Donner nicht mehr hören

Dieser Tage las ich alte, nie veröffentlichte Blogbeiträge. In einem beschrieb ich, wie ich nach meinen ersten Hörstürzen 2009 plötzlich die Krähen auf unserem Dach nicht mehr hörte, den prasselnden Regen nicht mehr. Und keinen Donner. Damals fand ich das entsetzlich, das Schlimmste. Als wäre ich aus der Natur, der Ordnung der Dinge, aus der Welt verstossen worden.

Heute höre ich die Krähen auf dem Dach nur noch mit Hörgeräten, Donner meist gar nicht mehr und Regen auch nur mit Hörgeräten. Was habe ich für grossartige Hörgeräte, denke ich oft. Phonak Naida, ohne sie ginge gar nichts. Ich f¨ühle mich auch nicht mehr aus der Welt verstossen. Ich frage mich manchmal sogar, ob ich damals nicht allzu fixe Vorstellungen davon hatte, wie man auf der Welt zu sein hat.

14 Gedanken zu „Donner nicht mehr hören“

  1. Da fällt mir ein: für Sehbehinderte gibt es Abzeichen (gelbe Binde mit schwarzen Punkten), damit andere Menschen deren Einschränkungen erkennen und Rücksicht nehmen können.
    Gibt es so etwas eigentlich auch für Hörbehinderte? Falls Ja: wie sieht das aus? Falls Nein: warum nicht? Könnte euch so etwas helfen? Wie könnte es aussehen?

    1. Hallo rabi,

      für Hörbeeinträchtigte gibt es auch ein sogenanntes Abzeichen. Ich habe es selbst wenige Male getragen, als die Maskenpflicht während der COVID-19-Pandemie eingeführt wurde.
      Leider ist das Symbol bei weitem nicht so bekannt wie das für Sehbeeinträchtigte. So hatte ich nur bei ganz wenigen Menschen Erfolg, aber der Grossteil konnte mit dem Abzeichen nichts anfangen. Gern kann ich im nächsten Kommentar einen Link einfügen, aber ich warte Frau Froggs Reaktion ab.

      1. Danke für das Angebot, Sori! Ja, es freut mich, wenn Du das Abzeichen verlinkst! Ich weiss nicht, ob ich es tragen würde. Ich müsste mir überlegen, ob ich nicht vor dem Stigma zurückschrecken würde.

        Während der Pandemie war es tatsächlich anders. Da habe ich mir manchmal einen Papagei auf meiner Schulter gewünscht, der im Abstand von 30 Sekunden gesagt hätte: „Bitte sprechen Sie langsam und SEHR deutlich.“

        1. Hier ist der Link zum Foto, hoffentlich klappt es:
          https://sori1982.wordpress.com/wp-content/uploads/2020/04/anstecker.jpg

          Der Anstecker hat einen Durchmesser von ca. 5,5 cm.

          Das mit der Stigmatisierung kenne ich nur zu gut, deshalb tragen wir Hörbeeinträchtigte kaum solche Abzeichen.
          Dafür zeige ich gern meine Hörgeräte, wenn meine Haare zu lang sind und ich sie zu einem Zopf binde. Nur sieht das auch nicht jede:r.
          Mein subjektiver Eindruck ist, dass ich das Symbol für Blinde und Sehbeeinträchtigte sehr oft sehe.

          Ich glaube manchmal, dass es an der Bewusstseinmachung bzw. an Information fehlt. Viele Menschen wissen auch nicht, wofür das Symbol der Induktionsanlage steht.

          1. Danke, Sori. Ja, das Abzeichen habe ich auch schon gesehen, wüsste aber nicht mal, ob es bei uns auch gilt oder erhältlich ist. Leicht verständlich scheint es mir ja. Aber mit einem Durchmesser von 5,5 Zentimetern jetzt auch nicht unbedingt geeignet zum Beispiel für den Strassenverkehr.

            Das Problem mit der Information: Das Wissen allein, dass jemand hörbehindert ist, hilft ja in Alltagssituationen sehr wenig. Da es sich um eine Behinderung handelt, die das Zusammenleben mit anderen Menschen stark beeinträchtigt, müsste eine Handlungsanweisung an das Gegenüber stets gleich mitgeliefert werden. Während der Pandemie hat unsere Hörbehinderten-Gruppe Kärtchen konzipiert, auf denen draufstand: „Bitte sprechen Sie langsam und deutlich“, oder ähnlich. Ich habe die aber auch nie gebraucht, sondern lieber meinen Mund, um es den Leuten mitzuteilen.

  2. Natürlich gibt es ein gewisses Stigma. Das geht Blinden und Rollstuhlfahrern bestimmt auch so. Andererseits denke ich, dass es aber auch lebensgefährlich werden kann, wenn ein Straßenbahnfahrer meint, dass bei seinem Klingeln die Menschen automatisch von den Schienen springen.

