

Am Morgen lese ich immer als erstes die am Vorabend in die Druckerei geschickte Zeitung. Das ist mir zugleich Arbeit und Vergnügen. Nie habe ich meinen Vater verstanden, der sich schon beim Rasieren vom Radio die Schlechtigkeit der Welt vorführen liess. Zeitungen haben im Vergleich dazu etwas wohltuend Unaufgeregtes. Auch am Donnerstag, 24. Februar, holte ich zuerst das Print-Produkt aus dem Kasten und las. Nichts Unerwartetes.
Dann ging ich ins Büro. Dabei galt es, dem Hochbetrieb in der Altstadt auszuweichen: Es war Schmutziger Donnerstag, also Fasnacht. Hierzulande sind vor kurzem fast sämtliche Covid-Massnahmen aufgehoben worden, jetzt wollen die Leute feiern. Als Alteingesessene kenne ich die beste Ausweichroute und ziehe fast ungehindert am Gotthardhaus vorbei über die Seebrücke. Sie ist breit genug für ein paar Karnevalsgestalten und mich. „Das ist also der Tag, an dem das Wort ‚Maske‘ zwei Bedeutungen bekommt“, grinse ich, ziehe mir an der Bushaltestelle meine FFP2 über und steige für den letzten Kilometer in den Bus.
Im Büro starte ich meinen Computer, werfe einen Blick auf die News im Internet und bekomme es nun schlagartig mit: Putin hat am Morgen die Ukraine überfallen. Ein Schock! Er hat die Maske der Verhandlungsbereitschaft abgelegt, mit der er die Welt so lange zum Narren gehalten hat. Bis zum Mittag habe ich die Bilder gesehen: Flüchtende Eltern mit ihren Kindern in einer U-Bahnstation. Es könnte hier in der Nähe sein. Dort zahlen Millionen Menschen den grausamen Preis dafür, dass sie leben wollen wie wir. Dort zerschellt die Illusion, dass die Kriege der Grossmächte auf europäischem Boden vorbei sind. Ich weine ein bisschen, allein in meinem kleinen Büro.
Auf der anderen Seite des Korridors sehe ich die Kollegen von der Lokalredaktion. Ihr Job: Fasnachtsberichterstattung. Früher war das immer ein Alptraum der Hektik und Planlosigkeit. Aber sie haben jetzt den Sänger zum Chef, dessen Natur es ist, gute Laune zu verbreiten. Sie sind in heiterer Stimmung. Die Ausland-News werden zwar woanders gemacht, und doch muss der Sänger dieses ganze, verzweifelte Auseinanderklaffen der Welt im Auge behalten. Ein Lächeln umspielt seine Lippen, aber ich beneide ihn nicht.
Am Abend ging ich wieder durch feiernde die Menge. Ich war traurig und wusste nicht, was ich über den ganzen Mummenschanz denken sollte. Aber ich weiss, was die Schweiz jetzt tun muss: Sie muss ihre Maske der Unbeteiligtheit ablegen. Hey, in der Schweiz sind die Fäden des internationalen Rohstoffhandels verknüpft! Wir müssen doch mithelfen können, diesen Irrsinn zu stoppen!