Am Morgen lese ich jetzt oft noch drei, vier Seiten aus einem Reisebericht von Patrick Leigh Fermor. Man darf sich in diesen Tagen nicht schon um 8.30 Uhr von den News erschlagen lassen. Ich lese, wie der Brite am Ostersonntag 1934, gerade 19-jährig, aus der ungarischen Stadt Esztergom aufbricht und donauabwärts wandert. Vor wenigen Tagen ist das Eis auf dem Fluss geborsten, tags zuvor sind die Störche aus dem Süden zurückgekehrt, es ist magisch. Und kaum hat Fermor die Stadt verlassen, ist da nur noch Natur im Frühlingsrausch. Er schreibt:
„Die Vögel sangen um die Wette, überall wurden fieberhaft Nester gebaut, Schwalben und Mauersegler schlugen ihre Haken am Himmel. Mehlschwalben besserten alte Bauten aus, Eidechsen huschten zwischen den Steinen, überall in den Binsen tauchten neue Nester auf, im Wasser wimmelten Fischschwärme, und die Frösche, die mit einem langen Sprung im Wasser verschwanden, wenn ein Fremder kam, waren sogleich wieder da, und es klang, als würde ihr Chor von Stunde zu Stunde um tausend neue Stimmen verstärkt; sie sorgten dafür, dass die Nistplätze der Reiher verwaist lagen, bis das letzte Abendlicht schwand.“*
„Einst gab es Bachforellen in den Bergflüsschen. Du konntest sie in der bernsteinfarbeben Strömung stehen sehen, wo die weissen Ränder ihrer Flossen zart die Strömung fächelten. Wenn du sie in der Hand hieltest, rochen sie nach Moos. Poliert und muskulös und zapplig. Auf dem Rücken hatten sie wurmartige Muster, Karten der Welt in ihrem Werden. Karten und Labyrinthe. Von etwas, was man nicht rückgängig machen konnte. Nicht wieder in Ordnung bringen konnte. In den tiefen Schluchten, in denen sie lebten, war alles älter als die Menschen und summte vor lauter Geheimnissen.“**
* Patrick Leigh Fermor: „Zwischen Wäldern und Wasser“; Fischer-Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2010 (S.26-7)
** Cormack McCarthy: „The Road“; Picador Paperback, London, 2007 (S.307-8, meine Übersetzung)
»bernsteinfarbene Strömung« – was hat man sich darunter vorzustellen? Wie käme denn die honiggelbe Färbung in ein Bergflüsschen?
Hallo nömix, es freut mich, dass Du meinen Beitrag gelesen hast. Nun willst Du mich wohl bei einem Übersetzungsfehler ertappen ;-). Im Originaltext ist aber tatsächlich von „the amber current“ die Rede. Es gibt dafür zwei Erklärungen: Je nach Lichteinfall und Gesteinszusammensetzung auf dem Flussgrund kann Wasser tatsächlich bernstein- oder vielleicht auch bierfarben schimmern. Oder das Wasser könnte nach Regenfällen getrübt gewesen sein von Schwemmmaterial. Beides kannst Du als Alpenkind sicher nachvollziehen. Und dann gibt es die Möglichkeit der künstlerischen Lizenz. Gestern war ich an einer Ausstellung mit Gemälden von Henri Matisse – bei ihm haben Frauen oft blaue Beine. Da kann ja auch Bergwasser bernsteinfarben sein, nicht?
Nein, von Ertappenwollen kann keine Rede sein – ich hab mich bloß gewundert was der Autor wohl damit meint? »Kristallfarben« wäre mir für ein Bergflüsschen halt trefflicher erschienen.
Danke für die Erklärung :)
🙂 Danke, Nömix.