Schweizerdeutsch 39: Die Unplanbarkeit der Dinge

Bis dee schlüüft no mängi Muus ines anders Loch!

Standarddeutsch: Bis es soweit ist, schlüpft noch manch eine Maus in ein anderes Loch.

Sinngemäss: Über gewisse Dinge sollte man sich nicht zu früh Sorgen machen.

Am Dienstagnachmittag vor Ostern kommt unser Seitendisponent bei mir vorbei. „Wie viel Platz brauchst Du in den Ausgaben vom Gründonnerstag, vom Karsamstag und vom vom nächsten Dienstag?“ fragt er. Er ist etwas nervös. Vor Feiertagen sind wir bei der Tageszeitung immer etwas nervös. Alle müssen dann ihren Stoff in weniger Ausgaben als sonst unterbringen. Und jetzt will er tatsächlich alle Seitenumfänge bis zum kommenden Dienstag planen!

Dabei weiss ich noch überhaupt nicht, wie viel Platz ich in der Ausgabe vom nächsten Dienstag brauche! Die Mails mit meinem Stoff kommen unangekündigt, täglich, stündlich. Ich lächle ihn an, denn ich weiss, dass er morgen und am Donnerstag auch noch arbeitet: „Äh, ke Schtress, bis dee schlüüft no mängi Muus ines anders Loch!“ Seit ich mich hier mit Schweizer Redensarten auseinandersetze, kommen solche Sätze aus meinem Mund, bevor ich sie gedacht habe. Meine Mutter redete so zu uns Kindern, wenn wir uns viel zu früh über etwas ängstigten. Ich hütete mich stets, darüber nachzudenken, warum es früher bei der Planung eine Rolle spielte, in welchen Löchern die Mäuse sassen.

Aber der Seitendisponent kann weder mit meinem Lächeln noch mit Mauslöchern etwas anfangen. Er sagt: „Ach, ich trage Dir einfach mal die Normmenge ein!“

Am Karfreitag sehe ich dann endlich, wie die Mäuse sitzen  – und dass jetzt nicht genügend Löcher für sie da sind. Aber da hat der Seitendisponent frei.

5 Gedanken zu „Schweizerdeutsch 39: Die Unplanbarkeit der Dinge“

  1. Ich finde Redensarten auch sehr interessant – vor allem auch in anderen Ländern / Sprachen, vor allem, weil man den Sinn oftmals nicht ergründen kann, wenn man sie wörtlich übersetzt.

    Statt an Mauselöcher zu denken, hätte ich eher vermutet, dass du sagen würdest, dass bis Gründonnerstag noch viel Wasser die Reuss hinabfließt.

    Ach übrigens: Gestern hat eine junge Frau bei „Wer wird Millionär“ viel Geld verloren (das heißt, sie hat nichts gewonnen), weil sie eine gebräuchliche Redewendung nicht kannte: Wie sagt man, wenn man die Meinung eines anderen teilt? Die Antworten: A) aufs gleiche Fell trommeln, B) ins gleiche Horn stoßen, C) an der gleichen Leier zupfen und D) mit der gleichen Tute tröten.
    Erst sagte sie A, dann C, dann wieder A… vielleicht hätte sie doch einen Joker nehmen sollen…
    Weißt du es? Benutzt man in der Schweiz dieselben Redewendungen wie in Deutschland?

  2. Ja, wir benutzen oft dieselben Redensarten wie die Deutschen. Ich kann es nicht quantifizieren, aber ich habe das Gefühl, dass diesbezüglich in den letzten Jahrzehnten eine starke Angleichung des Schweizerdeutschen ans dominante Hochdeutsch stattgefunden hat. „Bis dee flüsst ne vil Wasser d’Rüüss dörab“, das habe ich bestimmt schon Leute sagen hören und vielleicht schon selbst gesagt. „De Rii dörab“ wäre gebräuchlicher. Aber wer lokal denkt und sprachlich aufmerksam ist, könnte gut „d’Rüüss dörab“ sagen.

    Bei „wer wird Millionär“ würde ich ziemlich selbstsicher auf „B“ tippen. Sagen wir „is gliiche Horn schtoosse?“ Nein, ich glaube nicht.

  3. Menschen, die noch nicht lange in Deutschland sind (also keine Muttersprachler), könnten Schwierigkeiten bei den ersten (relativ leichten) Wer-wird-Millionär-Fragen haben, da diese meistens Redewendungen betreffen und weder Wissen noch logisches Denken erfordern.
    Eine andere WwM-Frage war gestern, wie viele Leben eine Katze in England hat (in Deutschland sind es sieben). Wüsstest du das? (Vielleicht hat der Guardian es ja mal erwähnt).

  4. 🙂 Ich musste es auch googeln. Es sind neun. Das dünkt mich jetzt etwas übertrieben … Sieben sind doch schon für jeden Tag der Woche eins.

  5. Habe über google auch gefunden: „Katzen, die Stürze aus der Höhe oder gefährliche Situationen überleben, tragen zum Mythos ihrer „neun Leben“ bei. Dieser Mythos stammt ebenfalls aus der Antike, als Katzen als nahezu göttlich galten. Daher ist die Vorstellung, dass sie neunmal so lange leben, eher auf ihre beeindruckenden Überlebensfähigkeiten und ihre historische Verehrung zurückzuführen als auf die Realität“.
    Aber auch: in Spanien, Portugal, Italien, Griecenland, Deutschland, Österreich, Albanien haben Katzen sieben Leben. In England, Kanada und China stehen einer Katze neun Leben zur Verfügung. Allerdings ist sicher, dass die Länge ihres Lebens nicht von ihrem Geburtsland oder dem Staat, in dem sie aufwachsen, abhängt.
    Alles alles doch nur Mythos…

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