Schweizerdeutsch 14: Fremdwörter sind Glückssache

Fondue-Öfchen, meist Rechaud genannt. Bei Gebrauch nimmt man den gelben Deckel unten ab, giesst Sprit in die Öffnung und zündet ihn an. Dann stellt man den Käse oben drauf und hält ihn so warm. (Bild: Galaxus.ch)

„Das esch ned mis Reschoo.“

Heisst auf Hochdeutsch: „Das ist nicht mein Rechaud.“ Wobei mit „Rechaud“ vermutlich ein Fondue-Öfeli gemeint ist. Die Redensart ahmt im Spott eine ungebildete Person nach, die eigentlich sagen will: „Das gehört nicht in mein Ressort.“ Oder: „Davon verstehe ich nichts.“ Oder, selbstironisch: „Fremdwörter sind Glückssache.“

Erläuterungen 1: Neulich schrieb ich in einem Whatsapp an eine Freundin das Wort „Misogynie“ mit zwei „Y“, also: „Mysogynie“. Als ich den Fehler bemerkte, war es mir erst furchtbar peinlich. Dann hörte ich Geiste das Gelächter meiner leider im letzten Sommer verstorbenen Freundin Reni. Sie war etwas älter als die anderen in unserer Jugendclique. Irgendetwas hatte ihrem Selbstvertrauen schon schwer zugesetzt, als sie zu uns stiess. Sie beschränkte sich im Leben auf kleine Ressorts und sagte zu allem anderen oft:  „Das esch ned mis Reschoo.“ Und dann lachte sie, ein Weltgelächter. Ich vermisse sie!

Erläuterungen 2: Wir leben gerade in einer Zeit, in der ein US-Medienunternehmer auch noch ein ganzes US-Ministerium zu seinen Rechauds zählen darf. Und jetzt masst er sich an, auch noch die europäische Politik zu seinem Rechaud zu erklären und giesst ungeheuerlich viel Sprit hinein. Ich fürchte, er setzt noch die ganze Stube in Brand!

Alteisen und künstliche Intelligenz

Einmal im Jahr noch sehe ich Veronika, weil ihr Sohn Tim mein Patensohn ist. Ich begegne ihr jeweils, wenn ich ihm am ersten Weihnachtstag sein Geschenk überbringe. Er wird bald 18. Sie arbeitet mit 57 an ihrer Doktorarbeit und redete mir an unserem halbstündigen Treffen die Ohren voll über künstliche Intelligenz.

Selten fühle ich mich jeweils so sehr zum alten Eisen versetzt wie bei diesen jährlichen, kurzen Treffen mit Veronika. Ich meine: Seit Jahr und Tag versehe ich, auch 57, ein- und denselben Job. In meinen Lebensumständen die Stelle wechseln zu wollen, wäre – vorsichtig ausgedrückt – bekloppt. Daneben spaziere, fotografiere und meditiere ich, ohne grössere Ambitionen. Einfach, weil es mich glücklich macht. Jaja, künstliche Intelligenz habe ich auch schon ausprobiert. Ich bin ja auch noch Hobby-Schriftstellerin.

Aber wenn Veronika zu mir spricht, dann fühle ich mich abgehängt wie ein rostender Bahnwaggon auf einem Abstellgleis – ein Memento des Industriezeitalters inmitten herumsausender Bytes und Bits. Und wer „Memento“ denkt, denkt auch gleich „memento mori“ – vergiss nicht, dass Du sterben wirst. Ob sich meine früheren Freundinnen an ihre Hinfälligkeit erinnern, wenn sie mich sehen?

Zum Glück fand ich wenig später ersten Trost bei meinem Lieblingskolumnisten Daniel Binswanger in der „Republik“. Sein Text vom 7. Januar, Die Ökologie des Verschwendens, ist ein einziger Aufruf dazu, den zweckfreien Genuss wieder zu erlernen. Denn nur wenn wir uns der kapitalistischen Logik des ständigen persönlichen und materiellen Maximaleinsatzes entzögen, könnten wir die Welt vor dem Klimakollaps retten, so seine These: „Um Ressourcen zu sparen, müssen wir wieder lernen, zu verschwenden: unsere Zeit. Wir müssen die Welt so annehmen, wie sie ist. Bei ihr verweilen. Um sie zu betrachten und zu feiern.“ Das ist ja ungefähr das, was ich tue. Und es hat also durchaus einen Sinn. Es ist eigentlich sogar das einzig richtige.

