Leben in der Trump-Ära: Im Buchclub

In der Englisch-Lesegruppe sass plötzlich eine Amerikanerin neben mir. Ich hatte sie zuvor noch nie gesehen. Dass sie Amerikanerin ist, hörte ich an ihrer Aussprache. Kaum hatte sie zum ersten Mal den Mund aufgemacht, rang ich gegen ein Gefühl, das ich zuvor noch nie gehabt hatte: hochschiessende Abneigung gegen einen Menschen, nur wegen seiner Nationalität.

Wir diskutierten lauwarm über ein Buch, das niemanden von uns so richtig angesprochen hatte. Plötzlich begann jemand, über eine Trump-Biografie zu sprechen, die er gerade liest. Laute des Unmuts wurden hörbar. Die Amerikanerin beeilte sich zu sagen: „Ich habe ihn nicht gewählt.“

16 Gedanken zu „Leben in der Trump-Ära: Im Buchclub“

    1. Nein, leider nicht. Da war dann zuerst doch noch eine kleine Parlamentssession meiner inneren Stimmen nötig. Ein furchtbarer, alter Herr schnarrte: „Jedes Volk bekommt die Regierung, die es verdient hat! Sie ist mitverantwortlich!“ Die zivilisierte Frau Frogg erwiderte betont deeskalierend: „Jetzt hören wir ihr doch erst mal zu und schauen, wer sie ist! Sie wirkt doch ganz sympathisch!“ Und die schüchterne Stimme aus der jungen Opposition sagte: „Sie ist in einer noch schwierigeren Lage als wir. Morgen fliegt sie zurück in die USA und muss ihre neue Regierung aushalten. Habt ein wenig Mitgefühl!“ Man folgte schliesslich der zivilisierten Frau Frogg.

  1. Wenn denn nur die eine Helferin auch sagen würde: „Die habe ich nicht gewählt!“ Tut sie aber nicht und so ist unterschwellig diese Stimmung im Raum.

  2. Bei uns in Österreich wärs auch beinah soweit gekommen, dass wir uns im Ausland für unsern Regierungschef hätten entschuldigen müssen. Knapp vorbei.

  3. Ich hätte nicht von dir gedacht, dass du zu einem „Sippenhaft-Gefühl“ neigst, auch wenn mehr als die Hälfte der Amerikaner Trump gewählt haben und somit die Wahrscheinlichkeit über 50 Prozent beträgt, dass es sich bei einem zufällig rausgegriffenen Amerikaner um einen Trump-Wähler handelt.
    Und auch die Russen sind nicht alle kriegslüstern, nur weil sie so einen Präsidenten haben.
    Dagegen ist Christoph Blocher für seine Taten selber verantwortlich; heimlich für seine abwesende Sitznachbarin mit abzustimmen geht gar nicht. Aber die Luzerner Neuesten Nachrichten sind dem Schlingel ja auf die Schliche gekommen.

    1. Danke für Deinen Input, Rabi, aber wir reden hier nicht von Sippenhaft. Sippenhaft ist dies:

      https://de.wikipedia.org/wiki/Sippenhaftung

      Der Staat, dessen Bürger und Stimmberechtige wir sind, ist keine Sippe. Er ist eine Organisation, in der ich gewisse Rechte und gegenüber der ich gewisse Verpflichtungen und auch eine gewisse Verantwortung habe. Die Frage, inwieweit ich mitverantwortlich bin für Missstände in meinem Staat und wie ich dazu beitragen kann, sie zu beheben, stelle ich mir persönlich und berufsbedingt fast täglich. Doch ist niemand von uns allmächtig, weshalb ein zivilisierter Umgang mit Menschen meiner Meinung nach in der Regel richtig ist. Auch wenn sie aus einem Land stammen, dessen Regierung uns gerade alle Errungenschaften einer Demokratie mit Füssen zu treten scheint.

  4. Ich bin da nicht so ganz deiner Meinung.
    Also: schon Sippenhaftung (Kollektivhaftung für seine engere Verwandtschaft) halte ich für unvereinbar mit meinem Weltverständnis und Rechtsauffassung. Das gilt dann noch viel stärker hinsichtlich Kollektivverantwortung für den Staat.
    Nach meiner persönlichen Auffassung gibt es nur die Eigenverantwortung für sich selber.
    In dem Zusammenhang fällt mir ein, dass ich nächste Woche beim Filmfest einen Dokumentarfilm über die Eltern von Nils Högel sehen will (Was macbht es mit den Eltern, wenn ihr Sohn ein Massenmörder ist?):
    https://www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/jenseits-von-schuld-2024

  5. Danke für den Kommentar, Rabi. Doch, was Sippenhaftung betrifft, bin ich schon Deiner Meinung. Aber ich sehe, dass wir ein grundsätzlich anderes Verständnis von unserer Rolle als Staatsbürger haben. Ich denke, es lohnt sich nicht, darüber zu streiten. Wir lassen das am besten so stehen.

    Danke auch für den Filmtipp. Das scheint eine ausserordentlich tragische Geschichte zu sein von diesem Nils Högel. Wir hatten einen ähnlichen Fall hier in Luzern, der Prozess gegen den so genannten Todespfleger war am 11. September 2001.

  6. Vielleicht liegt dein Verständnis der Rolle als Staatsbürger auch an deinem Beruf.
    Dabei fällt mir allerdings wieder der Satz ein: „Ein Journalist wird dafür bezahlt, dass er INFORMATIONEN verbreitet. Wenn er seine MEINUNG verbreiten will, wäre er es, der bezahlen müsste“.

