Heute doch wieder zur Weltlage, weil es so wichtig ist

Seit ein paar Stunden wissen wir es: Donald Trump will den Russen die Ostukraine einfach so überlassen. Mit der EU (und der Ukraine!) hat er darüber gar nicht erst gesprochen. Er hat ausserdem gesagt: Was in der Ukraine weiter passiert, soll künftig Sache Europas sein. Amerika will sich da nicht mehr einmischen. Demnächst werden sich die Herren Trump und Putin treffen, die Position der USA liegt auf dem Tisch. Europa ist ihm egal, die Demokratie sowieso.

Dass Trump ständig Anstalten macht, den USA Kanada, Mexiko, Grönland und den Panamakanal einzuverleiben, ist ein weiteres Indiz dafür, dass er zumindest versucht, eine neue Weltordnung zu schaffen. Grönland soll wohl als Pufferzone gegenüber Russland dienen. Die Partnerschaft mit der EU scheint Trump egal. Unsere 80 Jahre alte Nachkriegsordnung, in der wir es doch recht gemütlich hatten, zerfällt vor unseren Augen. Bald könnten wir einem hoch aggressiven Russland allein gegenüberstehen.

Für die kleine Schweiz heisst das jetzt: Neutralität wäre schön und recht. Aber es ist ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert. Wir sollten mit unseren europäischen Nachbarn zusammenstehen, um uns gegen Putin verteidigen zu können. Und eine angstvolle Bitte an Euch Deutsche: Wenn ihr in zehn Tagen wählt, dann vergesst nicht: Die Lage ist sehr viel ernster als uns allen lieb sein kann. Ihr braucht eine Regierung, die – zusammen mit der EU – einer solchen Herausforderung gewachsen ist.

Hier eine gute Zusammenfassung der ganzen Sache.

 

An meine Zürcher Leserinnen

Zürcherinnen und Zürcher würden „schlüüsse“ sagen, schrieb ich in meinem letzten Beitrag über den Befehl einer Dentalhygienikerin – und nicht „schliesse“ wie wir in Luzern. Sofort bekam ich zwei liebenswürdige, aber bestimmte Rückmeldungen von Zürcherinnen aus meiner Leserschaft. Einhellig gaben sie mir zu verstehen: Nie und nimmer würde jemand in Zürich sagen, man solle den Mund „schlüüsse“. Auch dort würde man „zuemache“ oder „zuetue“ sagen.

Ich habe mich sehr über die beiden Kommentare gefreut – die friedvolle, gemeinsame Wahrheitssuche gehört zu den Dingen, denen wir im Blog noch frönen können, anders als in gewissen sozialen Medien.

Ich war aber auch verunsichert. Das Wort „schlüüsse“ glaubte ich von meinem Eheman, dem Kulturflaneur, zu kennen, der Züritüütsch spricht. Ich fragte bei ihm nach. Er schimpfte geradezu: „Nein, natürlich sagt beim Zahnarzt kein Mensch ’schlüüsse‘!“ Er räumte aber ein: „An einer Sitzung würde ich sagen: ‚Mier beschlüüssed das jetz!'“ Ok, ich habe verstanden. Ich hoffe, ihr auch. Sonst bitte melden.

Und noch etwas: Zum ersten Mal habe ich in meinem letzten Beitrag vage Ressentiments angesprochen, die wir in der Schweiz mitunter jenen gegenüber haben, die einen anderen Dialekt sprechen als wir. Als ich die beiden  Kommentare meiner Zürcher Leserinnen las, wurde mir wieder einmal klar, wie dumm das ist. Ich gelobe hiermit, in Zukunft um dieses Thema einen weiten Bogen zu machen.

Bei der Dentalhygienikerin

„Schl¨üüsse!“ sagt die Dentalhygienikerin. Ich mache gehorsam den Mund zu, aber ich bin befremdet. Wir sagen beim Zahnarzt nicht „schlüüsse“, sondern „zuemache!“* oder eben „uufmache!“** Mein früherer Zahnarzt, Dr. Schlosser, tat das unnachahmlich gelangweilt bei jeder Behandlung drei- bis fünfmal. Er muss in seinen Jahren in der Praxis jedes der beiden Wörter grob geschätzt 400’000mal ausgesprochen haben. Jetzt ist er pensioniert, ich vermisse ihn.

