Schwerhörig: Sieben Regeln für Gespräche in der Kaffee-Ecke

Ihr erinnert Euch: Ich begann meine Serie über Gespräche in der Kaffee-Ecke mit einem Zitat von Franz Kafka. Dieser beklagte, dass die Freiheit des einzelnen gestört werde „durch das nicht notwendige menschliche Beisammensein, aus dem der grösste Teil unseres Lebens besteht.“ Wie aber unterscheiden wir, ob ein Beisammensein notwendig oder nicht notwendig ist? Sind Kaffee-Ecken-Gespräche notwendig oder nicht?

Ich glaube, sie sind es. Nicht immer, aber oft. Denn ich kann auch als Schwerhörige nicht von den Menschen wegdriften, mit denen ich das Grossraumbüro teile. Es reicht heute nicht mehr, dass ich einfach allen „hoi!“ zuflöte, wie ich das in den letzten Jahren oft getan habe. Wir sind heute soweit, dass wir sogar über die Wirklichkeit verhandeln müssen, in der wir leben (siehe weiblich gelesene Menschen und Stechmücken). Sonst wissen wir nicht, was läuft, handeln unangemessen, prallen unnötig heftig aufeinander. Dann werden wir unfrei, indem wir unsere Kräfte verschwenden.

Nun ist für uns Schwerhörige fast jede Plauderei anstrengender als für andere. Daher meiden wir oft Alltagskonversationen. Und ob wir in der Kaffee-Ecke gleich eine notwendige oder eine nicht-notwendige Begegnung haben werden, lässt sich schwer vorhersagen. Deshalb habe ich für mich jetzt folgende Regeln aufgestellt:

1) Es herrscht ungewöhnlicher Lärm in der Cafeteria: Da reicht in der Regel Hallosagen.
2) Ich habe eine Person vor mir, mit der ich schon freundliche, anregende Gespräche gehabt habe. Dann suche ich den Austausch. Falls nicht die Regel 1) zur Anwendung kommen muss.
3) Ich habe eine Person vor mir, mit der ich schon bedeutsame, aber kontroverse Auseinandersetzungen gehabt habe. Dann erst mal fragen, wie es ihr geht und abwarten, was passiert.
4) Ich kenne die Person in der Kaffee-Ecke nicht: Dann stelle ich mich vor und sage, dass ich schwerhörig bin. Ich sage ihr auch, dass sie mich beim Sprechen bitte anschauen und deutlich artikulieren soll.
5) Ich bin mit den Gedanken ganz woanders oder habe eh wenig Zeit: Hallosagen muss reichen.
6) Mit der Person, die vor mir steht, bin ich in den letzten Jahren nie in ein bedeutsames Gespräch gekommen: Da reicht wohl Hallosagen.
7) Wenn möglich: spontan bleiben.

Das klingt jetzt banal. Aber, Freund*innen, ich frage mich gerade, ob das nicht so schon ein Rezept für ein Burn-out ist!

4 Gedanken zu „Schwerhörig: Sieben Regeln für Gespräche in der Kaffee-Ecke“

  1. Klingt sehr kompliziert und ob ich mir das merken könnte?
    Ich habe keine Kaffee-Ecke und bin auch nicht schwerhörig, aber mich unterhalten möchte ich mich von Zeit zu Zeit auch einmal.

    Vielleicht wäre eine Kaffee-Ecke doch ganz gut!

    1. Ja, das habe ich zu erwähnen vergessen! Dass sich ein bisschen unterhalten ja auch etwas sehr Schönes und Wünschenswertes sein kann! Selbst, in gewissen Fällen, für eine schwerhörige Person! Dir wünsche ich sowas wie eine inoffizielle Kaffee-Ecke. Vielleicht ein paar schnelle Gespräche, wenn Du mit den Junioren unterwegs bist!

  2. Und wenn man schon pensioniert ist und ueberhaupt nicht in die Kaffe-Ecke geht? Aber vielleicht dann macht man sich aehnliche Ueberlegungen, wenn man jeden Tag mit dem Hund Gassi geht und muss dann entscheiden, mit wem man ein schnelles Hallo austauscht und dann schnell weitergeht, und bei wem man dann stehenbleibt, und Hallo wie geht’s? Schon lange nicht im Park gesehen, sagt.

    1. Ja, ich würde sagen, das ist eine sehr ähnliche Situation. Hier spielt Strassenlärm noch eine Rolle, ist aber wohl in Regel 1) enthalten 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert