denen mit dem Erzähldrang zählen darf, sondern weil ich mich fragte, ob der Appell am Ende meines „Impfberichts“ letzte Woche nicht vielleicht doch anmaßend oder übergriffig war. Es gilt ja zu trennen zwischen einer persönlichen Euphorie und einer Empfehlung für die Allgemeinheit.
    Als Risikogruppenperson mit Vorerkrankungen fühle ich mich sowohl mit meiner eigenen Impfung als auch mit dem Geimpftsein der mir nahen Menschen deutlich wohler, wenngleich ich zuvor nicht von Angst getrieben war. Meinen schwer kranken und alten Vater kann ich nun auch bald wieder sorgenfreier ohne vorigen Besuch einer Teststation besuchen. Zudem habe ich jemanden durch diese Seuche verloren, für ihn kam jede Impfung zu spät, er war kerngesund und erst in der Mitte seines Lebens…
    Alles in allem stehe ich zu dem Appell: je mehr sich impfen lassen (und es gibt genug, die da mehr Bedenken haben als sie Nutzen in der Sache erkennen können), desto besser (und sogar die Verweigerer profitieren ja schlussendlich von der Mehrheit, die sich der Immunisierung unterzieht, sei’s ihnen vergönnt, Hauptsache, die Ausbreitung des Virus‘ ist eingedämmt).
    Meine BioNTech-Impfung habe ich bislang gut vertragen, die zweite steht noch aus und ich bleibe weiterhin zuversichtlich.
    Freut mich, zu lesen, dass es auch Dir heute gut erging, vor, mit und nach dem Piekser!
    Herzliche Grüße aus München!

    1. Hab Dir vorher gleich einen Kommentar auf Deinen Beitrag vom 29. April geschickt, den ich als Impfbericht sehr gelungen finde. Ich finde nichts Übergriffiges an Deiner Empfehlung. Wer anders denkt, muss Dir ja nicht Folge leisten. Und ich finde es sogar gut, wenn wir klar Farbe bekennen, auch wenn wir keine Epidemiologinnen sind. Ich tue es hiermit auch und vielleicht später nochmals in einem Haupttext: Ich finde es gut, wenn sich möglichst viele Leute impfen lassen. Ich gehe davon, dass jede Impfung allen nützt.

      Auch mich hat erstaunt, dass viele meiner Bekannten sich gar nicht erst anmeldeten. „Ach, weisst Du, ich finde das so invasiv!“ Oder: „Ich wurde als Kind traumatisiert, jetzt will ich das nicht.“ Das waren so die Wortmeldungen.

      1. Dank dir für deine Antworten hier bei dir und dort bei mir!
        Ja, diese Invasionsängste sind mir auch schon in manchen Äußerungen begegnet: bemerkenswerterweise kommen die oft von Menschen, die ausschließlich physisch-invasive Eingriffe fürchten, sich aber beherzt mental-invasiven Eingriffen aussetzen. Nun denn, jede/r muss es selbst wissen, wobei ich bei dieser Impfung hinzufügen möchte: das ist halt keine rein persönliche Geschmackssache, mit der ich bloß mir selbst was vom Leib halte, sondern sie ist auch ein Akt der Solidarität, weil sie auch anderen was vom Leib hält (aber genau daran scheiden sich eben die Geister).
        Zu Moderna: Hier in München kenne ich mittlerweile schon etliche (Frauen), die mit diesem Wirkstoff geimpft wurden, so wie du, und die auch ihre Zweitimpfung problemlos vertragen haben, also gänzlich ohne Fieber etc., allenfalls einer leicht druckempfindlichen Beule an der Einstichstelle. Die Verträglichkeit ist natürlich individuell völlig verschieden, so wie wir alle, aber bezogen auf die Anzahl verabreichter Impfdosen doch mehr als hervorragend.
        Dem zweiten Absatz aus Teil 2 deines Impf-Eops‘ möchte ich noch ein Zitat von einem unserer leider längst verblichenen Münchner Lokalhelden Karl Valentin hinzufügen: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“
        In diesem Sinne wünsche ich uns ein frohes Weiterschreiben, wann immer einem danach ist – die Nachwelt wird sich aus aus all den privaten Poesiealben dieser Pandemie eh ihr eigenes Bild machen (oder diese vielen „Dokumente der Zeitgeschichte“ gehen sowieso im allgemeinen Dauerrauschen der Seuchennachrichten unter).
        Ich lese deinen Blog ausgesprochen gern.
        Viele liebe Grüße in die Schweiz!
        Natascha

