Mein neuer Job

Vom Bildschirm lächelt mich ein junger Mann an, höchstens 30, durchtrainiert bis in die Wangenmuskeln. Was um alles in der Welt macht sein Bild bei mir?!

„Passt auch ein .tif-Format auf die Seite?“ frage ich den Chef. „Ja, sollte gehen“, kommt postwendend die Antwort. Ich kopiere den Text ins Layout, ziehe das Porträtbild ins richtige Feld. Ja, .tif geht.

Dann lese ich den Text. Schnell wird klar: Der junge Mann ist bei einem Skitouren-Unfall ums Leben gekommen, 31-jährig. Er war die Aufstiegshoffnung eines KMU am Alpenrand, vor kurzem mit „der Frau seines Lebens“ in die gemeinsame Wohnung gezogen. Dann der letzte, grandiose Sonnenaufgang vor der Berghütte. Beim Abstieg ging etwas fürchterlich schief. Deshalb ist sein Bild hier, bei mir.

Das ist also die neue Aufgabe, die ich seit unserem letzten Stellenabbau zusätzlich habe: Nekrologe in die Zeitung packen. Wir haben auf dem Land noch diesen alten Brauch – man gedenkt der Verstorbenen mit einem Nachruf in der  Zeitung, maximal 5000 Zeichen (mit Leerschlägen). Die Hinterbliebenen schreiben den Text selbst. So geistern ¨die Verblichenen über meinen Bildschirm, mit einem kleinen Bild – immer schwarzweiss, wie es zum Genre gehört. Frauen, die zehn Kinder getragen haben. Männer, deren knapp bemessene Freizeit dem Jodlerchor gehörte, meist mit vom Alter gezeichneten Gesichtern. Es ist eine monotone Textsorte, die Stationen eines Lebens werden vorschriftsgemäss abgehakt. Doch oft ist viel Liebe zwischen den Zeilen, viel Familiensinn. Und dann und wann eine schockierende Geschichte.

Ich bearbeite ab jetzt um die drei Texte dieser Art, pro Woche. Auftrag ist, den Aufwand möglichst gering zu halten. Mein Chef erwartet von mir, dass ich diese neue Aufgabe mit gleichmütigem Achselzucken annehme, wie ich alles andere in den letzten Jahren angenommen habe. Sie hätten mich auch entlassen können. Diese Lösung gut für mein Portmonee, aber anspruchsvoll für mein Gemüt. Ich bin sonst die Frau für den Ärger und die Kontroversen. Damit kann ich umgehen. Dazwischen plötzlich umschalten auf Trauer und Weichheit? Ich weiss ja nicht.

Diese Nachrufe gehen mir aussergewöhnlich nahe. Ich möchte meinem Chef sagen, dass ich dem Tod eben selbst von der Schippe gekrochen bin, und dass ich Sehnsucht nach etwas anderem habe. Nach blühendem, lebendigem Leben.

9 Gedanken zu „Mein neuer Job“

  1. Boah, ist das krass… nach allem damit nun tagtäglich konfrontiert zu sein und das auszuhalten; sehr beklemmend. Weiß dein Chef denn nicht, was bei dir erst kürzlich war? Oder sind ihm solche Zusammenhänge egal?

    Viele liebe Grüße
    von zora

    1. Dochdoch, mein Chef weiss sehr genau, was kürzlich war. Ich denke, er sieht auch die Zusammenhänge. Aber er muss an das grosse Ganze denken, daran, dass er ein verkleinertes Team am Funktionieren halten muss. Ich glaube, er meint es im Grunde gut mit mir. Die neue Aufgabe stärkt meine Position im Job, wenn ich sie denn gut erledige.

  2. Wenn du das beibehalten musst, stellt es sich vielleicht letztlich als sinnvoll für den Verarbeitungsprozess von deiner Erkrankung heraus. Also wer weiß wozu es gut ist.🤔

    1. Danke Dir, Edith, das ist ein ermutigender Kommentar. Ja, vielleicht gelingt das. Mal schauen. Im Moment ist es einfach mühsam. Aber man kann fast alles lernen…

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