Tag drei

Soll man überhaupt schreiben, wie es wirklich gewesen ist? Soll ich schreiben, dass bei mir die Nebenwirkungen der ersten Impfung ein Sonntagsspaziergang mit Stolpersteinen gewesen sind? Oder ist das reines Gejammer, das nur anders „Denkenden“ in die Karten spielt? Nun, ich schreibe jetzt einfach, wie es gewesen ist. Gerade, weil sich möglichst viele impfen lassen sollten. Man tut es ja nicht nur für sich selbst, sondern dafür, dass möglichst viele immun werden. Ein Akt der Solidarität darf ja auch etwas Mut brauchen, oder nicht?

Tag 1: Die Ärztin legt einen Tupfer auf die eben geimpfte Stelle. Da ist ein Blutstropfen von der Grösse eine Zehnrappenstücks. „Nehmen Sie Blutverdünner?“ fragt sie. Ich: „Nein, nein!“ Ich denke: „Wieso macht sie jetzt wegen eines Blutstropfens ein Drama?!“ Mein Arm schmerzt ein bisschen. Ich erinnere mich, wie meine Mutter nach beiden Impfungen über Schmerzen im Arm geklagt hat. „Seit wann ist meine Mutter so wehleidig?“ fragte ich mich damals. Dieses leise Ziehen im Arm, man kennt es doch von der Grippeimpfung! Das ist doch keine Sache!

Tag 2: Ich habe schlecht geschlafen, weil ich mich nicht auf den geimpften Arm legen konnte. Sonst alles bestens.

Tag 3: Ich habe schlecht geschlafen, weil die leiseste Berührung des geimpften Armes mit irgendetwas mich aufwinseln liess. Umdrehung nach links: unmöglich. Meine Güte, das sollte doch keine grosse Sache sein, denke ich. Zudem habe ich einen merklichen Hörnachlass. Ach Gott, das ist doch nicht so schlimm! Nicht auszudenken, was mit meinen Ohren passieren würde, wenn ich Covid-19 bekäme! Schon eine Grippe kann die armen Kerle monatelang ausser Gefecht setzen. Am Mittag kann ich den Arm nicht über die Schulter heben und bin schlecht gelaunt, ach was, ich bin ein geballter Haufen Negativität. Der dritte Tag ist immer der schlimmste, das weiss ich aus einem Roman, ich weiss nicht mehr welchem. Vielleicht einem Boxerroman, in dem der Protagonist häufig Prügel einsteckte? Habe ich je einen Boxerroman gelesen? Einerlei, ich verlasse mich jetzt einfach darauf. Sowieso: Es kann auch an der Stimmung im Büro liegen. Langsam wagen sich einige aus dem Homeoffice zurück. Seltsamerweise ist es diesmal nicht das reine Glück wie im letzten Sommer, sondern alte Spannungen treten zutage. Kaja fragt, wie meine Erstimpfung gewesen sei. Ich sage erst nicht viel. Aber sie fragt mich haarklein aus, und ich erzähle vom schmerzenden Arm. „Seltsam“, sagt sie, „mein Mann ist auch wehleidig, aber darüber hat er nicht geklagt.“ Normalerweise hätte ich gelacht, aber jetzt fühle ich brandschwarzen Groll. Nun, man soll nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, denke ich. Auf dem Nachhauseweg merke ich, dass ich den Arm wieder heben kann.

Tag 4: Ich schlafe immer noch schlecht, aber am Morgen erwache ich dann doch auf dem linken Arm liegend. Sag ich’s doch: Der dritte Tag ist der schlimmste.

Tag 5: Alles paletti, ausser einem kleinen Kater, den ich mir beim wunderschönen Gartenfest mit Freunden zugezogen habe. Einer von ihnen gehörte zu den letzten, die als Baby keine Polio-Reihenimpfungen bekamen. Er bekam dann Polio, als Kind und ist heute merklich gehbehindert. Fragt mal ihn, ob er je am Sinn der Covid-19-Impfung gezweifelt hat.

