Mottenalarm in der Kaffee-Ecke

Ihr erinnert Euch: Im Juni diskutierten meine jungen Kolleginnen Marina Hartkiesel und Carmen Zimmerhäckel und ich über weiblich gelesene Menschen (hier der Beitrag). Ich hatte schon vorher gewusst, was weiblich gelesene Menschen sind. Aber ich fühle mich da nicht mitgemeint, denn ich will nicht auf mein Erscheinungsbild reduziert werden. Ich erspare Euch die Details, nur so viel: Das gegenseitige Verständnis wuchs an jenem Tag nur ein bisschen. Nun ja, den Jungen gehört die Welt, dachte ich. Sie müssen sich darin einrichten. Aber ein bisschen abgehängt fühlte ich mich dann doch.

Ein solches Insekt sass hinter mir an der Wand. (Quelle tagesschau.de)
Dann brach letzte Woche in der Kaffee-Ecke Mottenalarm aus. Es stand sogar im Tagesprotokoll. Sofort wurde brach Panik aus. Es wurde so eifrig geputzt wie schon lange nicht mehr. Deshalb war wohl die Abwaschmaschine so voll, als ich neulich morgens Carmen Zimmerhäckel dort traf. Während wir so über Geschirrberge plauderten, entdeckte ich hinter meiner linken Schulter ein Insekt an der Wand. „Oh, eine Stechmücke!“ sagte ich und packte ein Papiertaschentuch aus, um sie zu töten.

So sehen Mehlmotten aus (Quelle: plantura.garden).
„Nein, das ist jetzt eben so eine Motte“, sagte Carmen. „Flurin Grünbein hat gesagt, dass sich hier Motten angesiedelt haben.“ Nun ja. Wer will schon Flurin Grünbein widersprechen? Er ist als Freizeitgärtner unter den jungen Redaktor*innen eine Autorität.

Ich machte der Stechmücke den Garaus und widersprach Flurin Grünbein. „Nein, nein, das ist keine Mehlmotte“, sagte ich mit der Autorität meiner 59 Jahre. „Das ist eine Stechmücke. Die haben ganz andere Flügel. Ich habe neulich auf X gelesen, dass gerade eine Stechmückenplage herrscht. Offensichtlich findet sie gerade auch hier im Haus statt.“

Carmen widersprach nicht mehr, und ich verspürte eine gewisse Genugtuung. Ich hoffe, sie hat mir geglaubt und jetzt ein bisschen weniger Panik. Aber ich fragte mich: Hatten wir vielleicht beides? Motten und Stechmücken? Oder ist es möglich, dass ich gar nicht mehr in der gleichen Wirklichkeit lebe wie diese jungen Leute?

14 Gedanken zu „Mottenalarm in der Kaffee-Ecke“

    1. Alsoooo, in der Küche lieber Stechmücken. Sie fressen kein Mehl, und solange man nicht in der Küche schläft, kann man sie sich vom Hals halten. Und so eine richtige Mehlmottenplage in der Küche: Lieber nicht!

  1. Erinnert mich an die Ameisen- und Fruchtfliegenplage in der grindigen Küche meines Dienstgebers. Ich bin überhaupt keine, die sich in der Küche zu einem Plausch trifft. Die Kaffeemaschine rattert so laut, da verstehe ich kein Wort und weil die Küche grindig ist, verschwinde ich schnell wieder.
    Nachdem ich den Kühlschrank an meinem ersten Arbeitstag inspiziert hatte, habe ich ihn nie benutzt.

    1. Lustiges Wort, „grindig“! Nun ja, so würde ich die Küche bei uns im Büro nicht bezeichnen. Die Abwaschmaschine haben wir in der Regel als Team selbst gut im Griff, und regelmässig reinigen dienstbare Geister überall die Oberflächen und füllen Kaffee nach. Deshalb hat es mich ja auch erstaunt, dass plötzlich Alarm ausbrach.

      Aber: Meine Rede, was das Knirschen und Surren der Kaffeemaschine betrifft!

  2. Solange es keine Wespen sind! Hab ich grade und bekomme sie nicht los.

    Ganz im ernst, mir wären Stechmücken auch lieber, als Motten und alles andere Getier. Ameisen beim Kaffee ist auch nicht schön!

  3. Jetzt, wo du es erneut schreibst, fällt mir der Ausdruck „weiblich gelesener Mensch“ wieder ein (ein Mensch, der wie eine weibliche Person behandelt wird, aber nicht unbedingt eine Frau sein muss). Manchmal frage ich mich, ob sich die Menschheit eigentlich im Laufe der Jahrhunderte wirklich biologisch so gewandelt. Anders gefragt: Gab es so etwas schon immer oder: was hätte sich Goethe darunter vorgestellt?

