Schweizerdeutsch 43: Vater sucht ein Restaurant

Do chasch nüd säge.

Standarddeutsch: „Da kannst Du nichts sagen.“ Sinngemäss: „Dagegen ist nichts einzuwenden.“

Gestern wollten Herr T. und ich online drei Hotelübernachtungen in einer kleinen Stadt im Westen Deutschlands buchen. Wir klickten uns durch rund ein halbes Dutzend Angebote, irgendwann hatten wir ein zentral gelegenes Haus vor uns, erschwinglich, leidliche Bewertungen, und ich sagte: „Do chasch nüd säge.“

Diesen Satz hatte ich seit Jahren nicht gehört und sowieso nicht gesagt. Woher kam das jetzt wieder!? Da sah ich meinen kleinen Bruder und mich im Schlepptau unserer Eltern in der französischen Kleinstadt Evian, bei einem Tagesausflug über die Landesgrenze, um 1980, vielleicht unser erster. Bei meinen Eltern hatte sich bescheidener Wohlstand eingestellt. Es war Mittag. Wir gingen hungrig in der Stadt umher, Vater und Mutter studierten vor jedem Restaurant die Speisekarte mit den Preisen und etwa jedes zweite Mal sagte mein Vater: „Do chasch nüt säge“, das heisst: Er fand es akzeptabel. Aber ich glaube, die Preise waren überall ähnlich, und wo das Essen gut war, wussten wir halt auch nicht. Wir standen ratlos da, als der Briefträger mit einem Töffli den Hang herauftuckerte und meine Mutter sagte: „Komm, wir fragen ihn. Briefträger wissen immer, wo man gut isst.“ Das tat dann mein Vater, stolz auf sein gutes Französisch. An jenem Tag gab es einen Rindsbraten mit Rotweinsauce. Passabel und erschwinglich.

 

6 Gedanken zu „Schweizerdeutsch 43: Vater sucht ein Restaurant“

  1. Ich glaub, im Schwäbischen haben wir auch immer gesagt: „Da kohsch nix saga!“ mit derselben Bedeutung.
    Aber was ich besonders bemerkenswert fand, wie Du Dich an diese Episode noch erinnern kannst und sogar noch weißt, was es zu Essen gegeben hat. Meine Erinnerungen sind lang nicht so detailliert.

    1. Danke, Nell! Lustig, dass Ihr das im Schwäbischen auch gesagt habt. Ich war ein paarmal mit Leuten aus dem Schwabenland unterwegs und erinnere mich an die Genauigkeit, mit der sie sich an Preise erinnerten und Preisvergleiche machten. Dieses „do chasch nüd säge“ hat ja so etwas Ungefähres, das wäre meinen damaligen Reisekollegen nie passiert.

      Was die Erinnerung betrifft, würde ich zumindest für den Braten nicht die Hand ins Feuer legen. Aber ich war auch überrascht darüber, wie klar ich das plötzlich wieder vor Augen hatte. Als ich Knausgård las, habe ich mich oft gewundert darüber, dass er noch in der Lage ist, die Textur des Asphalts hinter dem Haus seiner Kindheit zu beschreiben und habe ihm das nicht ganz abgenommen. Aber manchmal stehen uns Dinge schon noch sehr klar vor Augen (ohne dass wir uns freilich darauf verlassen können, dass es tatsächlich alles stimmt und dass andere genau dieselbe Erinnerung haben).

      1. Ja, das ist der Grund, warum ich manchmal meine Erinnerungen mit denen meiner Schwester vergleiche. Passt aber dann meistens schon. Ist mir aber auch sehr klar, dass man sich auf seine Erinnerungen nicht hundertprozentig verlassen kann. Es muss ja auch nicht alles auf den Tag genau stimmen. Aber so in etwa war es sicher doch!

        1. Ja, es hat für mich eine Wahrheit, die über Worte hinausgeht. Ich muss mal meinen Bruder fragen, ob er sich daran auch erinnern kann.

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