Zum Glück gibt’s im Kino Untertitel

Ernst S. – hier gespielt von Dimitri Krebs – will sich nicht mit der ihm vorgezeichneten Existenz als Stallknecht abfinden. Um Sänger zu werden, verkauft den Deutschen „Geheimnisse“. (Quelle: Ascot Elite)

An den Filmtagen in Solothurn lief der Spielfilm über den 1942 wegen Landesverrats erschossenen Ernst Schrämli. Uns Altlinken ist der Stoff aus dem Dokumentarfilm von Niklaus Meienberg und Richard Dindo (1976) bestens bekannt – er prangerte helvetische Heuchelei und Klassenjustiz an. Klar, dass Herr T. und ich das Remake sehen mussten!

Der Streifen erwies sich von der ersten Sekunde an als emotional packend – Ernst S., dieser eben erwachsen gewordene Heimzögling, Träumer und Tunichtgut, hat so lebenshungrige Augen! Aber ach! Ich verstehe die Dialoge nicht! Ich merke nur, dass die Leute im Film St. Galler Dialekt sprechen. Den verstehe ich eigentlich tiptop, aber halt nicht im Kino.

Doch was für ein Glück! Da sind Untertitel! Nun ja, sie sind französisch, für das Festivalpublikum aus der Romandie, aber besser als nichts. Ich konnte also dem Plot folgen, wenn auch vielleicht nicht jeder Feinheit bei den Dialogen, und kann demnach auch sagen, dass ich den Film sehr empfehlenswert finde – man sollte nicht jeder durchzogenen Kritik glauben.

Wer mehr wissen möchte, liest am besten hier nach.

Schwerhörig in der Röhre

Gestern musste ich ein Computertomogramm machen, als Vorbereitung für das Cochlea-Implantat, das ich wohl so im Herbst bekommen werde. Bevor ich in die Röhre stieg, bereitete eine junge Frau mich vor: „Jetzt legen Sie alles ab, was Sie am Kopf haben. Dann müssen Sie sich hinlegen, ganz ruhig liegen und die Augen schliessen. Ich werde ihren Kopf fixieren. Sie dürfen während der Aufnahme auch nicht schlucken“, sagte sie.

Ich: „Muss ich auch die Hörgeräte herausnehmen?“ „Ja, auch die Hörgeräte.“

Ich: „Dann höre ich aber gar nichts mehr!“ Ich überlege einen Moment, dann bitte ich sie: „Könnten Sie mich zweimal mit dem Finger hier anstupsen, wenn ich nicht mehr schlucken darf?“ Ich zeige auf die äusserste Spitze meines rechten Beckenknochens. Sie: „Ok, das machen wir so. Wenn ich Sie anstupse, schlucken Sie zweimal, dann geht’s los.“

Ich lege also Hörgeräte und Brille weg, mich selbst auf den Schragen und mache die Augen zu. Sie fixiert ein Band an meinem Kopf, dann stupst sie mit dem Knie zweimal den Schemel, über den man auf die Liege steigt. Das merke ich, weil es die Liege schüttelt. Ist das jetzt das verabredete Zeichen? Das kann schon sein, denn eins habe ich gelernt: Wir Schlappohren können uns nie drauf verlassen, dass die Leute auch genau das tun werden, worum wir sie gebeten haben. Ich schlucke zur Sicherheit schon mal zweimal und halte mich still. Dann dauert es eine Weile, und ich möchte schlucken. Verdammt, ich möchte schlucken!

Da legt sie mir zweimal hintereinander eine Handbreit über dem Knie sanft zwei Finger aufs Bein. Ok, das ist das verabredete Zeichen. Nicht genau an der richtigen Stelle, aber es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Pedanterie. Ich schlucke zweimal wie eine Weltmeisterin, dann liege ich fünf Minuten in dem Summkonzert, das meine Welt ist, wenn ich die Augen schliesse. Ich denke nicht mal dran, dass ich vielleicht Lust haben könnte zu schlucken. Und dann ist schon alles vorbei.

Schweizerdeutsch 18: Mutter erlebt das Kriegsende

E chliine Chnopf

Hochdeutsch: Ein kleiner Knopf

Erläuterungen 1: Bezeichnet ein vielleicht dreijähriges Kind, das gehen kann und manchmal vorlaut niedliche Dinge sagt.

Erläuterungen 2: Am Sonntag war meine Mutter bei uns zu Besuch, zum ersten Mal seit Vaters Umzug ins Pflegeheim ist sie in Plauderlaune. „Über den Krieg weiss ich nicht mehr viel“, sagte sie, „ich habe ja Jahrgang 1942, damals war ich  ’soone chliine Chnopf‘. Ich erinnere mich, dass wir nachts die Fenster verdunkeln mussten. Wegen mögliches Luftangriffe.“ Sie wuchs weit hinten in einem der grossen Zentralschweizer Alpentäler auf. Niemand sollte glauben, der Zweite Weltkrieg habe die Schweiz nicht wenigstens berührt. „Eines Nachmittags war ich in der Küche am Drüüradvelölifahren – wir hatten so eine grosse Küche. Da kam Vati die Treppe hoch, und da wusste ich, dass der Krieg zu Ende war.“ Er war als Hilfsdienstler auf dem Flugplatz Meiringen stationiert gewesen.

 

Schweizerdeutsch 17: Wie wir malochen

Go schaffe

Heisst auf Standarddeutsch „arbeiten gehen“.

„Go schaffe“, das tun wir in der Schweiz mit Stolz, mit Angst oder mit Eifer. Meinem Vater war die Arbeit geradezu heilig. Er war Postbeamter und er war kundenorientiert, loyal und sehr, sehr fleissig. Er kam „vom Schaffe“ regelmässig zu spät zum Essen und ging oft auch am Sonntagabend noch kurz „go schaffe“. Als als ich klein war, arbeitete er am Schalter und trug eine knielange, blaue Bürobluse. Wir durften ihn unter keinen Umständen bei der Arbeit anrufen. Wenn er einen hektischen Tag erwartete, sagte er: „Ech mues go gusle.“ „Gusle“ hiess bei uns auch „hastig mit einem Stock in einer Öffnung stochern“. Am Abend sagte er manchmal: „Esch das e Chrampf gsii!“ Oder: „Es esch e huere Büez gsii!“ Heisst, zurückhaltend übersetzt: „Es war anstrengend.“

Mehr zum Verb „gusle“ hier.

Schweizerdeutsch: Warum mache ich das hier überhaupt?

Ich bin keine Sprachpuristin. Ich habe kein Problem damit, dass sich Sprache verändert. Deshalb habe ich mich lange Zeit gefragt, warum ich plötzlich diesen Drang verspüre, verschwindende Vokabeln und Redensarten aus der Sprache meiner Eltern zu sammeln und in meinem Kopf noch einmal nachklingen zu  lassen.

Dann las ich „Eine Arbeiterin – Leben, Alter und Sterben“ des Franzosen Didier Eribon. Das Buch ist ein zugleich liebevoller und distanzierter Nachruf auf seine verstorbene Mutter, und er schreibt: „Ich werde nie wieder Gelegenheit haben, aus dem Mund meiner Mutter jene Wendungen zu hören, die sie so gern brauchte, ihren Tonfall, ihre (laute) Art zu reden, ihren Akzent, ihre regionalen Ausdrücke.“* Dazu muss man wissen, das Eribon in Reims in einer Arbeiterfamilie aufwuchs, dann nach Paris ging und als Soziologe und Journalist europaweit bekannt wurde. Er schuf eine grosse Distanz zwischen sich und seiner Herkunft. Nachdem seine Mutter gestorben war, vermisste er jedoch ihre Sprache so sehr, dass er sogar ein Dialektwörterbuch der Gegend von Reims kaufte – in der Hoffnung, beim Lesen dieses Buches „besser zu verstehen, wer seine Mutter gewesen war“, quasi in der Sprache ihren Körper, ihren Gestus, ihren Habitus noch einmal zu rekonstruieren.

