Der Teufel als Hoteldirektor

Laird Cregar am Empfang zur Hölle im Hollywoodfilm „Ein himmlischer Sünder“, (1943)

Mein persönliches Ende scheint wieder in die Ferne gerückt zu sein – daher mutet es vielleicht merkwürdig an, wenn ich mich jetzt mit Jenseitsvorstellungen auseinandersetze. Aber ich finde das Bild oben aus dem Film von Ernst Lubitsch einfach zu köstlich, um es Euch vorzuenthalten. Daher dieser Blogbeitrag.

Es stellt Luzifer am Empfang zur Hölle so dar, wie man sich in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts einen Bank- oder Hoteldirektor vorstellte – jovial, aber höchst seriös führt er ein exklusives Etablissement. „Einen Pass zur Hölle bekommt man nicht auf Grund von Allgemeinplätzen“, sagt er zum Protagonisten des Films, der den Empfang eben betreten hat und merkwürdigerweise in der Hölle Einlass begehrt.

Der Streifen basiert auf einer volkstümlichen Jenseitsvorstellung des 20. Jahrhunderts. Sie besagte ungefähr, dass wir armen Sünder nach dem Hinschied erst mal bei Petrus an die Himmelstür klopfen. Petrus wird uns entweder einlassen oder – falls wir auf Erden zu sehr gesündigt  haben – zur Hölle schicken. Diese Vorstellung bot sich im 20. Jahrhundert auch für zahlreiche Witze an. Wer einen erzählt bekommen will, melde sich bitte – das hier ist eine ernste Sache.

Warum also meldet sich Henry van Cleve, Held von Lubitschs Film, nicht zuerst bei Petrus an, sondern kommt bussfertig gleich in den unteren Stock? Er beteuert, habe ein Leben dauernder Verfehlungen geführt. Doch muss er das erst genauer erklären, denn der satanische Herr am Empfang will ihm nicht glauben.

Henry breitet also seine Vita aus, die eines reichen Schürzenjägers, der seine Ehefrau verschiedene Male betrog.

Der Film kam neulich auf Arte, und schnell wurde mir klar, dass man ihn für militante Twitterblasen wohl mit einem Warnhinweis versehen müsste – er ist getragen von einem höchst altmodischen Frauen- und Männerbild. Zum Glück haben die Mitglieder der militanten Twitterblasen keine Zeit, solche alten Streifen auf Arte anzuschauen – und wir Ü50 haben gelernt, dass es keinen Sinn macht, die Filme vergangener Generationen unbesehen zur Hölle zu schicken, nur, weil sie andere Gender-Vorstellungen vertreten als wir. Es ist eine charmante Komödie, ein Zeitvertreib für Menschen, die für ein paar Stunden ihre Ängste vergessen wollen (es war gerade Zweiter Weltkrieg, als er in die Kinos kam). Er legt nahe, dass wir es auch im Jenseits einmal mit kompetentem und verständnisvollem Personal zu tun haben werden. Das ist doch tröstlich.

Weniger tröstlich, aber irgendwie doch plausibler dünkt mich die Jenseitsvorstellung der Stoiker, die Ferdinand von Schirach neulich in einem Interview zusammenfasste. Er bewies im Gespräch ebenfalls viel Stil. Den Tod müsse man nicht fürchten, sagt er. Der Tod sei „ein Zustand wie vor der Geburt. Epikur sagte, solange wir da sind, ist der Tod nicht da, und sobald er da ist, sind wir es nicht mehr.“ Mit dem glauben an Hölle und Fegefeuer sei es vorbei, sagt Schirach. „Ich habe lange darüber nachgedacht, warum wir den Tod trotzdem noch fürchten. Ich glaube, es ist nur der Neid, dass die anderen weiterleben dürfen, man selbst aber nicht.“ Das ganze Interview findet sich hier.

Alteisen und künstliche Intelligenz

Einmal im Jahr noch sehe ich Veronika, weil ihr Sohn Tim mein Patensohn ist. Ich begegne ihr jeweils, wenn ich ihm am ersten Weihnachtstag sein Geschenk überbringe. Er wird bald 18. Sie arbeitet mit 57 an ihrer Doktorarbeit und redete mir an unserem halbstündigen Treffen die Ohren voll über künstliche Intelligenz.

Selten fühle ich mich jeweils so sehr zum alten Eisen versetzt wie bei diesen jährlichen, kurzen Treffen mit Veronika. Ich meine: Seit Jahr und Tag versehe ich, auch 57, ein- und denselben Job. In meinen Lebensumständen die Stelle wechseln zu wollen, wäre – vorsichtig ausgedrückt – bekloppt. Daneben spaziere, fotografiere und meditiere ich, ohne grössere Ambitionen. Einfach, weil es mich glücklich macht. Jaja, künstliche Intelligenz habe ich auch schon ausprobiert. Ich bin ja auch noch Hobby-Schriftstellerin.