27 Gedanken zu „Tag drei“

  1. immerhin hast du die impfung überlebt… und wirst hoffentlich unter keinen langzeitwirkungen leiden.
    solidarität ist gut. aber „nein“ sagen ist auch wichtig, wenn man zweifel hat.

    1. Ich habe keine Zweifel. Ich bin mir absolut sicher, dass ich mit der Impfung besser fahre als mit einer Erkrankung an Covid-19. Und, ja, Solidarität ist gut.

      1. darf ich fragen, warum du so sicher bist?
        es werden wohl noch ein paar impfungen folgen…
        mir ist die impfstrategie nicht klar. und ich vertraue auch den hochgepriesenen impfstoffen nicht. deswegen lasse ich mich ungern als unsolidarisch oder gar als asozial beschimpfen. ich meine jetzt nicht dich. aber das mediale echo ist sehr einseitig und absolut nicht faktisch – jedenfalls nicht im sinne eines wissenschaftlichen diskurses.
        vertrauen auf die regierung, die corona-wissenschaft und die leitmedien ist mir etwas zu wenig, um einen solchen eingriff wie die injektion eines impfstoffes an mir vornehmen zu lassen… so gefährlich erscheint mir corona in meiner persönlichen abwägung nicht.

        1. Doch, ich vertraue den Medien. Ich weiss, wie Journalismus funktioniert, und ich habe verfolgt, wie genau sich die zuständigen Kolleginnen und Kollegen mit der Materie auseinandergesetzt haben und was Journalisten generell leisten, um die Wahrheit zu etablieren oder wenigstens die bestmögliche Annäherung an sie. Von Berufes wegen habe ich mich auch mit einigen Zweiflern auseinandergesetzt, keiner hat mich annähernd überzeugt. PLURV, sage ich nur.

          Ich muss gestehen: In der Schweiz fand ich die Eingriffe des Staates gegen Covid-19 in der schlimmsten Phase sträflich nachlässig. Und was ich bei den anders „Denkenden“ sehe ist ein starker Einfluss libertärer und rechtsextremistischer Kreise, und beide politischen Strömungen sind mir grundsätzlich ein Gräuel. Da vertraue ich lieber unserem Bundesrat.

          Ich vertraue auch der Wissenschaft. Ich habe selbst an einer Uni studiert und kenne die elementaren Mechanismen des Wissenschaftsbetriebes. Was mich dagegen überhaupt nicht überzeugt, sind die zahlreichen NaturheilerInnen und GesundbeterInnen, die mir auch in dieser Pandemie begegnet sind. Ich bin chronisch krank, ich kenne diese Szene aus bitterer Erfahrung. Profitgier und Schwindeleien und vielleicht mal ein Fingerzeig in eine positive Richtung – das reicht nicht für die Bekämpfung einer Pandemie. Das ist ein hartes Urteil, ich weiss. Aber ich habe es mir durch Erfahrung erworben.

          Der Impfung begegne ich mit Respekt. Ich weiss, dass das neuartige Verfahren sind, aber, siehe oben. Meine letzte Grippe (2004) bezahlte ich mit drei Monaten massiver Gehörprobleme und einer Woche heftiger Schwindelanfälle – und damals war ich noch relativ gesund. Wenn ich jetzt Covid-19 bekäme, fürchte ich das Schlimmste. Da ziehe ich die Nebenwirkungen der Impfung einer Erkrankung vor. Sollte es schlimm werden, nun, dann ist Leben lebensgefährlich. Aber man wählt im Zweifel die kleineren Risiken.

