Schweizerdeutsch 11: Wort des Jahres 2024

Bschiss (N)

Auf Hochdeutsch: Betrug, ähnlich wie im hochdeutschen Verb „jemanden bescheissen“. Bei uns gilt das Wort „Bschiss“ nicht eigentlich als vulgär. Wir brauchen es oft und haben auch gar kein stilvolles Synonym dafür.

Zum Deutschschweizer Wort des Jahres ist „Bschiss“ im Medienschlagwort „Unterschriften-Bschiss“ geworden, erkoren von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (mehr hier). Der so genannte „Unterschriften-Bschiss“ steht im Zusammenhang mit Volksabstimmungen in der Schweiz. Da mein werter Leser Rabi in den letzten Tagen besonderes Interesse an Volksabstimmungen gezeigt hat, hier ein paar Worte mehr zum Thema.

Wer in der Schweiz eine Volksabstimmung herbeiführen will, muss meist Unterschriften sammeln, das heisst: bei Regen und Kälte auf der Strasse  herumstehen. Nun gibt es Firmen, die anbieten, Unterschriften zu bestimmten Themen gegen bares Geld zu beschaffen. Das schien unproblematisch, solange sicher war, dass diese Unterschriften von realen Personen stammten und zum beabsichtigten Zweck abgegeben wurden. Doch 2024 stellte sich heraus: Einige dieser Firmen hatten systematisch betrogen – sie schickten zum Beispiel Leute zu grossen Wohnblocks, um dort die Namen von den Klingelschildern abzuschreiben und dazu Unterschriften zu fälschen.

Das ist in der Tat empörend. Denn im Allgemeinen gelten Volksabstimmung in der Schweiz als verlässlichste Art, den Willen der Mehrheit zu ermitteln. Aber im Herbst 2024 stand plötzlich die Möglichkeit im Raum, dass jeder, der genügend Geld hat, sich eine Volksabstimmung kaufen könnte (und wer dann noch mehr Geld hat, könnte ja auch gleich noch den Volkswillen mit sehr viel Werbung zu seinen Gunsten beeinflussen). Mich wunderte daher eher, dass der Aufschrei über den „Unterschriften-Bschiss“ nicht noch lauter war.

Auf Wikipedia gibt es hier kurz und sachlich alle Einzelheiten zu Volksabstimmungen. Ein zweiter, guter Link zum Unterschriften-Bschiss hier.

6 Gedanken zu „Schweizerdeutsch 11: Wort des Jahres 2024“

  1. So einen „Unterschriften-Bschiss“ hätte ich der Schweiz niemals zugetraut.

    Dazu fällt mir ein, dass ich auch mal meine Unterschrift für ein Volksabstimmungs-Begehren gegeben hatte. Es ging darum, ob bei der Landtagswahl die Personen oder die Liste als erstes gewertet werden soll. Leider kamen damals nicht genügend Unterschriften zusammen (bei uns gibt es keinen Unterschriften-Bschiss), so dass keine Volksabstimmung darüber zustande kam.

    1. 🙂 Oh, eine Abstimmung über ein Wahlverfahren! Es erstaunt mich nicht, dass das nicht zustande gekommen ist. Das finden die meisten Leute etwas abgehoben, auch bei uns. Was hätte das bewirkt, wenn man das Verfahren geändert hätte?

  2. So eine Wahlverfahrens-Änderung hört sich vielleicht „abgehoben“ an. Aber noch BEVOR ich zur Unterschrift aufgefordert wurde, hatte ich – als mathematisch denkender Mensch – genau denselben Gedanken wie die Initiatoren: Das Verfahren ist UNGERECHT.

    Der Bürgermeister und die Senatoren sind bekannt (und meistens beliebt): Sie stehen ganz oben auf der LISTE und werden auch von vielen Wählern PERSÖNLICH gewählt. Sie kommen auf jeden Fall in den Landtag.
    Wenn als erstes die PERSONEN-Stimmen gezählt werden, hat das zur Folge, dass z.B. ein „Unbeliebter“ auf Listenplatz 20 ins Parlament kommt, während ein „Beliebter“ auf Platz 40 nicht rein kommt, weil seine Personenstimmen bereits durch die Senatoren „aufgebraucht“ wurden.
    Ich hatte das mal konkret durchgerechnet – und ich war ja nicht der Einzige, dem das aufgefallen war. Daher gab es dann diese Wahländerungs-Initiative, die aber nicht genügend Unterschriften erhielt, weil das „normale Volk“ wohl gar nicht verstand, worum es ging.

    1. Ach so, jetzt habe ich das wohl verstanden. Aber das würde dann auch heissen, daß die meisten Gewählten von derselben Liste stammen, oder nicht? Da hättet ihr dann ein Ein- vielleicht Zweiparteienparlament, oder?

      1. Nein, nein. Ich hatte das etwas vereinfacht dargestellt.
        Jede Partei hat natürlich ihre eigene Liste. Es sind also alle Parteien gleichermaßen betroffen. Der Effekt war aber bei allen Parteien derselbe: Man konnte zwar einzelne Personen direkt wählen, aber in der Praxis kamen aufgrund des Auszählungs-Modus fast bei allen Parteien nur die Listen-Ersten ins Parlament.
        Hätte man stattdessen zuerst die Listen-Ersten (unabhängig von ihren Personen-Stimmen) gezählt, dann wären auch „beliebte“ Personen von den hinteren Listenplätzen ins Parlament eingezogen.
        Naja, die Wähler hatten natürlich „komisch“ gewählt: da der SPD-Bürgermeister auf Listenplatz Eins stand, wäre er über die Liste sowieso ins Parlament eingezogen; man hätte ihn also gar nicht „persönlich“ wählen müssen.
        Ich vermute, die Wahlkommission hatte sich VORHER keine Gedanken über die Auswirkung des Wahlrechts gemacht. Nachdem das Ergebnis bekannt ist, darf man natürlich das Recht nicht mehr ändern! Das wäre dann erst bei der nächsten Wahl möglich gewesen – wenn eine entsprechende Volksabstimmung das dafür gewesen wäre.

        1. Vielleicht noch mal kurz zur Erklärung: jeder Wähler hat fünf Stimmen, die er auf dem gesamten 20-seitigen (??!!!) Wahlzettel verteilen kann.
          Zum Beispiel: 2 Stimmen für Liste der Partei A, 1 Stimme für Hernn Meier von Partei A, 1 Stimme für die Liste von Partei B und 1 Stimme für Frau Müller von Partei C
          Das nennt sich dann kumulieren und panaschieren.

          Der Sinn war wohl, dass auch Leute von hinteren Listenplätzen eine Chance haben; in der Praxis hatte das aber nicht funktioniert.

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