Nun haben wir also die Resultate, nach denen ich gestern geschrien habe. Und es fühlt sich tatsächlich an wie eine Affäre, die in Trümmern endet: Hat man erst die Fakten, ist alles noch viel schlimmer als in der Phase der Ungewissheit.
Heute Morgen sass ich an meinem Schreibtisch und bearbeitete einen Leserbrief von gestern. Ich merkte: Es ist alles anders als noch vor wenigen Stunden. Der Autor schrieb, viele Leute in der Schweiz hätten immer noch nicht begriffen, dass es in Sachen Klimawandel fünf nach zwölf sei, und dass man endlich etwas tun müsse. Am liebsten hätte ich den Satz gestrichen, um den Autor vor der Verhöhnung unserer SVP-Leute zu schützen. Schon morgen werden sie auftrumpfen: „Mit Donald Trump ist der Klimaschutz in den USA vorbei. Was soll denn jetzt die kleine Schweiz tun? Wollen wir etwa das Klima alleine retten?“ So ähnliche Sachen haben die schon immer von sich gegeben, aber jetzt klingt es so viel plausibler als noch vor 24 Stunden.
Es sagen jetzt alle, warum sie glauben, dass Trump gewählt worden ist. Gut, mache ich auch: Ich glaube, dass die USA ein sehr kaputtes Land sind. Es gibt dort Menschen (einen kenne ich sogar persönlich), die blutjung und verblüffend reich sind. Reiche Leute leben dort in coolen Villen in Städten, in denen sich an den Strassenrändern die Zelte der Obdachlosen reihen. Die Politik ist nicht fähig, derart stossende Ungleichheit zu beheben. In der Zeitung liest man immer, wie unglaublich gut die US-Wirtschaft gerade läuft. Das ist, als würde man sich über diejenigen lustig machen, bei denen nichts von diesem Wachstum angekommen ist. Die Inflation im ersten Joe Biden-Jahr hat für viele alles noch schwieriger gemacht. Da ist es halt das einfachste, auf Joe Biden wütend zu sein und zu glauben, dass die Immigranten an allem Schuld sind.
Mein grosser Respekt gilt Kamala Harris, die die Aufgabe auf sich genommen hat, dem orangen Koloss und seinen Komplizen die Stirn zu bieten.
Aus meinen Teenagerjahren mit desaströsen Liebesbeziehungen habe ich eine Lehre mitgenommen: Klagen hilft nicht, da müssen wir jetzt durch. Wir müssen uns an das erinnern, was wir sind und was wir selbst noch haben oder wieder verlässlicher haben wollen: eine annähernd ausreichende Verteilung des Wohlstands, Klimaschutz, integre Politikerinnen und Politiker und demokratische Staaten, die ihre Aufgaben wahrnehmen können.
Ich erinnere mich noch, als vor 60 Jahren die Welt in West und Ost aufgeteilt war. Und eine Bekannte sagte, dass es in Zukunft mal eine Aufteilung mitten durch die Länder (in den Geldbeuteln) geben werde in „arm“ und „reich“.
Eventuell kann man die Welt auch mitten durch die Länder (in den Köpfen) in „links“ und „rechts“ aufteilen.
Inwieweit Geldbeutel und Köpfe deckungsgleich sind, weiß ich nicht; es gibt sicherlich auch reiche Linke und arme Rechte, aber das wäre irgendwie unlogisch, weil man sich quasi für die Interessen der „Gegenseite“ stark machen würde.
Das unlösbare (???) Problem sehe ich eher darin, dass von vorneherein überhaupt jemand erst in die Armuts- bzw. Reichtumsspirale gerät bzw. dass es diese Spiralen überhaupt gibt. Als „mathematisch denkender Mensch“ halte ich diese Spiralen allerdings als ganz normal – wegen der Exponentialfunktion.
Ja, das ist ein weites Feld, lieber Rabi. Natürlich gibt es diese Spiralen im Kapitalismus. Wenn das zu verbreiteter Obdachlosigkeit führt, was ist dann die Aufgabe eines demokratischen Staates?
Das ist wirklich ein weites Feld. Vielleicht liegt es alles in der NATUR (der Sache). Wie ist es denn in der Natur? = da geht es mega-brutal zu (die langsamsten Antilopen werden vom Löwen gefressen; wer schwach und krank ist, überlebt nicht lange).
Menschen können zwar humaner sein – wobei ich nicht weiß, ob dieser Gedanke erst in der Neuzeit aufgekommen ist – denn es braucht ja zusätzliche Ressourcen, um auch noch „Fremde“ zu unterstützen.
