Wenn Frau Frogg telefoniert, begegnet sie Kreaturen, die ihr nicht ganz geheuer sind. (Quelle: mixology.eu)
Neulich hatte ich im Geschäft einen Kunden am Telefon. Das kommt nur noch selten vor. Aber manchmal lässt es sich nicht vermeiden. Er ist ein schwieriger Kunde, ich kenne ihn schon lange. Ich konnte ihm – einmal mehr – nicht geben, was er wollte. Er wurde wütend und begann zu brüllen. Er sagte Dinge, die anfingen mit: „Sie werden schon sehen, dass…“ und: „Irgendwann wird…“, der Rest ertrank im Gedröhn seiner Stimme. Wahrscheinlich waren es düstere Prophezeiungen an die Adresse meines Geschäfts. Ich kenne die Leier. Ich sagte immer nur „Ja“. Vermutlich hatte er das Gefühl, er rede gegen Wände. Das tut er auch. Er redete gegen die Wände in meinen Ohren.
Eine Freundin von mir ist Sozialarbeiterin. In jüngeren Jahren hat sie auf Französisch eine Diplomarbeit über Schwerhörigkeit geschrieben, für das sie Frauen mit Gehörproblemen interviewt hat. Telefonieren, schreibt sie, scheine für sie alle „la bête noire“ zu sein. Das schwarze Tier. Eine Redensart, die ich zuerst googeln musste. Laut linguee.de heisst es so etwas wie „ein rotes Tuch“ oder „ein Dorn im Auge“.
Ich kann nicht sonderlich gut Französisch, und ich weiss nicht, wie der Ausdruck im Alltag verwendet wird. Im Zusammenhang mit dem Telefonieren scheinen mir diese Übersetzungen aber verharmlosend. Telefonieren reduziert Kommunikation auf Stimme und Laute – das ist für Normalhörende das Wesentliche und total effizient. Als ich noch gut hörte, habe ich halbe Nächte durchtelefoniert. Es war herrlich. Aber jetzt fällt für mich beim Telefonieren fast alles weg, was Kommunikation auch noch gelingen lassen kann: Mimik, Lippenbewegungen, Gestik, Situationskomik. Telefonieren konfrontiert mich mit meiner ganzen Unzulänglichkeit, und es ist dazu noch dröhnend anstrengend. Wenn ich „la bête noire“ lese, fällt mir ein, dass die Begegnung mit einem schwarzen Hund in der angelsächsischen Kultur etwas sehr Düsteres bedeutet: Der schwarze Hund gilt als Wächter am Tor zur Unterwelt, und wenn er uns auf der Strasse begegnet, begegnet uns eine Ahnung von Gefahr und Versagen. Das trifft es besser.
Mittlerweile habe ich gute Technologie zum Telefonieren, und mein neuer Computer im Büro hat eine super Akustik. Aber oft bringe ich mich mit Ausflüchten über die Runden, dann erledigen unsere Sekretärinnen das Nötigste. Man erreicht mich immer per E-Mail. Letzthin hatte ich einen Kunden, bei dem ich nach einigen E-Mails vermutete, dass er per Telefon einfach ein paar anzügliche Sprüche machen wollte. Ich liess mich ein paarmal verleugnen, bis mein Stellvertreter im Haus war. Dann sagte ich zur Sekretärin: „Wenn Herr P. wieder anruft, gebt ihm bitte meinen Stellvertreter. Ich finde, Herr P. sollte mit einem Mann telefonieren.“