          1. genau: leben ist lebensgefährlich. das meine ich auch. du siehst es von deiner seite, ich von der meinen…, die ich auch gut begründen kann. mit verschwörungsschwurblern, dubiosen scharlatanen oder rechtsextremer meinungskaperung habe ich nichts am hut. meine meinung bildete ich mir, indem ich verschiedene quellen, auch alternative medien und kritische wissenschaftliche meinungen anhörte. diese sind nicht alle zu diskreditieren, auch wenn das dir regierungen, welche ihre einseitige corona-strategie verfolgen, gerne wollten.
            ich vertraue meinem „bauchgefühl“ sowie meinem kritischen verstand. verarschen lasse ich mich ungern. schon gar nicht von menschen, die ich seit jeher skeptisch betrachte, die das volk schon vor corona in vielen angelegenheiten belogen.

          2. Ja, wir sehen es nicht von derselben Seite, das ist richtig. Die „kritischen Stimmen“ aus der Schweiz werde ich mir kritisch anschauen. Generell schätze ich es nicht sonderlich, wenn man meinen Blog als Plattform für solche Statements nutzt, und ich werde mir möglicherweise erlauben, sie zu löschen. Damit werde ich mir erlauben, meine redaktionelle Freiheit auf meinem Blog wahrzunehmen.

          3. Meinst Du denn, ich kenne diese „kritischen Stimmen“ nicht? Wie gesagt, von Berufes wegen habe ich in den letzten 14 Monaten gefühlte Jahrzehnte damit verbracht, „kritische“ Stimmen zu lesen und zu hören. Ich erlaube mir, das in meiner Freizeit nicht zu müssen.

          4. Habe schon kapiert, dass du dich entschieden hast. An dich ist bei diesem Thema kein Rankommen mehr. Wie bei vielen anderen auch. Jeder Mensch hat seinen Erfahrungsschatz… Keiner von uns ist deswegen im Besitz der Wahrheit. Ich betrachte mir seit Beginn der Pandemie beide Haltungen dazu im politischen, wissenschaftlichen, kulturellen und rein menschlichen Bereich und kam für mich zu dem Schluss, dass wir größtenteils bei dieser Pandemie einer Inszenierung aufsitzen.
            Natürlich akzeptiere ich deine Haltung. Und ich akzeptiere die Ängste meiner Mitmenschen, die leider ausgenutzt werden. Die Propagandamaschine läuft auf Hochtouren… Entschuldige, aber das ist nunmal meine Meinung in dieser Sache.

          5. Es tut mir leid, aber fünf Minuten haben mir gereicht. Ich finde diese YouTubes schon formal grauenhaft. Dieses endlose Einführungsgelaber, dann will er uns erst mal mit seiner Belesenheit beeindrucken. Ich will diese Videos nicht auf meinem Blog.

          6. Ich wollte es jetzt mit etwas Verspätung doch noch loswerden: diese Antwort hat mich in ihrer Ausgestaltung, ihrer Direkt- und Klarheit und vor allem ihres Inhalts wegen sehr beeindruckt.
            Und deine Offenheit, diese kleine Debatte auf deinem Blog zuzulassen, ebenso (ich hätte vermutlich zwischendrin kapituliert – nicht in Ermangelung einer Haltung oder Argumentation, aber vor Unmut und Ärger).
            Herzlich aus München,
            Frau Kraulquappe

          7. Danke für das Kompliment! Mir hat es geradezu gutgetan, mal klipp und klar zu sagen, was ich denke. Ich eiere ja in meinem Job schon schon 14 Monate um dieses Thema herum, und dort darf ich das nicht. Hier konnte ich endlich mal Klartext reden, und ich bin sehr dankbar, dass das auch gelesen (und geschätzt) wurde. Vielleicht bedeutet es den Verlust einer langjährigen Blogbekanntschaft, das bedaure ich sehr. Aber mich hat’s erleichtert.

          8. Danke Dir, acqua! Ist schon längst ausgestanden. Es geht tiptop. Wie geht’s Dir eigentlich so? Ausser dem Geimpftsein, meine ich.

