Die Fallzahlen steigen auch in der Schweiz. Die Bundesregierung in Bern beobachtet wieder mal untätig die Lage. Dafür sind die Massen in Aufruhr. In Zürich demonstrieren Tausende gegen 3G und das Covid-19-Gesetz. Was das für Leute sind, bekomme ich aus beruflichen Gründen besser mit als mir lieb ist. Sie verstecken sich hinter einem Haufen pseudowissenschaftlichem Bullshit. Aber in Wirklichkeit sind ihre Motive ganz einfach: Die Mehrheit will für ein 3G-freies Bier ohne zu zögern die eigene Grossmutter an den Sensemann verkaufen. Die Anspruchsvolleren wollen dazu auch gleich noch einen neuen Staat. Sie sind für ihre Umsturzpläne bei Donald Trump in die Lehre gegangen, das erkennt man an der Konstruktion ihrer Lügen. Und dann gibt es noch Leute, die echte existenzielle und/oder psychische Probleme haben, über die man aber wenig weiss. Nur so viel ist bekannt: In der Innerschweiz leiden viele an einem Wahn, bei dem sie sich für Wilhelm Tell halten und Gesundheitsminister Alain Berset in Bern für den fremden Vogt. Solche Menschen haben im Massenaufruhr ihr Glück und ihre Heimat gefunden.
Bei Herrn T. und mir geht es gesetzter zu und her. Wir hatten Bekannte hier zu Kaffee und Zuger Kirschtorte, alle geimpft, und wir hielten Abstand. Als der Besuch gegangen war, blätterte ich in leicht melancholischer Stimmung in „Krankheit als Metapher“ von Susan Sontag. Es gibt dort eine kurze Passage über Epidemien: „Wie jede Extremsituation bringen gefürchtete Krankheiten das beste und das Schlimmste im Menschen zum Vorschein“, schreibt sie. „Die üblichen Erzählungen über Epidemien betonen jedoch die verheerende Wirkung der Krankheit auf den Charakter. Je weniger sich der Chronist auf die Annahme stützt, dass die Seuche eine Strafe für die Schlechtigkeit der Menschen ist, desto eher wird die Chronik den moralischen Verfall betonen, der sich bei der Ausbreitung der Krankheit manifestiert. Thukydides berichtet anschaulich, auf welche Art und Weise die attische Seuche von 430 vor Christus Unordnung und Gesetzlosigkeit säte (‚das Vergnügen eines Moments nahm den Platz der Ehre und des klaren Denkens ein‘.)“*
Als ich das im Frühjahr 2020 zum ersten Mal las, schien es wenig mit Covid-19 zu tun zu haben. Aber wie heil mir die Welt von 2020 bereits scheint! Damals hatten wir zwar einen Schock und einen Lockdown. Aber noch keine „Liberté!“ skandierenden Menschenmassen.
Zum Schluss nur noch dies: Wer will, dass in der Schweiz das klare Denken die Oberhand behält, stimmt am 28. November Ja zum Covid-19-Gesetz,
*Susan Sontag: „Illness as Metaphor and AIDS and its Metaphors“, New York, 1990, Seiten 40 und 41, aus dem Englischen übersetzt von Frau Frogg.
In tu felix Austria ist es auch nicht viel anders.
Ich hätte noch so viel zu der grotesken Situation kommentieren können, aber ich lasse es sein.
Liebe Grüsse aus meiner Vereinzelung!
Ja, grotesk ist das richtige Wort! Ich wünsche Wärme, starke Nerven und gute Gesundheit in diesem Winter.