    Unter Sport-Reportern gilt: Wenn die Schweiz gegen Deutschland spielt, darf der Reporter parteiisch sein. Wenn dagegen Luzern gegen Zürich spielt, sollte er unparteiisch kommentieren. Wie ist das mit (Politik-)Journalisten?

    1. Danke, Rabi. Wo hast Du nur diese seltsamen Vorstellungen von Journalismus her?! Ich zitiere Deinen Kommentar; „Dabei fällt mir allerdings wieder der Satz ein: „Ein Journalist wird dafür bezahlt, dass er INFORMATIONEN verbreitet. Wenn er seine MEINUNG verbreiten will, wäre er es, der bezahlen müsste“. Da wüsste ich jetzt gerne die Quelle! Das klingt nach jemanden, der den Journalismus sehr gering schätzt, aber zu wenig darüber weiss, um sich ein qualifiziertes Urteil zu bilden. In demokratischen Staaten sind die Regeln so: Journalisten kommentieren sehr wohl und das macht auch Sinn, denn sie sind in der Regel gut über ihr Thema informiert und wissen, welche Aspekte der Berichterstattung ihr Publikum interessieren. Wichtig ist allerdings: In Zeitungen müssen sachliche Berichterstattung und Kommentar stets klar getrennt sein.

      Hier gibt’s mehr dazu:

      https://de.wikipedia.org/wiki/Journalistische_Darstellungsform

  7. Wahrscheinlich erscheint dir mein Verständnis von Journalismus „seltsam“. Was ich möchte, ist INFORMIERT werden und nicht MANIPULIERT. Das heißt: wenn ich genügend Informationen habe, will ich selber entscheiden, was gut und was schlecht ist. Das muss mir dann Niemand Anderer mehr sagen. Ich stelle immer wieder fest, dass Leute entweder links- oder rechtsgepolt sind. Das brauche ich aber Beides nicht.

    Aktuelles Beispiel: ein AfD-naher (rechtsgepolter) YouTuber erzählte, dass die EZB im Oktober dieses Jahres den digitalen Euro einführen will. In seinem Bericht bezeichnete er Christine Lagarde als „verurteilte Straftäterin“.
    Für die reine Information (digitaler Euro – Oktober 2025) war ich sehr dankbar, da das woanders nicht erwähnt wurde. Aber anstatt objektiv zu erklären, was das konkret für die Bürger bedeutet, wurde nur auf die EZB eingeprügelt. Ob ICH den digitalen Euro akzeptiere oder ablehne, hängt aber nicht davon ab, ob die Linken oder die Rechten ihn für gut befinden, sondern davon, was er MIR bringt.

    Im übrigen glaube ich, dass „die Linken“ sind in dieser Hinsicht kein Stück besser sind als die „Rechten“. Sie geben auch überall ihren persönlichen Senf dazu, anstatt objektiv zu informieren. Mein Vater sagte schon in den 1970ern, dass die Nachrichten im Ersten Programm mehr „links“ und im Zweiten mehr „rechts“ seien. Damals hatte ich das nicht verstanden und gemeint, das seien doch überall dieselben Nachrichten, nur dass die einen um 19 Uhr und die anderen um 20 Uhr kommen.

    1. Genau. Weil sich kritisch denkende Leute selbst eine Meinung bilden wollen, trennt man Information und Kommentar in der Zeitung genau. Wenn Du Dir zu einer Information selbst eine Meinung bilden willst, kannst Du Dir dann die Lektüre des Kommentars sparen. Bei Blogs und in YouTube-Videos verschwimmt das natürlich oft.

      Deshalb nun zu Deinem AfD-nahen YouTuber. Da stellt sich eine Reihe von Fragen: Ist er ausgebildeter Journalist? Was ist das für ein Kanal? Sein eigener? Derjenige einer Organisation? Und wenn ja, welcher Organisation? Bei YouTube kann man das im Zweifelsfall nachschauen, indem man das kleine „i“ auf dem Filmchen anklickt. Wenn der rechtsgedrehte YouTuber keine journalistische Ausbildung hat und nicht für den Kanal eines professionellen Mediums arbeitet, dann ist das kein Journalist, sondern ein Amateur. Da wissen wir, dass es sich lohnt, bei einer verlässlichen Quelle nachzuprüfen, ob seine Aussagen überhaupt stimmen.

      Wenn solche Filmchen dann noch als Beispiele für „Journalismus“ ausgegeben werden, dann sende ich jedes Mal ein Stossgebet zum Himmel, dass nachfolgende Generationen eine bessere Medienbildung bekommen als wir sie gehabt haben! Sonst können wir uns den Journalismus bald an den Hut stecken und mit ihm die Demokratie.

  8. Ich sehe YouTube-Filmchen nie als Journalismus an, aber trotzdem können sie unter Umständen aktueller sein als z.B. eine Nachrichtensendung im Fernsehen, weil dort natürlich eine Themen-Auswahl getroffen werden muss.
    Ich finde, dass in solchen Fernseh-Nachrichten durchaus „neutral“ berichtet wird (zumindest in Deutschland). Wenn einige Leute (besonders aus der „rechten“ Ecke) auf den sogenannten staatlichen Mailstream-Journalismus einprügeln, habe ich dafür kein Verständnis.

    Aber es ist wohl alles „extremer“ geworden. Früher gab es in Deutschland ja nur SPD und CDU/CSU – und die FDP in der Mitte. Die Parteien am extrem rechten und linken Rand (wie NPD oder DKP) waren ziemlich unbedeutend.

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