Warum mich dieser Zollhammer so wütend macht!

Ich komme gerade von einem Geburtstagscüpli mit meiner Freundin Paulina. Wir erörtern Donald Trump’s Zollschock. 39 Prozent! „Gestern habe ich mit meinem Bruder telefoniert“, berichtet sie. „Er arbeitet in einem kleinen Unternehmen draussen in Hügelingen. Sie setzen dort künstliche Schultergelenke zusammen. Das ist High-Tech! Feinstmechanik! Die Teile kommen aus Asien und von Hügelingen gehen sie weiter ins Ausland. Mein Bruder ist jetzt seit einem Jahr dort, und er sagt, er lerne immer noch jeden Tag etwas Neues. Und weisst Du was? Die machen diese Dinger vorwiegend für den amerikanischen Markt! Er sagt, sie hätten keine Ahnung, was jetzt passiert!“

Googelt man das Unternehmen, findet man ein Bild mit etwa 70 Mitarbeitenden. Alle haben dieses hoch motivierte KMU-Lächeln, nur mir schwellen beim Betrachten die Zornesadern an der Schläfe. Ich meine: Es kann passieren, dass Leute aus strukturellen Gründen ihre Jobs verlieren. Es gibt Wirtschaftskrisen und Pandemien und schöpferische Zerstörung. Aber wenn diese 70 Leute ihre Übergwändli wegen der Willkür eines ahnungslosen Despoten in Washington an den Nagel hängen müssen, dann ist das einfach nur Verschwendung von Know-how, Kompetenz und Lebensperspektiven. Und es sind ja nicht nur diese 70 Leute. Schon im Februar waren in meinem Wohnkanton wegen dieser bescheuerten Zoll-Unsicherheit 61 Unternehmen in Kurzarbeit. Das heisst: Sie erhielten Geld vom Staat, damit sie auch mit leeren Auftragsbüchern ihre qualifizierten Leute halten konnten.

Wer übersichtliche Zahlen über die Schweizer Exportwirtschaft mit den USA will, ist zum Beispiel hier gut bedient!

Und falls jetzt jemand von mir erwartet, dass ich Mitleidstränen vergiesse, weil die die Amerikaner*innen offenbar ihre künstlichen Schultergelenke nicht selbst zusammenbauen können: Go f*ck yourself!

12 Gedanken zu „Warum mich dieser Zollhammer so wütend macht!“

  1. Zu „… die Amerikaner*innen offenbar ihre künstlichen Schultergelenke nicht selbst zusammenbauen können“ = Da hast du meines Erachtens den Nagel genau auf den Kopf getroffen. Und es geht dabei nicht nur um Schultergelenke, sondern auch um alles andere (außer vielleicht Waffen, aber nicht mal da bin ich sicher).

    Wenn D. Trump immer sagt, dass Amerika zuviel importiert und zu wenig exportiert, dann hat er damit sicherlich recht. Aber der Grund ist nicht, weil allewelt die USA „unfair“ behandelt, sondern weil die Amis keine „großartigen“ Waren herstellen, die weltweit gefragt sind. So wie es die Schweizer (und die Deutschen) machen.
    Wie kann es sein, dass ein „großartiges Land“ nicht mal in der Lage ist, für seine eigene Bevölkerung künstliche Schultergelenke herzustellen?

    1. Du verstehst von der deutschen Wirtschaft sicher mehr als ich. Ich weiss nur, dass es bei Euch eine starke (im Moment etwas schwächelnde) Maschinen- und Autobauindustrie gibt. Aber ich glaube nicht, dass wir die Amerikaner so kleinreden dürfen. Eigentlich haben sie ja den Fordismus erfunden (heisst: diejenigen Leute, die am Fliessband Autos bauen, sollen sich auch Autos leisten können). Ausserdem haben sie der Welt Hollywood, Microsoft und Jimi Hendrix geschenkt. Und sie haben über Jahrzehnte den Freihandel entwickelt, organisiert und protegiert und waren die Weltmacht, die alles zusammenhielt.

      Jetzt nimmt halt ein dementer, alter Trottel ein nach kapitalistischem System entstandenes Freihandelssystem auseinander, als wären es ein paar zerkaute, alte Holzklötze. Das Problem der Schweiz ist: Wir sind aus komplizierten Gründen ein Hochlohn-Land, also bei der industriellen Massenware gar nicht konkurrenzfähig. Unsere Industrie muss es daher mit Spitzentechnologie schaffen. Die gibt’s auch in anderen Ländern, vielleicht sogar billiger (und, wer weiss, vielleicht sogar gleich gut). Künstliche Schulterblätter können vielleicht auch andere Anbieter. Da werden die Amis auf die ausweichen, das heisst: Bei uns sind diese Jobs weg. Es heisst immer, die amerikanischen Bürger würden die Zölle zahlen. Aber im Fall der Schweiz ist es eben nur die halbe Wahrheit.

      Seit Jahren verfolge ich Geschichten über die Deindustrialisierung des Mittleren Westens in den USA. Das ist schon eine traurige Sache, und ich verstehe auch nicht, wie man das hat passieren lassen können. Wie unglaublich wütend das die Betroffenen macht, sehe ich erst, seit es uns ganz in der Nähe droht. Da wird noch einiges auf uns zukommen.