Aber wenn Veronika zu mir spricht, dann fühle ich mich abgehängt wie ein rostender Bahnwaggon auf einem Abstellgleis – ein Memento des Industriezeitalters inmitten herumsausender Bytes und Bits. Und wer „Memento“ denkt, denkt auch gleich „memento mori“ – vergiss nicht, dass Du sterben wirst. Ob sich meine früheren Freundinnen an ihre Hinfälligkeit erinnern, wenn sie mich sehen?

Zum Glück fand ich wenig später ersten Trost bei meinem Lieblingskolumnisten Daniel Binswanger in der „Republik“. Sein Text vom 7. Januar, Die Ökologie des Verschwendens, ist ein einziger Aufruf dazu, den zweckfreien Genuss wieder zu erlernen. Denn nur wenn wir uns der kapitalistischen Logik des ständigen persönlichen und materiellen Maximaleinsatzes entzögen, könnten wir die Welt vor dem Klimakollaps retten, so seine These: „Um Ressourcen zu sparen, müssen wir wieder lernen, zu verschwenden: unsere Zeit. Wir müssen die Welt so annehmen, wie sie ist. Bei ihr verweilen. Um sie zu betrachten und zu feiern.“ Das ist ja ungefähr das, was ich tue. Und es hat also durchaus einen Sinn. Es ist eigentlich sogar das einzig richtige.

Ich wollte mir aber beweisen, dass ich dennoch auf der Höhe der Zeit stehe und befragte künstliche Intelligenz zum Thema, genauer, GPT-3, hier zu finden. Ich frage: „Gehören Menschen ab 57 zum alten Eisen, wenn sie seit Jahren den gleichen Job haben?“

GPT-3 antwortet spitz: „Nein, das denken nur diejenigen, die selbst alt und eingeschlafen sind.“

„Lieber blind oder taub?“ Die schlagfertige Antwort

Jede Schwerhörige kennt das. Sobald sie sich in einer Konversation als schwerhörig outet, kommt vom Gegenüber: „Nein so etwas! Aber zum Glück bist Du nicht blind! Das wäre ja noch viel schlimmer.“ Obwohl ich dieses Gesprächshäppchen in den ersten Jahren meiner Schwerhörigkeit gefühlte 200 Mal zu kosten bekommen habe, habe ich mich jahrelang immer wieder daran verschluckt. Ich meine, was sind das für Menschen, die so etwas zu einer schwerhörigen Person sagen?! „Hast Du kein Herz oder keinen Kopf oder fehlt Dir beides?!“ möchte man sie fragen. Aber das wäre denn doch zu grob.

Am liebsten möchte ich Halbfremden ja gar nichts über meine Schwerhörigkeit sagen. Aber ich muss. Denn ich muss ihnen erklären, warum ich sie nicht auf Anhieb verstehe, vielleicht zwei- oder, oh Schreck, dreimal nachfragen muss. Mit der Zeit habe ich gelernt, dem blind/taub-Häppchen präventiv auszuweichen. Ich sage nun: „Weisst Du, ich höre nicht gut. Bitte sprich deutlich mit mir und schau mich an beim Sprechen.“ Dazu sind die Menschen auf Anhieb bereit, und das blind/taub-Häppchen kommt meist gar nicht erst an unseren Tisch.

Es gibt aber auch noch eine Vorgehensweise bei hartnäckigen Fällen. An Weihnachten probierte ich sie zum ersten Mal aus, bei Herrn T.’s Cousine Tiffany. Wir sehen sie immer an Weihnachten, und das blind/taub-Häppchen kommt regelmässig auf den Tisch.  Als es diesmal kam, lächelte ich kühl und sagte: „Weisst Du, wenn ich tatsächlich wählen könnte, dann würde ich als Kind die Blindheit wählen und als Erwachsene die Taubheit. Denn wer als Kind taub ist, lernt die Lautsprache nur mit sehr viel Mühe – und ohne Lautsprache ist es viel schwieriger, überhaupt etwas zu lernen. Wer als Erwachsene blind wird, hat dagegen grosse Nachteile bei der Orientierung im Raum, und das ist dann auch nicht lustig.“

Wenn Tiffany sprachlos ist, setzt sie ein süsses Lächeln auf und wechselt das Thema. Das tat sie an diesem Punkt. Gelernt habe ich diese Antwort bei Peter Lienhard, einer Schweizer Kapazität in der Forschung über Sinnesbehinderungen. In seinem Buch „Ertaubung als Lebenskrise“ (1992) setzt er sich genau mit dieser Frage auseinander, die, so schreibt er, schon Kinder stellen würden.

Für manche Menschen mit Seh- und Hörbehinderung liest sich das jetzt vielleicht abwertend – gerne öffne ich meine Kommentarspalte zu diesem Thema.