Ich wollte mir aber beweisen, dass ich dennoch auf der Höhe der Zeit stehe und befragte künstliche Intelligenz zum Thema, genauer, GPT-3, hier zu finden. Ich frage: „Gehören Menschen ab 57 zum alten Eisen, wenn sie seit Jahren den gleichen Job haben?“

GPT-3 antwortet spitz: „Nein, das denken nur diejenigen, die selbst alt und eingeschlafen sind.“

Der Bilderstreit I

An Silvester kamen drei Freundinnen von mir zu uns zu Besuch: Frau Wolf, Yasmin und Paulina (mit der ich mich glücklich versöhnt habe). Die drei sassen so auf unserem Sofa, da entdeckte Frau Wolf einen Stapel von diskret hinter einem Schrank verstauten Kartonmappen. „Ihr habt Eure Bilder immer noch nicht ausgepackt!“ stellte sie fast vorwurfsvoll fest. Nicht ganz zu Unrecht, denn wir wohnen seit zweieinhalb Jahren an der Vrenelisgärtlistrasse und hatten noch immer keinen Wandschmuck. Überall nur unberührte, weisse Wände.

„Ach, wir konnten uns nicht so recht einigen, wie wir sie aufhängen sollen“, wiegelte ich ab, und dann rief Herr T. zum Essen. Aber als sich der Abend ein wenig in die Länge zu ziehen begann, kam das Thema wieder aufs Tapet. Frau Wolf schlug vor, wir könnten die Bilder doch wenigstens mal auspacken und anschauen. Herr T. war nicht glücklich. Ich aber gab mich begeistert: „Tolle Idee! Ihr drei seid ja als Kunstgutachterinnen bestens qualifiziert!“ Paulina ist Nebenfach-Kunsthistorikerin, Frau Wolf hat einmal eine Kunstgewerbeschule besucht und Yasmin hat ein untrügliches Auge für das Schöne. Nach längerem Zögern willigte auch Herr T. ein.

Während er und Yasmin die Bilder auspackten, begleitete ich Frau Wolf und Paulina bei ihrer Rauchpause auf dem Balkon. Jetzt musste ich wenigstens ihnen beiden erklären, was wirklich hinter der Sache mit den nie ausgepackten Bildern steckte: ein handfester Bilderstreit zwischen Herrn T. und mir. Die Einzelheiten werde ich hier nicht breitschlagen, nur so viel: Herr T. wollte ein Gemälde von einer bestimmten Künstlerin kaufen und an die repräsentative Wand direkt über dem Sofa hängen. Es ist eine Künstlerin, von der ich partout kein Bild in unserem Wohnzimmer will. Irgendwann hatten wir aufgehört über das Thema zu streiten. Es herrschte Blockade. Eigentlich eine ganz heikle Sache, über die Bilder jetzt zu fünft und bei leicht angehobenem Alkoholpegel zu diskutieren. Auf keinen Fall wollte ich, dass meine Freundinnen direkt für mich Partei ergreifen und Herrn T. dämlich dastehen lassen würden. „Ich will nur die Blockade lösen“, schärfte ich zu den beiden ein. „Ich zähle auf eure Sozialkompetenz.“

Ob das gut herauskam? Das erzähle ich Euch beim nächsten Mal.

Was die Medien falsch machen

„Ich fand schon, die Medien seien während der Pandemie nicht so ganz frei gewesen“, sagt Paulina zum Schluss. Auaa! Schon wieder hat sie einen dieser Sätze gesagt, die mich treffen wie ein jäher Zahnschmerz. Unsere Gespräche sind ein einziger Versuch geworden, solche Sätze zu vermeiden. Auf beiden Seiten. Aber manchmal kann sie es nicht lassen.

Der Satz trifft auf mindestens zwei empfindliche Stellen. Erstens ist er der quälende Refrain jener Leier, die ich bei der meiner Arbeit von Covid-Skeptikern in gefühlten 778 Varianten gelesen habe. Und zweitens arbeite ich bei einem Medienunternehmen und bekomme bei diesem Satz immer den Drang, ‚die Medien‘ zu verteidigen. Ich fange also an, die Medien zu verteidigen. Ich versuche, etwas zu sagen, was ich nicht schon gesagt habe. Aber es gibt nichts Neues.

Ich muss es anders machen, denke ich und frage: „Was hättest Du denn von den Medien erwartet?“

Sie strahlt auf, ist völlig verblüfft und sagt: „Das ist eine sehr gute Frage!“ So gut, dass sie auf Anhieb keine Antwort weiss, und so verabschieden wir uns gleich darauf. In aller Freundschaft.