Eribon nervt teils, weil er ein solches Tamtam um seinen sozialen Aufstieg macht und um die Sprache, die in Paris die seine wurde. Ich wohne Luftlinie nur drei Kilometer von meinem Elternhaus entfernt und lebe in einem Milieu, das jenem meiner Eltern zum Teil ähnlich ist. Aber es sind halt vierzig Jahre vergangen, seit ich bei ihnen wohnte. Unsere Umgangssprache hat sich verändert. Und doch tue ich etwas sehr Ähnliches wie Eribon. Während mein Vater im Talgrund immer unbeweglicher wird, sitze ich da und sammle die Redensarten meiner Kindheit. Als könnte ich ihm damit noch einmal auf sein Töffli setzen.

Wenn ich sie für meinen Blog notiere, merke ich aber auch: Für für meine mehrheitlich nichtschweizerische Leserschaft ist halt doch eine erweiterte Vorgehensweise nötig. Aber darüber ein andermal mehr.

*Didier Eribon: „Eine Arbeiterin – Leben, Alter und Sterben“ : Suhrkamp, 2024

 

Schweizerdeutsch 16: Haferflocken und Mäuschen

Müesli (N, n) oder Birchermüesli (N, n)

Hochdeutsch: Müsli

Erläuterungen 1: Erfunden vom Schweizer Arzt Maximilian Oskar Bircher-Benner (1867 bis 1939) für seine Kurklinik in Zürich, gehört das Birchermüesli zu den wenigen Schweizer Speisen, die auch in anderen Ländern gegessen werden. Hier das Originalrezept.

Erläuterungen 2: Meine Freundin Ella hat mir einige Tipps für diese Rubrik gegeben. Zum Thema Müesli sagte sie: „Ich finde es seltsam, dass die Deutschen sich nie die Mühe nehmen, ‚Müesli‘ richtig auszusprechen. Immer sagen sie Müüsli. Aber das heisst doch etwas ganz anderes!“ Wir lachen beide, denn Müüsli heisst „Mäuschen“. „Ach, da musst Du Nachsicht haben mit den Deutschen“, sagt Linguistin Frogg, „Wenn Du so einen Diphthong nicht schon als Kleinkind lernst, musst Du Dich später richtig, richtig anstrengen, ihn aussprechen zu können.“

Im Namen aller Mütterchen in Beige

In den Jahren zwischen 50 und 59 fühlte ich mich beinahe sicher vor den  ungebetenen Tipps irgendwelcher Lifestyle-Päpstinnen. Aber kaum rückt der 60. Geburtstag näher, diskutieren wir plötzlich über Longevity oder über die Frage: Was heisst gut altern?

Neulich las mir Herr T. eine Passage des Buches „Altern“ von Elke Heidenreich vor, die ich selbst gnädig überlesen hatte. Die 81-jährige Autorin schreibt: „Ich sehe um mich herum Frauen, die anders altern als ich, und manchmal, wenn nach Lesungen eine Frau beim signieren zu mir sagt: ‚Wir sind derselbe Jahrgang‘, und ich sehe hoch, und da steht ein zerknittertes Mütterchen in beigen Omaklamotten, dann denke ich: Nee, jetzt, oder? Das bin nicht ich.“*

Sofort empörte sich mein Herz für alle „Mütterchen in beige“, obwohl ich selbst kein einziges beiges Kleidungsstück besitze. Ich wurde richtig laut und sagte schliesslich das, was ich zu Fragen des Kleidungsstils schon mein ganzes Leben lang sage: „Jede und jeder lebt nach bestem Wissen und Gewissen sein bestmögliches Leben!“ Mit 59 Jahren Lebenserfahrung würde ich einräumen, dass es gierige und zynische Menschen gibt. Aber die erkennt auch die Lifestyle-Päpstin nicht unbedingt an der Farbe der Bekleidung.

*Elke Heidenreich: „Altern“, Hanser Berlin, 2024, S. 62. Um eins klarzustellen: Ich möchte keiner Person die Lektüre vergällen, die das Buch vielleicht bald lesen wird. Es stehen auch einige sehr gute Dinge drin!