        1. Liebe Natascha, danke Dir für diesen Kommentar, in dem Du sehr viele Themen ansprichst. Ja, ich sehe das auch so: Jede Impfung, egal, wer sie bekommt, nützt uns allen. Aber von Berufes wegen habe ich viel mit Covidioten zu tun, und ich habe gemerkt, dass diskutieren meist nichts bringt. Im besten Fall wechselt man irgendwann das Thema und sucht ein Stück Boden, auf dem noch beide stehen. Im schlechtesten Fall ist einer oder sind beide beschämt und/oder wütend, und es wird laut. Deshalb stehe ich hier einfach hin mit meinem Beispiel.

          Ich glaube, dieses reflexartige drüber nachdenken, was Leser brauchen könnten (auch jene der Zukunft) hat mit meinem Beruf zu tun. Wenn Du eine Zeitung machst, machst Du das ständig. Natürlich ist es mir hier nicht hundertprozentig ernst, aber es ist ein lustiges Gedankenspiel: Was könnten sie wissen wollen, falls sie nicht sowieso mit dem Klimawandel alle Hände voll zu tun und null Interesse an den Pandemien der Vergangenheit haben?

          Ich lese Dich übrigens auch sehr gerne – aber ich muss gestehen: Richtig entdeckt habe ich Dich erst vor ein paar Wochen, als ich anfing, wieder seriöser zu bloggen als die letzten drei, vier Jahre. In letzter Zeit habe ich auch mehr Geduld mit Beiträgen, in denen sprachliches Können sich einen gewissen Raum nimmt wie bei Dir. Das hatte ich früher viel weniger. Jetzt freue ich mich jedes Mal, wenn ich etwas Neues bei Dir entdecke. Ganz herzliche Grüsse nach München
          Daniela

  3. Derzeit sind bei uns in der EU vier Impfstoffe zugelassen, Johnson & Johnson komplettiert das Quartett.
    Hier in Österreich werden die ersten drei verimpft, vom Lesen/Hörensagen habe ich ein paar Geschichten erfahren. AstraZeneca wird gern abgelehnt, auch in Deutschland. Wobei ich glaube, der Impfstoff ist besser als sein Ruf. Moderna ist so gut wie unbekannt und jede/r lechzt nach BioNTech/Pfizer.

    Die unschönen Geschichten a la Impfdrängler (ein paar Provinzbürgermeister), zu wenig bestellte Impfdosen und Impfneid in rot-weiss-rot erspare ich Dir.

    Aber, das muss ich jetzt loswerden: Die Nachwirkungen vom zweiten Moderna-Stich dürften nicht harmlos sein. Rechne bitte mit erhöhter Temperatur und einer schlaflosen Nacht.

    1. Danke für den Hinweis mit der zweiten Impfung, Sori! Ich habe auch schon gehört, dass es ziemlich happig werden kann nach dem zweiten Stich. Das bestätigt mir, dass ich mich jobmässig gut vorbereiten muss. Werde ich morgen machen.
      Ich hoffe, dass es bei Dir auch bald soweit ist.

  4. Zu „Für Schwerhörige hält so ein Impfprozedere seine eigenen Schwierigkeiten bereit.“ – Da hättest du bei uns noch mehr Schwierigkeiten bekommen: Eigentlich war hier alles gut organisiert, aber als es dann zum eigentlichen Impfen ging, da bekam jeder eine dreistellige Nummer und jemand, der irgendwo hinter einem stand, der sagte dann irgendwann mit monotoner Stimme so was wie „Nummer 642 in Kabine 13“.
    Wenn da jemand Probleme mit deutschen Zahlen oder seinen Ohren hat, dann hätte er echt ein Problem. Warum es da keine optische Anzeige gab, weiß ich nicht.

    1. Das ist in der Tat keine sehr glückliche Vorgehensweise. Nie an Inklusion gedacht, diese Leute! Ich muss den Leuten bei uns wirklich ein Kränzchen winden. Bis auf einen einzigen Herrn an einem Schalter waren alle sehr gut geschult, haben im Zweifel auch mal die Maske abgenommen oder sehr deutlich gesprochen. Bei uns hat sich offensichtlich bezahlt gemacht, dass man ja zuerst die Ältesten geimpft hat, von denen ja viele Gehörprobleme haben. Weshalb man das in Deutschland nicht gerafft hat, verstehe ich nicht.

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