„Schl¨üüsse!“ sagt die Dentalhygienikerin. Ich mache gehorsam den Mund zu, aber ich bin befremdet. Wir sagen beim Zahnarzt nicht „schlüüsse“, sondern „zuemache!“* oder eben „uufmache!“** Mein früherer Zahnarzt, Dr. Schlosser, tat das unnachahmlich gelangweilt bei jeder Behandlung drei- bis fünfmal. Er muss in seinen Jahren in der Praxis jedes der beiden Wörter grob geschätzt 400’000mal ausgesprochen haben. Jetzt ist er pensioniert, ich vermisse ihn.
Ist die Dentalhygienikerin etwa Zürcherin? Die Zürcher sagen „schlüüsse“, und vor Zürchern sind wir in Luzern auf der Hut. Sie sind uns wirtschaftlich überlegen, deshalb haben wir oft Abwehrreflexe, wenn sie uns mit ihrem Dialekt auf den Leib rücken. Aber, nein, sie ist keine Zürcherin, sie spricht sonst wie ich.
Allerdings ist sie noch in Ausbildung. Wahrscheinlich hat sie den Befehl „schlüüsse!“ in der Berufsschule gelernt, oder er kommt aus dem Marketing. Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Gesundheitsbranche in der Werbung stets Peinlichkeit vermeiden will – und uns deshalb mitunter sprachliche Monstrositäten auftischt, die dann eben auch peinlich sind. In einem Fernsehspot für ein Zahnreinigungsprodukt etwa fiel das unerhörte Wort „de Mund“. Als ob man nicht einfach „s’Muul“ sagen dürfte, wie uns allen der Schnabel gewachsen ist. Der Neologismus erwies sich als nicht mehrheitsfähig und verschwand.
Bei der der Handarbeit ist die Dentalhygienikerin zum Glück viel subtiler als in der Sprache. Deshalb verbringe ich die ganze Stunde in ihrem Sessel ungestört damit, im Kopf diese Kolumne zu komponieren. Viel schneller als befürchtet stehe ich wieder auf der Schwelle der Praxis. Die Kolumne ist fast fertig gedacht, ich gehe vorwärts, nehme den Türknauf in die Hand und höre, wie Doktor Schlosser zu mir sagt: „Zuemache!“
*Zumachen, Mund schliessen, im Alltag meist „zuetue“
** Aufmachen, Mund öffnen, im Alltag auch „uuftue“
S Muul tuet mer au in Züri zue- und ufmache. Öppedie s letschtere echli gar (z) vill, wege dem sind mer au eso „beliebt“ im Rescht vom Land. 😀 Schlüsse tüend mer normalerwiis nur Türe 😉
En liebe Gruess uf Lözärn 👋🏼
🙂 Sehr schöne Kommentar, danke velmol! Mi Maa isch Zörcher, ond är hed gseid, momoll, är würd „schlüüsse“ säge. Aber är hed wahrschiinlech Tööre gmeint, ned’s Muul. Eigentlich klärt das s’Messverschtändnis. Mer wördid äbe au Töre zuemache oder allefalls „schliesse“. Secher aber wörd de Schtromer de Chüelschrank aaschliessse ond ned aaschlüüsse!
Du gsehsch öbrigens: Ech ha ned grondsätzlich öppis gäge Zörcher, em Gägeteil! Es esch meh sone kollektive Reflex, wonech do usgwalzt ha. Ech könne so Reflexe guet, well ech es Ziitlang vel met Lüüt us de Innerschwizer Kanton z’tue gha ha, ond die hend dä Reflex üs Lozärner gägenöber (au). Aber wenn me de metenand redt, chond me jo glich emmer zonere Lösig 🙂
Aso nuso zum Säge: ich bin Zürcherin (born and raised), und ich würde nie und nimmer „schlüüsse“ säge. Vielleicht ist es eine Frage des Jahrgangs… 😉
🙂 Danke, Karin! Beim nächsten Mal frage ich die Frau, woher sie das hat! Und mit meinem Mann, born and raised in Rümlang, rede ich auch nochmal! Er sagt, es würde Situationen geben, wo er „schlüsse“ sagen würde.
Wo denn? …würde der Rümlanger „schlüüsse“ sagen? 🙂
🙂 Also, ich habe ihn jetzt gefragt. Er würde zum Beispiel „mir beschlüüssed das jetz“, sagen. Aber er sagt auch: Bei der Dentalhygiene würde er nie und nimmer „schlüüsse“ sagen. So ist es 🙂
Elegant aus der Affäre gezogen! 😉 Beschliessen ist natürlich auch in Zürich „beschlüüsse“.
Und falls ich betonen möchte, dass ich „abschliesse“(mit dem Schlüssel), dann sage ich: „Ich tue d’Tür pschlüüsse“. „D’Türe zuemache“ ist nur schliessen, ohne abschliessen. Spannend, eigentlich!
Ja, spannend, nicht?! Wenn man darüber nachzudenken beginnt, hört’s nömmenuf! Wir machen das mit den Türen übrigens genauso. „Ech mache d’Töre zue.“ Aber: „Ech bschlüüsse d’Töre.“ Oh Schreck, da sagen wir auch: „bschlüsse“ 🙂 Aber an der Sitzung würde ich sagen: „Das beschliessemer jetz!“
:-D)))
Ich musste doch etwas schmunzeln wegen der 400.000 Mal dasselbe Wort sagen. Wahrscheinlich trifft das auch auf andere Berufe zu, bei denen man mit Menschen zu tun hat und sich ein bestimmter Ablauf immer wieder wiederholt.
Ja, aber in anderen Berufen geschieht das selten in dieser Dompteurhaftigkeit. Der Gehorsam folgt sicher fast immer unmittelbar. Man ist dem Zahnarzt (oder der Zahnärztin) ja ausgeliefert. Ich habe den Text jetzt leicht geändert, damit besser zum Ausdruck kommt, warum ich nachgerechnet habe, wie oft er das in seiner Laufbahn gesagt haben muss.