Ein Geschenk von Herrn T.

Ich habe oft über Herrn T.’s Grossvater nachgedacht. Sie nannten ihn Fred Feuerstein, und er starb, lange bevor ich meinen Mann kennenlernte. Fred war ein Deutscher in der Schweiz, der 1942 mit Ehefrau und Tochter nach Grossdeutschland auswanderte. Was mag ihn dazu bewogen haben? War er ein begeisterter Nazi oder ein Opportunist mit selektiver Wahrnehmung? War er auf der Flucht vor Schweizer Gläubigern oder einfach glücklich über die Traumstelle im Tirol? Was dachte er über die Menschen, die in Zügen nach Osten aus Deutschland verschwanden? Wie kann man so in die Irre gehen wie Fred Feuerstein in die Irre ging?

Kaum war er in Österreich, wurde er eingezogen. Er landete als Fahrer im besetzten Frankreich. Von dort aus schrieb er Briefe an Frau und Tochter. Sie geben kaum Antworten auf meine Fragen. Aber sie erzählen – trotz gelegentlicher Interventionen der Reichszensurstelle in Berlin – viel über sein Leben als Wehrmachtsoldat in der Bretagne. Wir wollten in Frankreich seinen Spuren folgen, verloren aber den Elan dafür. Ironischerweise führte mich jedoch der Zufall genau in seine Fussstapfen, als ich mich in Plouharnel verirrte. Denn in diesem Dorf am Meer war Fred am Schluss stationiert. Daran erinnerte ich mich aber erst wieder, als Herr T. mir ein Geschenk machte, alle meine alten Blogbeiträge über seinen Grossvater sammelte und in seinen Blog stellte. Hier nachzulesen.

2 Gedanken zu „Ein Geschenk von Herrn T.“

  1. Zufälligerweise Frau Frogg, hat auch mich dieses umfassende Thema gerade die letzten Wochen,- nach mehrjähriger Pause,- wieder einmal sehr intensiv beschäftigt. Ein Teil davon ist ja schon in ihren Beiträgen zu den Briefen selbst wie auch in den dazugehörenden Kommentaren erörtert worden. Step by step vorantastend, nach Antworten suchend,- immer der Gefahr bewusst, wie schnell man im falschen Zug sitzen konnte. Und so meine ich für meine Person, sind es überwiegend eigene Fragen, die – über den Umweg der Angehörigen – eigene Antworten wollen.

    Nun habe ich mittlerweile die Seiten gewechselt. Vom ehemals „Fragenden“ zum „Befragten“. Und da muss sich jeder selbst fragen, welche Fragen er überhaupt, und wenn, wie beantwortet. Und wenn man sich in diese neue Rolle intensiv hineinversetzt, erscheint möglicherweise der „Mantel des Schweigens“ nochmals in einer ganz neuen und anderen Perspektive.

    1. Danke Dir, Menachem (wir dürfen uns doch duzen, oder?) für diesen Kommentar. Ja, es verändert vieles, wenn man zum oder zur Befragten wird, das habe ich auch schon erlebt. Gerade bei schwierigen Themen. Ich laste es Fred nicht an, dass er in seinen Briefen kaum Antworten auf meine Fragen gab. Sie richteten sich ja an seine Frau und in gewissem Sinne an seine damals noch kleine Tochter, nicht an die neugierige Schwiegerenkelin, die er ja nie kennenlernte. Was schreibt man also der möglicherweise verängstigten Frau nach Hause, wenn man im Krieg ist? Dass sie sich keine Sorgen machen soll, zuallererst. Und dann bezog man noch die nicht wachsende Wahrscheinlichkeit ein, dass die Reichszensurstelle mitlas. Und schon ist es fast verwunderlich, dass Feuerstein überhaupt so lebendig zu berichten weiss, wie er das getan hat. Das wünsche ich auch Deinen Befragern, dass Du zu berichten vermagst, aber auch zu schonen, wenn es nötig ist. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Du das kannst. Und ich hätte Lust, mitzulesen 🙂

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