  4. Hallo Rabi, Deine Definition von „weiblich gelesen“ ist ziemlich präzis. Die Definition der beiden jungen Frauen war: „Alle Menschen, die in der herrschenden Geschlechterordnung diskriminiert werden.“ Das finde ich jedoch komplett verfehlt, denn es signalisiert „weiblich = diskriminiert“ und genau das wollen wir ja nicht mehr. Ich glaube nicht, dass die Menschheit sich seit Goethes Zeiten bezüglich Geschlecht irgendwie verändert hat. Es gab und gibt in allen Kulturen Trans-Personen und Menschen, die unglücklich sind mit den herrschenden Geschlechter-Stereotypen. Früher suchten halt einfach alle ihren Platz und waren verständlicherweise sehr unglücklich, wenn sie keinen fanden. Und das gilt es ernst zu nehmen, denn es kann durchaus tödlich enden. Aber die Abschaffung der Geschlechter kann nicht das Ziel sein. Besser wäre die Abschaffung der Geschlechterordnung.

    1. Die Definition zu „weiblich gelesen“ hatte ich aus dem Internet.
      Ein generelles Menschheitsproblem ist ja, dass bei Geburt vieles „unveränderbar“ festgelegt wird: Geburtsdatum, Name, Hautfarbe, Geschlecht, Nationalität etc.
      Naja, und nun mag man sich mit einigen dieser „Fix-Daten“ unwohl fühlen. Die Frage ist, wie stark dieses Unwohlsein ist und welchen Aufwand man betreiben will, um eine Änderung herbei zu führen.
      Schon als Kindergarten-Kind wollte ich lieber ein Mädchen sein und auch später hatte ich nie „typisch-männliche“ Eigenschaften. Aber trotzdem wäre ich niemals auf den Gedanken gekommen, an dem mir von Natur aus zugewiesenen Geschlecht etwas zu ändern.
      Ich glaube, mein Leben wäre ganz genauso verlaufen, wenn ich als Mädchen auf die Welt gekommen wäre. Aber vielleicht wäre ich dann verheiratet, weil es für „weiblich gelesene“ Menschen einfacher ist, einen Partner zu finden als für „männlich gelesene“. Aber das ist nur meine spekulative Annahme.

      1. Hallo Rabi, bitte entschuldige, dass ich diesen Kommentar bis jetzt nicht beantwortet habe. Ich habe ihn erst jetzt bemerkt, und er ist mir sehr nahe gegangen. Ich vermute, keine „typisch männlichen Eigenschaften“ zu haben, kann für Männer ziemlich schwierig sein. Da wird ja viel verglichen und konkurrenziert. Ob das Leben für Dich als Mädchen leichter gewesen wäre, ist allerdings schwer zu beurteilen. Ich fand es als Mädchen ungeheuer schwierig, meinen ersten Partner zu finden, weil bei uns ein absolut patriarchales Auswahlsystem herrschte. Der Status der Männer war unbestritten, und wer als Mädchen einem Mann hofierte, war komplett untendurch. Ich hoffe, dass sich das geändert hat.

        1. Wie gesagt: ich persönlich habe mich mit der Situation arrangiert. Ich habe es nicht als belastend empfunden, keine „typisch männlichen Eigenschaften“ zu haben. Als Kind habe ich gerne Fußball gespielt (das hätte ich damals als Mädchen vielleicht gar nicht gedurft).
          Nach der Schule musste ich als Mann zur Bundeswehr. Das war zwar blöd, aber dafür habe ich dort gutes Geld verdient, was die Grundlage für mein späteres „Finanzleben“ war.
          Meine spätere Arbeit in der Bank wäre als Frau genauso gewesen wie als Mann.

          Was das “
          Und die Sache mit dem Familienstand ist reine Spekulation. Ob mein Leben als „verheiratet“ besser verlaufen wäre, hängt ja vom potentiellen Partner ab.

          Was das „patriarchale Auswahlsystem“ betrifft, ist es ähnlich wie in der Politik: Es gibt Menschen, die gerne von „Vater Staat“ betreut werden wollen und alles so hinnehmen, wie es kommt, und es gibt andere, die lieber alles selber in die Hand nehmen wollen. Ich weiß nicht, ob da Männer und Frauen unterschiedlich ticken.

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