Am Sonntagmorgen segelte ich auf einer rosa Wolke des Patriotismus zum Frühstücktisch. Dort machte sich meine Freundin Helga aus Deutschland gerade eine Tasse Getreidekaffee. „Wir haben den Eurovision Song Contest gewonnen!“ strahlte ich. Nemo heisst das 25-jährige, non-binäre Wesen aus Biel, das am Samstagabend in Malmö ganz Europa hingerissen hatte (hier geht’s zum Film). Beim Kaffeetrinken kamen wir dann auf den kleinstaatlichen Aspekt der Sache zu sprechen. „Weisst Du, der Song Contest ist in der Schweiz schon total verpolitisiert“, berichtete ich unserem Gast. „Denn jetzt müssen wir die nächste Austragung durchführen, und die Kosten sind für ein verhältnismässig kleines Land verhältnismässig hoch. Die Rede war von 20 Millionen Euro.“ Ich grinse selbstironisch. Ich weiss, dass es schwierig ist, Deutschen zu erklären, dass wir hier in der Schweiz für irgendetwas kein Geld haben könnten.
„Ich bitte Dich!“ sagte Helga prompt, „Luxemburg ist ein noch viel kleineres Land und hat den Eurovision Song Contest in den 68 Jahren seines Bestehens viermal ausgerichtet.“ Nun ja, wo sie recht hat, hat sie recht, dachte ich. Erst später habe ich hier gesehen: Luxemburg hat sich 1993 vom Wettbewerb zurückgezogen, aus Kostengründen. Ausserdem kennt Helga das Gift der helvetischen Debatte über Fernsehgelder nicht. Die SVP, unsere Rechtspartei, will die Gebühren für das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio massiv kürzen. So ein Eurovision Song Contest, noch dazu gewonnen von einer non-binären Person – meine rosa Wolke löste sich in düsteren Vorahnungen über kommende Debatten auf.
F¨ünf Tage später muss ich leider melden, dass meine Befürchtungen sich bewahrheitet haben. Die Schweiz hält es nicht aus, einen Sieg zu geniessen. Das einzige, was wir hierzulande noch kollektiv können, ist streiten, meistens um Geld. Ich habe zwar selbst feministische Fragen zur Non-Binarität, (hier habe ich das angetönt). Aber mir wurde derart übel von der rechten Hetze gegen non-binäre Menschen allgemein und Nemo im Besonderen, dass ich in Gedanken an einen guten Ort floh: auf den Berg, auf dem Helga und ich später spazierten und uns einig waren, dass wir in unserem Alter (ich bin Jahrgang 1965) zur Non-Binarität nicht mehr unbedingt eine dezidierte Meinung haben müssen.
Aber dass wir aus dem European Song Contest nächstes Jahr ein wunderschönes Fest machen sollten, dafür bin ich ganz entschieden.