Schweizerdeutsch: Es ist zum Verzweifeln!

Es esch zom Hooröl säiche!

Standarddeutsch: Es ist zum Haarölpinkeln, sinngemäss: Es ist zum Verzweifeln!

Eigentlich hatte ich eine Abmachung mit mir selbst: keine Fäkalsprache in meinen Schweizerdeutsch-Lektiönli, schon gar kein derart vulgäres Wort wie «säiche». Doch es gibt Situationen, in denen es für Fäkalsprache kaum eine Alternative gibt. Es sei denn, man wolle sagen: Es ist kafkaesk. Aber das klingt im Alltag allzu hochtrabend.

Und meine Probleme sind gerade ganz alltäglich und treiben mich doch fast in den Wahnsinn. Seit unserer Systemumstellung habe ich Ärger mit meinen Geräten, die eigentlich die Intervention unseres ICT-Supports nötig machen würden. Um ICT-Support zu bekommen, muss man per E-Mail ein so genanntes Ticket eröffnen. Postwendend bekommt man dann eine Eröffnungsbestätigung und das Versprechen, dass die ICT-Abteilung sich «im Normalfall» innert 24 Stunden um das Problem kümmern werde. Dann passiert im Normalfall wochenlang nichts. Man funktioniert mit Hilfe von Fluchen, Murksen und zeit- und nerventötender Improvisation. Nach drei Monaten kommt manchmal eine Anfrage: «Dein Ticket ist schon lange hier. Können wir es jetzt als erledigt betrachten?» Neulich schrieb ich: «Nein, ist noch nicht erledigt, im Gegenteil. Könntet ihr Euch bitte drum kümmern?» Wenig später kam die Antwort: «Nein, dafür ist unsere Abteilung nicht mehr zuständig. Wie vermuten aber, dass das Problem bei Techniksprech… Techniksprech … Techniksprech … liegt. Lös bitte ein Ticket beim ICT-Support.» Ist das kafkaesk oder ist es nicht kafkaesk?

Der ICT-Support sitzt im fernen Hauptquartier, vor Ort bei uns ist niemand mehr. Neulich, auf heftiges Drängen, bekam ich wenigstens einen Supporter im Hauptquartier ans Telefon, einen liebenswürdigen Typen. Es war wie eine Sitzung beim Psychotherapeuten: Danach verstehst du das Problem vielleicht besser, aber lösen musst du es selbst, mit Fluchen, Murksen und Improvisation.

7 Gedanken zu „Schweizerdeutsch: Es ist zum Verzweifeln!“

    1. Oh ja, der hochsprachliche Kommentar zum Phänomen wäre „kafkaesk“! Aber manchmal kommt man einem Sachverhalt mit Kraftausrücken besser bei. Ich frage mich gerade, ob schon jemand erforscht hat, wie sich das Ausstossen von Kraftausdrücken auf die Ausschüttung von Stresshormonen auswirkt.

      Ich selbst habe mir überlegt, was die Redensart auf einer symbolischen Ebene bedeuten könnte. Sie ist alt und kommt wahrscheinlich vom Land, wo früher vor allem besser situierte Herren Haaröl verwendet haben dürften, also zum Beispiel Ärzte und höhere Beamte (legt Wikipedia nahe). Also verwenden wir sie nicht selten als Ausdruck dafür, dass die herrschende Normalität zünftig aus den Fugen geraten ist, vermutlich auch auf Betreiben der obrigkeitlichen feinen Pinkel, die in anderen Fällen sehr vehement auf die Einhaltung dieser Ordnung pochen. Kafkaesk ist dafür schon passend, da haben Sie recht, Herr B.

  1. Finde ich cool die Wörter von dir! Säichen ( hoffentlich habe ich das richtig geschrieben, ich habe deinen Text nicht mehr im Kopf) kenne ich, und zwar als soachn oder soachln. Und im Fränkischen sächn. Also ich stamme ja aus München, und mein Vater hat/hatte tiefe Münchner Wurzeln, meine Mutter kommt aus Würzburg.

    1. 🙂 Ja, man sollte gelegentlich gegen die eigenen Regeln verstossen. Aber ich werde es nicht zur Gewohnheit machen. Schon wieder staune ich darüber, wie unser Dialektwortschatz bis weit nach Bayern mit eurem verwandt ist!

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