Im Endeffekt geht es immer ums Geld bzw. um das Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Den „Linken“ wird ja immer (zu Recht?) vorgeworfen, dass sie dieses Prinzip missachten und deshalb nicht mit Geld umgehen können.
Ja, vielleicht ist das genau der Unterschied zwischen Menschen und Antilopen: dass Menschen die Politik haben, die Antilopen meines Wissens nicht. Nehmen wir an, wir wären eine Herde Antilopen und hätten die Politik. Dann könnten wir zusammen versuchen, eine Möglichkeit zu finden, uns vor den Löwen schützen. Wir könnten sogar entscheiden, den Löwen ab und zu einen von uns zum Frass vorzuwerfen, damit sie uns nicht ständig bedrängen. Würden wir das wollen? Und wer soll entscheiden, wen es trifft? Das ist Politik.
Zu Leistung und Gegenleistung: Was leistet der Löwe, damit er als Gegenleistung eine Antilope bekommt?
Und zur pauschalisierenden Behauptung, Linke könnten „nicht mit Geld umgehen“. Helmut Schmidt war von 1974 bis 1982 Kanzler der Bundesrepublik Deutschland und gehörte zur SPD. Wir können uns also wohl darauf einigen, dass er ein Linker war. Konnte er mit Geld umgehen oder nicht?
Was leistet der Löwe, um eine Antilope zu bekommen? = Er muss recht viel leisten wie z.B. eine Anschleich-Strategie zusammen mit anderen Löwen entwickeln, und schneller rennen als die langsamste Antilope muss er auch. Ein fauler Löwe, der sich den ganzen Tag nur die Sonne auf den Bauch scheinen lässt, wird bestimmt nicht allzu alt.
Ich schrieb ja schon, dass viele Menschen vermutlich die „falsche“ Partei wählen, also eine Partei, die gar nicht ihre persönlichen Interessen vertritt. Genauso gibt es auch Politiker, die in der „falschen“ Partei sind. Dazu könnte man auch Helmut Schmidt zählen. Auch wenn er in der SPD war, würde ich ihn nicht als „Linken“ betrachten.
Angela Merkel war übrigens auch in der falschen Partei. Wie kann man als CDU-Vorsitzende Atomkraftwerke abschalten und sich für Migranten stark machen??? Das ist bestimmt nicht das, was die Menschen wollten, die sie ursprünglich gewählt hatten. Da wundert mich der anschließende Rechtsruck nicht.
Auch Gerhard Schröder war in der falschen Partei. Wie kann man als „Sozi“ Hartz4 einführen, also dafür stimmen, dass Arbeitslose weniger Hilfen bekommen.
Wie gesagt: mich wundert überhaupt nicht, wenn die Wähler verunsichert sind und nicht mehr wissen, wen sie wählen sollen. Wahrscheinlich sind die extrem Linken und extrem Rechten die einzigen, die auch das halten, was sie versprechen (allerdings können sie es nicht durchsetzen, weil sie keine Regierungsmacht haben).
Halt, halt, werter rabi! Du hast geschrieben, es gehe immer um das „Prinzip von Leistung und Gegenleistung“. Der Löwe mag etwas leisten, sogar etwas für sein Löwenrudel. Aber wir sprechen hier von einer Transaktion zwischen Löwen und Antilopen! Wenn es immer um Leistung und Gegenleistung ginge, müssten nach Deiner Logik die Antilopen etwas von den Löwen bekommen.
Wenn die Antilopen nichts bekommen, dann haben wir nicht das Prinzip von Leistung und Gegenleistung, sondern wir haben das nackte Recht des Stärkeren. Dieses nimmt ja auch Donald Trump für sich in Anspruch, wenn er sagt: „Ich könnte mitten auf der Strasse jemanden abknallen, und es würde meine Wähler keinen Deut kümmern.“ Donald Trump ist dann der Löwe, der jederzeit ungestraft eine Antilope „herausnehmen“ kann. Wer garantiert dann, dass nicht rein zufällig ich die Antilope bin? In einem Staat mit einem derartigen Sicherheitsproblem möchte ich nicht einmal meine Ferien verbringen!
Und was Linke und Geld betrifft: Ich respektiere jetzt einfach mal Deine Überzeugung, dass wer links ist zwingend nicht mit Geld umgehen kann. Wer mit Geld umgehen kann, kann demnach kein richtiger Linker sein. Gegenfrage: Wie steht es denn dann mit den Rechten? Können die mit Geld umgehen? Kann Donald Trump mit Geld umgehen? Und wenn ja: Mit wessen Geld? Mit seinem Geld? Oder mit einem Staatshaushalt?