    1. Ja, da hast Du recht, Rabi und danke sehr für den Kommentar, der wahrscheinlich früher oder später gleich zwei Folgebeiträge auslösen wird. Ein sehr realistisches Szenario ist das mit der bimmelnden Strassenbahn aber nicht. Die meisten Menschen, die eine derart massive Hörbehinderung haben, würden den Gang auf Strassenbahnschienen ohnehin meiden. Wir sind ja meist nicht lebensmüde. Und wenn man nirgendwo sonst gehen kann als auf der Strassenbahnschiene, würde man sich alle zehn Sekunden umsehen.

      Das macht übrigens den Alltag von uns Schwerhörigen so anstrengend. Wir überlegen und planen ständig: Wo sitze ich am besten, um die Sitzungsleitung noch halbwegs zu verstehen? Wann muss ich los, damit ich rechtzeitig an der Sitzung bin und dieser Platz noch frei ist? Wo stehe ich am besten beim Stehapero (falls ich überhaupt hingehe)? Wo sitze ich am besten am Weihnachtsessen in der Familie? Wo bewege ich mich auf dieser einspurigen Strasse ohne Gehsteig am sichersten? Kommen Autos und aus welcher Richtung? Wo gehe ich am sichersten, um nicht überfahren zu werden? Habe ich alle meine technischen Hilfsmittel dabei? Funktionieren sie? Sind die Akkus geladen? Man kann andere informieren, und viele sind tatsächlich sehr rücksichtsvoll. Aber auf die Rücksicht der anderen verlassen können und – im Fall der Strassenbahn – dürfen wir uns nicht.

      Und – noch zum Stigma: Weil man meine Behinderung nicht sieht, kann ich mich auch so wenig auf die Rücksichtnahme anderer verlassen. Dann passe ich lieber selbst auf mich auf und verzichte dafür auf das Stigma.

      Indes: Es gibt tatsächlich Situationen im Strassenverkehr, die ich (und da bin ich nicht allein) für sehr gefährlich halte. Aber dazu ein andermal.

      1. Ja, ich denke, jeder Mensch hat im Laufe des Lebens bestimmte Gegenmaßnahmen gelernt, um seine Schwächen zu kompensieren (zum Beispiel weißt du automatisch , wo du sitzen und gehen musst).
        Meine Einschränkung ist die Farbenblindheit (d.h. ich kann Grün und Rot nicht so gut auseinander halten). Heute Morgen habe ich mich ein bisschen geärgert, dass man seine Meinung zu diversen Fragen durch rote und grüne Aufkleber derselben Helligheitsstufe kundtun sollte (siehe dazu mein heutiger WordPress-Eintrag)

        1. Oh, die Farbenblindheit stelle ich mir in verschiedenen Situationen recht einschränkend vor! Ich hatte einen Freund, der komplett farbenblind war. Es gab selten Situationen, in denen es ihn störte (aber wenn ich einigermassen plötzlich fast kein Grün und Rot mehr sehen könnte, stelle ich mir das durchaus als Verlust an Lebensqualität vor). Ich lese Deinen Beitrag, sobald ich Zeit habe, im Moment drängt die Arbeit.

          1. Als tatsächliche Einschränkung empfinde ich die Rot-Grün-Blindheit eigentlich nur bei Geräten, wo an derselben Stelle entweder eine rote oder grüne Lampe leuchtet, je nachdem, ob da eine bestimmte Störung vorliegt. Konkret ist das beim Router für Telefonie / Computer der Fall.

            Im „normalen Leben“ fühle ich mich dadurch wenig beeinträchtigt. Ich weiß ja, dass Gras grün und Blut rot ist.

  3. Als Antwort auf Frau Froggs Kommentar am 10.02.2025 um 19:12 Uhr, weil ich leider nicht darunter kommentieren kann:

    Der örtliche Schwerhörigenverband hat für seine Mitglieder Anstecker und Armbinden (! Blau und mit dem weissen Ohrsymbol) anfertigen lassen.
    Den Anstecker muss ich im Frühjahr 2018 bekommen haben, also noch lange vor der Maskenpflicht. Ich erinnere mich noch gut daran, dass eine von uns den Anstecker „Brosche“ genannt hat.
    Da er mich nichts gekostet hat, nahm ich ihn mit und liess ihn in einer Schublade verschwinden. Bis Frühjahr 2020. Aber da der Erfolg sich in Grenzen gehalten hat, fristet der Anstecker sein Dasein wieder in einer Schublade.

    Kärtchen mit „Ich bin schwerhörig. Bitte sehen Sie mich beim Sprechen an. Etc.“ habe ich auch. Befinden sich in meinen zwei Portemonnaies, aber ich habe sie nie rausgezogen.

    Die direkte Ansprache funktioniert immer noch am besten.

    1. Danke Sori, Du sagst es: direkte Ansprache – höflich und meist mit der klaren Handlungsanweisung: sprechen Sie bitte langsam und deutlich und schauen Sie mich an beim Sprechen. Ist im Alltag am einfachsten.

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