Grandson: Wiedersehen mit Ritter Otto

Eisenbahn beim Schloss Grandson. (Quelle: bahnbilder.ch).

Kurz vor Yverdon zieht die Eisenbahn durch ein kleines Portal, das zum Schloss Grandson gehört. Drin im Schloss las ich 2022 erstmals den Namen des vor bald 800 Jahren verstorbenen Otto von Grandson (1238 bis 1328). Otto erbte seinerzeit das Schloss, kam jedoch schon als Kind an den englischen Hof und war Page des Prinzen, der König Edward I. werden sollte. Edward, auch Langschenkel genannt, war eine Eroberernatur. Mit ihm zog Otto 1270 in den Nahen Osten auf dem letzten Kreuzzug, kämpfte danach bei der Eroberung von Wales mit und lebte lange Jahre in England. Erst nach Edward’s Tod 1307 zog Otto definitiv zurück ins heimatliche Schloss im Waadtland. In hohem Alter packte ihn noch einmal der Wandertrieb. Er machte sich auf zur Pilgerreise nach Rom. Aber er kam nur bis Aigle, 86 Kilometer von Grandson entfernt, wo er verstarb.

Meine Anglophilie war gekitzelt. „Guck mal, ein Schweizer, der die Enge unserer Bergtäler überwunden hat“, sagte ich zu Herrn T. Ein Europäer! Ein Abenteurer! Ich brauchte ein paar Augenblicke, bis mir klar wurde, dass Otto gar kein Schweizer war. Es gab damals noch keine Schweiz und folglich auch keine Schweizer. Vielmehr war die Familie Grandson eng mit jener der weltläufigen Grafen von Savoyen verbunden. Dass im August 1291 weit östlich von Grandson ein paar Leute aus den entlegenen Tälern von Uri, Schwyz und Unterwalden einen Vertrag unterschrieben, aus dem sich die Eidgenossenschaft entwickeln sollte, bekam Otto vielleicht nicht einmal mit. Denn die Sommermonate jenes Jahres verbrachte er in Zypern. Dort erholte er sich von der letzten Schlacht um Akko, die im Mai desselben Jahres das endgültige Ende der christlichen Kolonien im Heiligen Land besiegelt hatte.

Otto als Krieger – Bild im historischen Museum Bern.

Die irrige Annahme, Otto sei Schweizer gewesen, ist symptomatisch für eine bestimmte Art, die Schweiz zu verstehen. Einige von uns aus der Deutschschweiz betrachten die Suisse romande möglicherweise doch mit der Blindheit der Eroberer. Bevor Bern 1536 das Waadtland zu Untertanenland machte, war dort, … nun ja …, vielleicht einfach nichts, denken manche von uns. Ein Irrtum, der zumindest mein Verständnis für unsere Landsleute in der Suisse romande trübte. Aber die Suche nach Spuren des längst verstorbenen Grafen hat bei mir etwas verändert. Dazu später mehr.

2 Gedanken zu „Grandson: Wiedersehen mit Ritter Otto“

  1. Das ist zum einen interessant (nicht nur die Führung der Bahnlinie durchs Schloß…), zum anderen eben ein romantischer Ausflug in jene fernen Tage eroberungssüchtiger Kriegerherren, die ganz schön herumkamen. Und sich auf die unrühmlichste Art gegenseitig bekämpften (ich erinnere beispielsweise an die Gefangenschaft des berühmten Richard Löwenherz auf der Burg Trifels). Zum Glück können wir diese Zeiten tatsächlich als romantisch verklärt ansehen, denn damals dort oder da zu leben wäre kein Spaß für unsereins gewesen!

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