Ich will ja nicht kleinkariert sein, aber deine Frage lautete „Was leistet der Löwe, damit er als Gegenleistung eine Antilope bekommt?“ und nicht „Was leistet der Löwe zum Nutzen der Antilope?“
Viel interessanter finde ich aber die Frage, ob Linke besser mit Geld umgehen können als Rechte. Sicherlich ist die Definition von politisch Links und Rechts nicht der Umgang mit Geld. Aber ich habe trotzdem schon seit 50 Jahren den Eindruck, dass Linke den Menschen was Gutes tun wollen, indem sie Sozialleistungen verteilen, ohne sich Gedanken zu machen, woher das Geld kommt (im Zweifelsfall, die Reichen durch Steuern schröpfen, also in die Tasche von Anderen zu greifen).
Die Rechten dagegen legen mehr wert darauf, erstmal das Geld zu erwirtschaften und keine Schulden zu machen. Man spricht auch von „Austerität“ (Disziplin, Entbehrung, Sparsamkeit).
Es ist m.E. allerdings auch so, dass die Starken ihr Geld aufkosten der Schwachen erwirtschaften, weil sie eben in einer dominanten Position sind. Es dürfte von vorneherein erst gar nicht zu so einem eklatanten Ungleichgewicht kommen, dann wären diese Milliardensummen an Sozialleistungen gar nicht nötig.
🙂 Ja, das mit dem Löwen und den Antilopen lassen wir mal. Die Idee war einladend für Gedankenspiele, aber man muss sie ja nicht zu weit treiben.
Und das mit den Linken und dem Geld ist halt wieder mal ein weites Feld, diesmal eher auf dem Gebiet der Wirtschaft, wo eher Deine Stärken liegen als meine. In den USA gibt es ja ein paar Leute, die mit der Digitalisierung geradezu obszön reich geworden sind. Das verschiebt die Machtverhältnisse zwischen Staaten und diesen Einzelpersonen enorm, und es macht mir grosse Angst, dass mit Elon Musk einer dieser Leute einfach wegen seiner Finanzmacht nun eine wesentliche Rolle im US-Staatsbetrieb spielen soll. Ich halte das für eine Oligarchisierung der amerikanischen Politik.
Ich habe unten geschrieben, dass ich unser Steuersystem im Prinzip ganz ok finde, weil es dafür sorgt, dass alle einen fairen Beitrag zum Wohlergehen aller leisten müssen. Wie das genau abläuft, sollten Parlamente und allenfalls Stimmbürgerinnen und -bürger entscheiden.
Politik im allgemeinen und Donald Trump im besonderen sind auch ein weites Feld.
In diversen deutschen Foren wurde die Trump-Wahl gefeiert, weil nach Bekanntwerden des Wahlausgangs die Kurse gewisser Aktien und des Bitcoin sofort um zweistellige Prozentsätze gestiegen waren. Da kamen dann Kommentare wie „Ich bin jetzt dank Trump um soundsoviel tausend Euro reicher“.
Einige Wenige mögen auch in Europa auf diese Weise profitieren, aber ich habe Zweifel, dass die Masse derjenigen, die ihn gewählt haben, wirklich langfristig einen persönlichen Vorteil davon haben werden.
In einer Diktatur gibt es übrigens auch immer Profiteure, aber im allgemeinen sind das nur einige wenige Prozent der Gesamtbevölkerung. Es sei denn, es handelt sich um einen „guten“ Diktator, der etwas für SEIN Volk tut („America first“), aber auch da habe ich Zweifel bei Trump.
Ja, da habe ich auch ganz erhebliche Zweifel bei Trump! Und Börsengewinne in Ehren – aber der grossen Mehrheit nützen die ja nichts. Als ich gestern das Ministerkarussell sah, fand ich meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Jetzt brauche ich erst mal eine Trump-Pause, ich hatte gestern eine OP im Spital und muss mich positiven Dingen zuwenden 🙂 Aber danke für die engagierte Diskussion, das hat Spass gemacht!
Ich finde auch, dass man sich lieber positiven Dingen zuwenden soll. Jedesmal, wenn ich meine Schwestern für ein paar Tage besuche, geht es schön und harmonisch zu. Vor allem: kein Fernsehen, keine Zeitungen, keine Nachrichten. Ich ärgere mich immer über mich selbst, dass ich mir diesen ganzen Politik-Kram ansehe. An der Situation ändert das sowieso nichts.
Deshalb: das Positive in der Welt sehen ist für einen selber das Beste.