Meine Meinung über Nemo ist non-binär

Gesangsstar Nemo (Quelle: Facebook.com)

Am Sonntagmorgen segelte ich auf einer rosa Wolke des Patriotismus zum Frühstücktisch. Dort machte sich meine Freundin Helga aus Deutschland gerade eine Tasse Getreidekaffee. „Wir haben den Eurovision Song Contest gewonnen!“ strahlte ich. Nemo heisst das 25-jährige, non-binäre Wesen aus Biel, das am Samstagabend in Malmö ganz Europa hingerissen hatte (hier geht’s zum Film). Beim Kaffeetrinken kamen wir dann auf den kleinstaatlichen Aspekt der Sache zu sprechen. „Weisst Du, der Song Contest ist in der Schweiz schon total verpolitisiert“, berichtete ich unserem Gast. „Denn jetzt müssen wir die nächste Austragung durchführen, und die Kosten sind für ein verhältnismässig kleines Land verhältnismässig hoch. Die Rede war von 20 Millionen Euro.“ Ich grinse selbstironisch. Ich weiss, dass es schwierig ist, Deutschen zu erklären, dass wir hier in der Schweiz für irgendetwas kein Geld haben könnten.

„Ich bitte Dich!“ sagte Helga prompt, „Luxemburg ist ein noch viel kleineres Land und hat den Eurovision Song Contest in den 68 Jahren seines Bestehens viermal ausgerichtet.“ Nun ja, wo sie recht hat, hat sie recht, dachte ich. Erst später habe ich hier gesehen: Luxemburg hat sich 1993 vom Wettbewerb zurückgezogen, aus Kostengründen. Ausserdem kennt Helga das Gift der helvetischen Debatte über Fernsehgelder nicht. Die SVP, unsere Rechtspartei, will die Gebühren für das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio massiv kürzen. So ein Eurovision Song Contest, noch dazu gewonnen von einer non-binären Person – meine rosa Wolke löste sich in düsteren Vorahnungen über kommende Debatten auf.

F¨ünf Tage später muss ich leider melden, dass meine Befürchtungen sich bewahrheitet haben. Die Schweiz hält es nicht aus, einen Sieg zu geniessen. Das einzige, was wir hierzulande noch kollektiv können, ist streiten, meistens um Geld. Ich habe zwar selbst feministische Fragen zur Non-Binarität, (hier habe ich das angetönt). Aber mir wurde derart übel von der rechten Hetze gegen non-binäre Menschen allgemein und Nemo im Besonderen, dass ich in Gedanken an einen guten Ort floh: auf den Berg, auf dem Helga und ich später spazierten und uns einig waren, dass wir in unserem Alter (ich bin Jahrgang 1965) zur Non-Binarität nicht mehr unbedingt eine dezidierte Meinung haben müssen.

Aber dass wir aus dem European Song Contest nächstes Jahr ein wunderschönes Fest machen sollten, dafür bin ich ganz entschieden.

6 Gedanken zu „Meine Meinung über Nemo ist non-binär“

  1. Hm, naiv wie ich bin, gehe ich davon aus, dass die Schweiz ein reiches Land ist und zumindest im Zürcher Hallenstadion den ESC 2025 ausrichten kann.
    Den Hotels und der Gastronomie würde es gut tun.

    Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass im mittlerweile sehr politischen Grand Prix Eurovision de la Chanson eine non-binäre Person aus der Schweiz den Sieg holt. Ich meine, neutraler geht’s kaum.

  2. Ja, der Beitrag von Nemo hatte sowas flockig, süsses, kindlich Unbeschwertes. Ich glaube, das ist das, was vielen Leuten gefallen hat.

    Und, was das Geld betrifft: Ich weiss ja, dass es nahezu hoffnungslos ist, das Problem einer Deutschen überhaupt erklären zu wollen. Aber von den Reichen lernt man sparen, meine Lieben! Um die Grössenverhältnisse zu erklären: Das Gesamtbudget des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks betrug 2023 über 10 Milliarden Euro. Dasjenige der SRG, also des Schweizer öffentlich-rechtlichen Rundfunks: 1,5 Milliarden Franken. Deutschland hat ja auch rund zehnmal mehr Einwohner*innen und damit Gebührenzahlende als die Schweiz. Aus diesem Geld wird der ESC bezahlt, vorausgesetzt, die SRF-Leitung findet keinen coolen Milliardär, der die Milliönchen mal einfach so aus der Westentasche zaubert.

    Sonst wird das Geld dann halt einfach anderswo eingespart. Vielleicht bei drei coolen, eigenständigen Schweizer TV-Serien. Oder bei zwei Beteiligungen an coolen deutsch-österreichischen oder französisch-portugiesischen Filmprojekten. Oder bei einer Nachrichtensendung. Ach, wer braucht denn Nachrichtensendungen?!

    Jede und jeder von uns zahlt heute jährlich 335 Franken Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ich beklage mich nicht. Ich bin sogar dagegen, diese Gebühren zu halbieren, wie die SVP es will. Das würde den öffentlich-rechtlichen Rundfunk massiv schwächen und damit – deshalb habe ich diese unmögliche Wurmbüchse überhaupt aufgemacht – die Demokratie in der Schweiz. Auch bei uns hocken ein paar Mini-Oligarchen, die nur darauf gewartet haben, mit ihren eigenen Fernsehsendern Einfluss zu gewinnen.

    1. Vielen Dank für die Erklärung. Die Rechnung geht also (nicht) auf, liebe Frau Frogg.

      In Österreich wurde eine Reform des Gebührenbeitrages für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vollzogen. Seit diesem Jahr zahle ich weniger, aber ich gebe zu, dass ich schon lange beim klassischen Fernschauen selten den ORF aufrufe, sondern lieber bei den deutschen Sendern hängenbleibe und gern Ausflüge zu 3sat oder arte unternehme.

      So ist anzunehmen, dass der Grund ein finanzieller ist, warum ich seit knapp fünf Jahren das Schweizer Fernsehen nicht mehr hier in Österreich empfangen kann.

  3. Oh, das ist schade, dass Du kein Schweizer Fernsehen mehr sehen kannst. Bist Du sicher, dass es einen finanziellen Zusammenhang hat? Da würde ich im Namen der Schweiz um Entschuldigung für unsere Kleinlichkeit bitten.

    Ich selbst sehe auch gern arte und 3sat, vor allem seit sie bei beiden Sendern bessere Untertitel haben. Ich stelle aber fest, dass ich bei arte online gewisse Sachen nicht sehen kann, wohl auch aus finanziellen Gründen.

    1. 🙂 Das weiss ich natürlich, Herr Burisch! Aber man muss ja das vertraute Framing nicht übererfüllen, nicht? Für Alpenglühn empfehle ich die gängien Foto-Sites, da gibt es Leute, die das richtig gut können. Und ich gebe das Thema weiter an das ESC-Produktionsteam, sollte ich jemandem aus diesem Team begegnen.

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