„Wisst Ihr, was ‚langweilig‘ in Gebärdensprache heisst?“ fragte Frau Wolf. Sie und Frau Rinaldini waren am Silvester bei uns zu Besuch. Frau Rinaldini ist gehörlos, so übten wir uns ein bisschen im Gebärden. Frau Wolf machte die Gebärde im Bild (die ganze Bewegung hier). Als Kind der Rock-Generation würde ich das als „Luftgeige spielen“ bezeichnen. Das also heisst „langweilig“! Ich lachte schallend – für mich war diese kleine Respektlosigkeit gegenüber Geige Spielenden ein Volltreffer. Nicht wegen der Geige Spielenden selbst: Als ich noch gut hörte, wusste ich Streichkonzerte durchaus zu geniessen. Jetzt besuche ich kaum mehr welche. Und wenn, dann sehe ich die Leute vom Orchester hingebungsvoll fiedeln und frage mich die ganze Zeit: Wozu nur die Anstrengung?! Ich höre ja keine Melodien mehr. Bei mir ist das alles Brei.
Bei Rock-Konzerten muss ich ausserdem die Hörgeräte abstellen, weil mir der Sound zu laut ist. Dann höre ich fast gar nichts mehr. Beim letzten Konzert studierte ich eine Stunde lang die Mimik der Lead-Sängerin, einer schalkhaften Engländerin. Als könnte ich auf ihren Gesichtszügen die Botschaft lesen, die die Musik mir hätte vermitteln sollen. Etwas in mir wollte einfach nicht akzeptieren, dass das aussichtslos ist. Es war ein sehr ermüdender Abend.
Ich muss hier unbedingt anfügen: Es gibt eine allgemein gebräuchliche Gebärde für „langweilig“ (siehe hier). Ich weiss nicht, ob das, was uns Frau Wolf verriet, allgemein gebräuchlich ist, lasse darüber aber gern die Expertinnen in meiner Leserschaft zu Wort kommen. Und: Es gibt Menschen mit Hörminderung, die Musik gut und auch gerne hören (zum Beispiel sori1982).
Aber ich fand dieses spöttische, kleine Zeichen der Komplizenschaft und des Desinteresses unter Minderbemittelten sehr vielsagend.