Schwerhörig: Was würden Sie denn gern wieder hören?

Gerade lese ich den Roman «Flimmern im Ohr» von Barbara Schibli. Die Protagonistin, Priska, ist hochgradig schwerhörig und hat sich eine Innenohrprothese, ein so genanntes Cochlea-Implantant (CI) machen lassen. Sie will wieder Musik hören. Besonders Punk, denn die Mittvierzigerin will das Lebensgefühl ihrer jungen Jahre zurück. Aber nach den ersten Versuchen ist sie enttäuscht, und so versucht die Therapeutin, Priskas Blickfeld zu erweitern. «Was würden Sie denn gerne wieder hören können? Das muss nicht zwingend Musik sein», sagt sie. Es ist, als würde sie mich fragen. Ich bin auch hochgradig schwerhörig und werde bald ein CI bekommen.

Was für eine anstrengende Frage, denke ich. Ich meine, klar: Am liebsten würde ich zehn Meter von mir entfernt in einem Raum mit Parkettboden eine Stecknadel zu Boden fallen hören und hätte dann wieder dieses göttliche Raumgefühl, das man hat, wenn man so etwas hört. Und ich möchte natürlich den Parkett knarzen hören und zwar scharf und präzis. Ich möchte, dass Kammermusik nicht mehr wie Katzenmusik klingt, und ich möchte nach dem Kammermusik-Konzert mit jemandem plaudern und das Knarzen des Parketts und die Stimme meines Gegenübers auseinanderhalten können. Und vor allem möchte ich nach einem solchen Anlass nicht immer todmüde sein. Ich möchte in eine Bäckerei gehen und ein Brötchen kaufen können, ohne mich schon vor der Tür zu ängstigen, weil ja jedesmal etwas schiefgeht bei einem Verkaufsgespräch in der Bäckerei. Aber das sind vermessene Träume, das weiss ich.

Man hat mir früh zu verstehen gegeben, dass ich mir beim CI nicht allzu kühne Hoffnungen machen soll. Das CI macht aus einer fast gehörlosen Person eine schwerhörige Person, hat man mir gesagt. Musik? Schwierig. Und vielleicht würde die schiere Grossartigkeit von Musik mich sowieso komplett überwältigen. Ich glaube, es würde mir schon reichen, wenn nach einem Tag mit Brötchenkaufen und Gesprächen und Katzenmusik nicht immer so erschöpft wäre.

Warum lege ich solchen Wert auf Einhaltung der Regeln?

Seit ich mich wieder vermehrt mit meiner Schwerhörigkeit auseinandersetze, habe ich eine fatale Neigung entwickelt: Ich fange an, alles, was mir passiert, unter dem Gesichtspunkt der Schwerhörigkeit zu analysieren. Warum zum Beispiel bin ich im Fitness-Center vielleicht etwas zu versessen darauf, dass die anderen Frauen die Regeln einhalten? Warum hat es mir dort so schnell zu viele Leute? Weil ich in diesem Getöse von Musik und sportlichem Aktivismus nicht so locker mündlich interagieren kann wie andere? Weil ich deshalb mehr auf Regeln angewiesen bin? Oder bin ich etwa eine spiessige, alte Blockwart-Schweizerin geworden bin? Eine, die bei der kleinsten Störung von Ruhe und geordneten Abläufen „wehret den Anfängen!“ schreit?! Nein, darüber will ich gar nicht nachdenken! Ich will mich nicht wegen jeder misslichen Situation des Zusammenlebens mit meiner Schwerhörigkeit auseinandersetzen oder mich gar auf meine Schwerhörigkeit hinausentschuldigen! Es gibt noch so viel anderes, was mich zu der Person gemacht hat, die ich bin,  auch wenn ich mein eigenes Handeln mal grad nicht so sympathisch finde.

Schweizerdeutsch 10: Das Christkind kommt

„tüüssele“ (V)

auf Hochdeutsch: sich auf leisen Sohlen herbei- oder davonstehlen, ganz sachte auf den Zehenspitzen gehen.

24. Dezember: Während die Kinder, vom Papa abgelenkt, mit Bauklötzen spielen, passiert hinter ihrem Rücken Unerhörtes: Das Christkind tüüsseled mit einem Arm voller Geschenke in die Stube. Dort wartet Mama, nimmt dem Christkind leise die Päckli ab und legt sie unters Bäumchen. Das Christkind macht sich über den Balkon davon, dann ruft die Mama die Kinder in die Stube, und – „Oh, Du fröhliche!“ – da steht das Bäumchen, erleuchtet von ganz vielen Christbaumkerzen!

So war das bei uns.

Frohe, leuchtende Weihnachtstage wünsche ich Euch allen!