Ist die Dentalhygienikerin etwa Zürcherin? Die Zürcher sagen „schlüüsse“, und vor Zürchern sind wir in Luzern auf der Hut. Sie sind uns wirtschaftlich überlegen, deshalb haben wir oft Abwehrreflexe, wenn sie uns mit ihrem Dialekt auf den Leib rücken. Aber, nein, sie ist keine Zürcherin, sie spricht sonst wie ich.

Allerdings ist sie noch in Ausbildung. Wahrscheinlich hat sie den Befehl „schlüüsse!“ in der Berufsschule gelernt, oder er kommt aus dem Marketing. Wir haben uns daran gewöhnt, dass die  Gesundheitsbranche in der Werbung stets Peinlichkeit vermeiden will – und uns deshalb mitunter sprachliche Monstrositäten auftischt, die dann eben auch peinlich sind. In einem Fernsehspot für ein Zahnreinigungsprodukt etwa fiel das unerhörte Wort „de Mund“. Als ob man nicht einfach „s’Muul“ sagen dürfte, wie uns allen der Schnabel gewachsen ist. Der Neologismus erwies sich als nicht mehrheitsfähig und verschwand.

Bei der der Handarbeit ist die Dentalhygienikerin zum Glück viel subtiler als in der Sprache. Deshalb verbringe ich die ganze Stunde in ihrem Sessel ungestört damit, im Kopf diese Kolumne zu komponieren. Viel schneller als befürchtet stehe ich wieder auf der Schwelle der Praxis. Die Kolumne ist fast fertig gedacht, ich gehe vorwärts, nehme den Türknauf in die Hand und höre, wie Doktor Schlosser zu mir sagt: „Zuemache!“

*Zumachen, Mund schliessen, im Alltag meist „zuetue“
** Aufmachen, Mund öffnen, im Alltag auch „uuftue“

Schweizerdeutsch 21: Person und Persönlichkeit

öpper (Pronomen)

Hochdeutsch: Jemand

Erläuterung 1: Das „öp“ ist die schweizerdeutsche Ausformung der Lautfolge „etw“. Öpper kommt also vom Pronomen „etwer“, das es laut Wiktionary zu meinem Erstaunen tatsächlich gibt. Wir sagen auch öppis (für „etwas“) und öppe für „etwa“.

Erläuterung 2: Man braucht „öpper“ zum Beispiel, wenn man es im dunklen Zimmer rascheln hört, etwa so: „Hallo?! Isch öpper do!?“ Man kann aber auch mit anerkennendem Nicken sagen: „Sii isch öpper.“ Das heisst dann: „Sie ist eine hoch angesehene Person.“ Mein Vater sagt manchmal über jemanden: „Är isch frei echli öpper.“ Heisst, sinngemäss: „Er ist eine ganz schön angesehene Person.“

Schweizerdeutsch: Hausaufgaben mit Béla und Emil

Ich habe schon darüber nachgedacht, Hörproben für meine Schweizerdeutsch-Lektiönli zu machen. Aber das wäre aufwändig geworden, und aufwändig herzustellen sollen diese Lektiönli eben nicht sein. Also keine Hörproben. Obwohl die meisten von Euch gar nicht wissen, wie Luzerndeutsch klingt. Damit Ihr Euch das – gewissermassen im Selbststudium – mal anhören könnt, poste ich heute ein paar Links zu Luzerndeutsch gesprochenen YouTube-Videos.

Béla Rothenbühler (Quelle: Verlag der gesunde Menschenversand).

Aktuell und cool: Béla Rothenbühler. Dieser hat es mit seinem zweiten Luzerndeutschen Roman „Polyphon pervers“ 2024 auf die Shortlist des Schweizer Buchpreises gebracht und spricht hier über das Buch. Im Film zeigt er auch gleich, dass man auf Schweizerdeutsch locker über Kultur spricht – was, soweit ich informiert bin – Dialekt Sprechende in Deutschland lieber auf Hochdeutsch tun.