Schweizerdeutsch 15: Ab in die Disco

Töffli

Hochdeutsch: Mofa

Mofa mit Windschutz (Quelle: velos-motos-keller.ch)

Erläuterungen: Wie die meisten anderen aus meiner Gymi-Klasse fuhr ich mit dem Velo – also dem Fahrrad – zur Schule. Mein Vater aber besass Puch Maxi – und manchmal, wenn ich am Wochenende in die Disco ging, lieh er mir das Fahrzeug. So ratterte ich in die Luftschutzkeller und Mehrzwecksäle unserer Agglomeration und tanzte dort zu Deep Purple und Jimi Hendrix, zu The Clash, Lou Reed, David Bowie und Bob Marley. Das Töffli  war leider gar nicht schnittig, denn es hatte einen Windschutz. Vor der Heimfahrt stellte ich mich deswegen immer gutgelaunt dem Spott der Kumpels – schliesslich sind alle Eltern seltsam, nicht? Es gibt übrigens in der Schweiz nicht nur Töffli, sondern auch Töffs – die haben dann 125 Kubikzentimeter oder mehr. Auf die Idee zu diesem Beitrag bin ich dank der Kätzerin gekommen – auch wenn die Sache mit dem „Kracherl“ wohl auf einem Missverständnis beruht.

Schweizerdeutsch 14: Fremdwörter sind Glückssache

Fondue-Öfchen, meist Rechaud genannt. Bei Gebrauch nimmt man den gelben Deckel unten ab, giesst Sprit in die Öffnung und zündet ihn an. Dann stellt man den Käse oben drauf und hält ihn so warm. (Bild: Galaxus.ch)

„Das esch ned mis Reschoo.“

Heisst auf Hochdeutsch: „Das ist nicht mein Rechaud.“ Wobei mit „Rechaud“ vermutlich ein Fondue-Öfeli gemeint ist. Die Redensart ahmt im Spott eine ungebildete Person nach, die eigentlich sagen will: „Das gehört nicht in mein Ressort.“ Oder: „Davon verstehe ich nichts.“ Oder, selbstironisch: „Fremdwörter sind Glückssache.“

Erläuterungen 1: Neulich schrieb ich in einem Whatsapp an eine Freundin das Wort „Misogynie“ mit zwei „Y“, also: „Mysogynie“. Als ich den Fehler bemerkte, war es mir erst furchtbar peinlich. Dann hörte ich Geiste das Gelächter meiner leider im letzten Sommer verstorbenen Freundin Reni. Sie war etwas älter als die anderen in unserer Jugendclique. Irgendetwas hatte ihrem Selbstvertrauen schon schwer zugesetzt, als sie zu uns stiess. Sie beschränkte sich im Leben auf kleine Ressorts und sagte zu allem anderen oft:  „Das esch ned mis Reschoo.“ Und dann lachte sie, ein Weltgelächter. Ich vermisse sie!

Erläuterungen 2: Wir leben gerade in einer Zeit, in der ein US-Medienunternehmer auch noch ein ganzes US-Ministerium zu seinen Rechauds zählen darf. Und jetzt masst er sich an, auch noch die europäische Politik zu seinem Rechaud zu erklären und giesst ungeheuerlich viel Sprit hinein. Ich fürchte, er setzt noch die ganze Stube in Brand!

Neujahrsvorsätze für’s Bloggen

Andere mögen ihre Vorsätze für 2025 schon wieder gebrochen haben. Ich schreibe sie erst jetzt auf, nämlich: Ich will mich hier, auf meiner Spielwiese, auf die Schweizerdeutsch-Lektiönli und kleine Geschichten über die Schwerhörigkeit konzentrieren. Und: Ich will mich kürzer fassen.

Wer längere Beiträge von mir sucht, sei auf den Blog journal-f.ch verwiesen, den ich mit meiner Kollegin, Frau Frei, unterhalte. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Frau Frei, die dort mitschreibt, vor- und mitdenkt und dafür sorgt, dass alles tiptop aussieht.

Und: Ich will mehr Blogs lesen.

Ich habe bereits gemerkt, dass das alles nicht so leicht durchzuhalten ist, wie ich geglaubt habe. Oft schlafe ich schlecht, dann lasse ich dem rasenden Textgenerator in meinem Kopf freien Lauf. Gestern kam etwas Seltsames mit dem Magen dazu, und plötzlich war ich restlos erschöpft. Das hat die Frage aufgeworfen, ob ich im neuen Jahr nicht auch etwas mehr auf meine Gesundheit achten sollte. Man nennt das Zielkonflikt.