Der Mann, der gestern Abend unsere Wohnung betrat, war tatsächlich jener Jungpolitiker, den ich mit einer gewissen Beklommenheit erwartet hatte. Ich hatte ihn gegoogelt und erkannte ihn auch unter der Maske.
„Sie können die Maske gerne ausziehen, wir sind beide geimpft“, sage ich. Mit Maske würde ich ihn unmöglich verstehen, aber das muss ich jetzt nicht sagen. Der Versicherungsagent nimmt die Maske ab und sagt: „Ja, und ich habe es gehabt und bin seit zwei Wochen wieder gesund.“ Ich muss nicht fragen, was „es“ war. Ich frage: „Und, wie war es?“
„Wie eine heftige Grippe“, sagt er und beschreibt die Symptome und einige Verwirrung um seine Tests. So verlaufen heutzutage also Kennenlern-Gespräche. Es stellt sich heraus, dass er mich ebenfalls gegoogelt hat und weiss, dass wir schon Schriftverkehr gehabt haben, mit ihm als Kunden. Nicht durchwegs positiven, wie er sich erinnert. Es könnte sein, dass ich ihn etwas stiefmütterlich behandelt habe. Das wäre natürlich unprofessionell von mir gewesen, und ich entschuldige mich kurz. Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass ihn die Situation mehr verunsichert als mich. Er ist für einen Versicherungsagenten ungewöhnlich zurückhaltend, fast mürrisch. Dafür macht er gar keine Anstalten, unsere Wohnung zu inspizieren. So bin ich etwas lockerer, und mit der Zeit hellt sich die Stimmung auf. Schliesslich werden wir handelseinig. Als ihm Herr T. noch unseren Nordbalkon mit Blick auf den sagenhaften Innenhof zeigt und wir in eine fachmännische Diskussion über ortsübliche Mietzinsen geraten, bricht so etwas wie Freundlichkeit durch.
Ich hatte vor ca. 2 Wochen einen Termin, den ich in Person und vor Ort wahrnehmen musste. Mein Gegenüber erwähnte zum Schluss, dass sie und ihr Mann im heurigen April im privaten Kreis C geholt hatten. Ich fragte sie natürlich, wie es ihr nun geht.
Sie berichtete mir, dass sie auch vorher ständig Grippe hatte und C ihr eher dagegen harmlos vorkam. Aber sie gab auch zu, dass ihr Geschmackssinn seitdem noch nicht zu 100 % wieder zurückgekehrt ist.
Es freut mich zu lesen, dass die Begegnung doch angenehmer verlaufen ist als anfangs befürchtet.
Ja, das war in der Tat erfreulich. Ich weiss nicht, ob es nur mir so geht – aber es ist immer meiner Erwartung gewesen, dass man auch in einer kurzen geschäftlichen Begegnung zu einer gewissen Freundlichkeit findet. Aber unser Zusammenleben ist so merkwürdig geworden in diesen letzten Monaten (noch verstärkt durch die Schwerhörigkeit), dass nicht einmal mehr das selbstverständlich ist.