  2. Naja, Umbrüche hat es schon immer gegeben – genauso wie Menschen, die davon mehr betroffen waren als andere. Der ganze Wandel begann ja schon Anfang der 1990er Jahre – zufälligerweise mit dem Zusammenbruch des Kommunismus (in Deutschland: dem Fall der Mauer). Und auch ich war ein Opfer, das mehr oder weniger freiwillig den Job aufgegeben hatte (ohne den Wandel hätte ich das wohl nicht getan).
    Aber wie gesagt: so etwas gab es auch schon im vorletzten Jahrhundert – denke an „Die Weber“ von Gerhart Hauptmann. Und jetzt ist wieder so eine Zeit gekommen: sicherlich wird wird die KI länger bestehen als D. Trump – und noch mehr Arbeitsplätze vernichten, und dabei viele Menschen ins Elend stürzen und andere superreich machen. <== Was hatte ich heute darüber gelesen: "Die Gutverdienenden arbeiten dafür, dass die Superreichen noch reicher werden und noch luxeriöser leben".

    1. Ja, so klingt das im Moment, diesen Eindruck habe ich auch. Superreiche, die sich einen feuchten Dreck um Rechtsstaatlichkeit und elementaren Anstand beim Verhandeln halten.

  3. Ich frage mich allerdings, ob das nur IM MOMENT so ist oder ob das nicht schon IMMER SO war, dass bestimmte Menschen versucht haben, sich „die Erde unter den Nagel zu reißen“.
    Vielleicht haben nur die Medien früher nicht so viel darüber berichtet(?). Gab es zu Cäsars und Napoleons Zeiten eigentlich schon Medien? Oder wie sah das bei den Pharaonen aus?
    Was denkst du, was man in einigen hundert Jahren über Trump sagen wird?

    1. Ludwig der Vierzehnte [L’etat c’est moi = Ich bin der Staat (d.h.:“Von heute an macht Ludwig alles alleine“)] wird der Sonnenkönig genannt. Nennt man so etwas nicht Euphemismus? – Vielleicht wird über Donald Trump mal in den Geschichtsbüchern stehen, dass er die Demokratie nicht ganz so eng auslegte (Euphemismus).

      1. Es stimmt, Ludwig XIV. war kein netter Kerl. Er hat in Deutschland nach meinem Wissensstand mindestens eine Kleinstadt zu Schutt gemacht und pflegte im damals sehr dominanten Frankreich eine aggressive Zollpolitik. Es ist nicht ganz verkehrt, ihn mit Trump zu vergleichen. Aber was die Geschichtsbücher über Trump schreiben werden, wissen wir noch nicht. Es fängt jetzt erst an, richtig interessant zu werden.

    2. Ja, früher war es ganz normal, dass Staaten von Königen regiert wurden, die sich einfach unter den Nagel rissen, was sie kriegen konnten. Wir hatten das Glück, nach dem Zweiten Krieg in einer Weltordnung zu leben, in der eine nach demokratischen Grundsätzen funktionierende USA Hegemonialmacht in Europa waren. Die Nato schützte uns vor Konfrontationen mit der Sowjetunion. Wir hatten Verfassungen, Handelsabkommen, Gerichte und einen aus der Rechtssicherheit gewachsenen Wohlstand. Wir hatten auch funktionierende Medien, die den Machthabern auf die Finger schauten. Auch wollte niemand mehr Krieg, man erinnerte sich, wie das die beiden letzten Male gewesen war.

      Was in den ehemaligen Kolonialstaaten passierte, ist eine andere Geschichte. Vielleicht ist es die Rache der Geschichte, dass Trump jetzt auch die Staaten Europas wie Kolonien zu behandeln beginnt.

  4. Du hast völlig recht mit deiner geschichtlichen Analyse.
    Die Frage ist, was zu welcher Zeit als „normal“ gilt. Heutzutage werden Rassismus und Diskriminierung angeprangert. Früher war es ganz normal, dass die Einen (man selber) etwas Besseres waren als die Anderen.
    Genauso wie im Tierreich galt auch unter Menschen das Recht des Stärkeren. „Der Mensch ist des Menschen Feind“ sagte schon unser Geschichtslehrer. Vielleicht hat das aber auch mit „Mangel versus Überfluss“ zu tun (wenn es Einem gut geht, kann man sich Demokratie leisten <== aus dem Grunde verstehe ich Trump und Putin nicht).

    Wie spätere Generationen unser Zeitalter einmal beurteilen, ist jetzt kaum abzusehen.

  5. Nun, die reichen Amerikaner können sich weiterhin künstliche Gelenke leisten, wenn sie sie denn mit zu viel Golfspielen kaputt gemacht haben. Das zahlen die aus der Portokasse. Und falls es keine Schweizerischen gibt, dann eben welche aus Fernost. Muß man halt öfter mal auswechseln, aber da man eh zum Schönheitschirurgen geht ist man das ständige operiert werden ja gewohnt.
    Ach, der Maurer? Und der Bauer? Ja, nun, die können sich weder eine Krankenversicherung noch ein Schultergelenk leisten. Hätten sie mal lieber ihre Freiheit genutzt und sich richtig entschieden, so ist das halt Pech!
    Oder sollte man doch Mitleid mit den Amerikanern haben, die jetzt gerade in die Armut ge- und dann von der Straße vertrieben werden?

    1. Sollte man Mitleid haben mit den Amerikanern, die jetzt gerade in die Armut getrieben werden? Ich habe immer Mitleid gehabt mit armen Amerikaner*innen, Schwarz oder weiss, ländlich oder städtisch. Was im Moment passiert, dünkt mich haarsträubend. Als wolle man alle Fortschritte, die in den letzten Jahrzehnten bei der allgemeinen Gleichbehandlung aller Menschen durch die Medizin gemacht wurden, rückgängig machen. Aber sie mussten ja einen Irren wählen, nicht?

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