  2. Ich hatte auch ein paar Nebenwirkungen (bin auch auf BionTech ;)), aber eher das Übliche… am Tag danach eine tiefe Erschöpfung, Müdigkeit und Kopfschmerzen, und der Arm fühlte sich wie Pudding an, bisschen unbrauchbar 😉
    Aber es ist wohl eh so, dass: je jünger, desto stärker die Immunantwort, sprich also die Nebenwirkungen. Die große Erleichterung war allerdings sofort da… alles fühlt sich seither wieder soviel entspannter an, weniger bedrohlich und Möglichkeiten tun sich plötzlich auf, die man lange gar nicht zu denken wagte, Stichwort Kindergarten, aber auch anderes. Das Lebensgefühl mit Schutzimpfung, ohne diese permanente Sorge im Hintergrund, ist definitiv ein sehr viel besseres … erlebst du das auch so? Herzliche Grüße von zora

    1. Die grosse Erleichterung! Nein, bei mir war es nicht so. Es dauert ja eine Weile, bis die Immunantwort des Körpers wirklich da ist. Bei den meisten anderen Leuten hat hierzulande diese Erleichterung aber tatsächlich schon eingesetzt, weshalb sie sich im Bus hemmungslos neben einen setzen, im Supermarkt drängeln und generell achtloser geworden sind. Mein Ärger ist daher eher wieder stärker. Definitiv erleichtert bin ich aber darüber, dass ich mit meinen vollständig geimpften Eltern wieder an einem Tisch sitzen kann, ohne dass auch noch ständig die Angst daneben sitzt, dass man ihnen eine tödliche Krankheit eingeschleppt haben könnte. Ditto mit meinen ebenfalls vollständig geimpften Hochrisikopatienten-Freundinnen und -Freunden.

      1. Hier ticken auch schon manche aus und gerieren sich, als wäre die Sache mindestens geritzt, wenn nicht gar komplett vorbei. Der Supermarkt, in dem ich meist einkaufe, hat sich daher wieder einen „Türsteher“ geholt…

        1. Kluger Entscheid von Deinem Supermarkt. Wenn Du hier auf der Strasse unterwegs bist, denkst Du, es sei alles ausgestanden. Türsteher? Nö, das könnte ja was kosten.

      2. Mit dem Gefühl von Entspanntheit und Erleichterung meinte ich nicht, dass ich mich außerhalb nun unaufmerksam verhalte oder gar gehen lasse, sondern nur meine eigene Gewissheit nicht mehr in Gefahr zu sein, falls einem doch jemand zu nahe kommt, sei es, weil vorsätzlich, fahrlässig oder unbeabsichtigt zu wenig Abstand eingehalten wird und man selber keine Chance mehr zum Ausweichen hat oder die Kinder es demnächst dann aus der Schule einschleppen oder dergleichen… da muss ich mir fortan zumindest keine Sorgen mehr machen. Und allein diese Gewissheit ist schon sehr wertvoll und beruhigend… aber ändert in meinen eigenen Verhalten sicher nichts; außer meinen Eltern gegenüber, die schon durchgeimpft sind. Alles andere bleibt wie gehabt 😉

        1. Das glaube ich Dir ohne weiteres, liebe Zora! Ich weiss auch, dass man mit Kindern nochmals eine ganz andere Perspektive auf die ganze Sache hat: Weil die eben in die Schule gehen und man jeden Tag Gefahr läuft, dass sie das Virus nach Hause bringen. Ich denke, da hilft jede Minute, in der man sich ein wenig sicherer fühlt. Ich glaube auch, in Deutschland ist die Situation anders als bei uns. Hier bewegen sich die Leute auf der Strasse wieder so, als wäre nie was gewesen. Und das finde ich doch etwas gar voreilig.

          1. Das ist es und würde mich zu diesem Zeitpunkt sehr befremden… zumal auch gar nicht klar ist, was da schon wieder an neuen Varianten unterwegs ist; gerade einen Artikel über die indische gelesen, klingt nicht gut!

  3. Ja, habe ich auch. Noch können wir das beste hoffen, weil man einfach zu wenig weiss. Aber das alles ist sicher sehr bedenklich.

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