Emil Steinberger (Quelle: Wikipedia)

Die älteren von Euch haben Nummern von Emil Steinberger** gehört, jenem Schweizer Comedian, der in den achtziger Jahren auch in Deutschland und Österreich Furore machte. In seinen Programmen für das nicht-schweizerische Publikum sprach er aber gar nicht Luzerndeutsch, sondern Standarddeutsch mit einem Schweizer Akzent, der mit das Ulkige an der Sache war. Wir fanden dann die Deutschen ulkig, oder vielmehr „zum Giggele“, die in die Schweiz kamen und dachten, wir würden hier so sprechen wie der Emil, den sie gehört hatten. Unser Emil aber klingt so; so; oder so.

*Hier habe ich schon über Béla Rothenbühlers ersten Roman geschrieben.
** Emil wuchs 200 Meter von der Stelle auf, wo ich gerade sitze. Wie es damals in unserem Quartier war, lässt sich hier nachlesen.

Schweizerdeutsch 18: Mutter erlebt das Kriegsende

E chliine Chnopf

Hochdeutsch: Ein kleiner Knopf

Erläuterungen 1: Bezeichnet ein vielleicht dreijähriges Kind, das gehen kann und manchmal vorlaut niedliche Dinge sagt.

Erläuterungen 2: Am Sonntag war meine Mutter bei uns zu Besuch, zum ersten Mal seit Vaters Umzug ins Pflegeheim ist sie in Plauderlaune. „Über den Krieg weiss ich nicht mehr viel“, sagte sie, „ich habe ja Jahrgang 1942, damals war ich  ’soone chliine Chnopf‘. Ich erinnere mich, dass wir nachts die Fenster verdunkeln mussten. Wegen mögliches Luftangriffe.“ Sie wuchs weit hinten in einem der grossen Zentralschweizer Alpentäler auf. Niemand sollte glauben, der Zweite Weltkrieg habe die Schweiz nicht wenigstens berührt. „Eines Nachmittags war ich in der Küche am Drüüradvelölifahren – wir hatten so eine grosse Küche. Da kam Vati die Treppe hoch, und da wusste ich, dass der Krieg zu Ende war.“ Er war als Hilfsdienstler auf dem Flugplatz Meiringen stationiert gewesen.

 

Schweizerdeutsch 17: Wie wir malochen

Go schaffe

Heisst auf Standarddeutsch „arbeiten gehen“.

„Go schaffe“, das tun wir in der Schweiz mit Stolz, mit Angst oder mit Eifer. Meinem Vater war die Arbeit geradezu heilig. Er war Postbeamter und er war kundenorientiert, loyal und sehr, sehr fleissig. Er kam „vom Schaffe“ regelmässig zu spät zum Essen und ging oft auch am Sonntagabend noch kurz „go schaffe“. Als als ich klein war, arbeitete er am Schalter und trug eine knielange, blaue Bürobluse. Wir durften ihn unter keinen Umständen bei der Arbeit anrufen. Wenn er einen hektischen Tag erwartete, sagte er: „Ech mues go gusle.“ „Gusle“ hiess bei uns auch „hastig mit einem Stock in einer Öffnung stochern“. Am Abend sagte er manchmal: „Esch das e Chrampf gsii!“ Oder: „Es esch e huere Büez gsii!“ Heisst, zurückhaltend übersetzt: „Es war anstrengend.“

Mehr zum Verb „gusle“ hier.

Schweizerdeutsch: Warum mache ich das hier überhaupt?

Ich bin keine Sprachpuristin. Ich habe kein Problem damit, dass sich Sprache verändert. Deshalb habe ich mich lange Zeit gefragt, warum ich plötzlich diesen Drang verspüre, verschwindende Vokabeln und Redensarten aus der Sprache meiner Eltern zu sammeln und in meinem Kopf noch einmal nachklingen zu  lassen.

Dann las ich „Eine Arbeiterin – Leben, Alter und Sterben“ des Franzosen Didier Eribon. Das Buch ist ein zugleich liebevoller und distanzierter Nachruf auf seine verstorbene Mutter, und er schreibt: „Ich werde nie wieder Gelegenheit haben, aus dem Mund meiner Mutter jene Wendungen zu hören, die sie so gern brauchte, ihren Tonfall, ihre (laute) Art zu reden, ihren Akzent, ihre regionalen Ausdrücke.“* Dazu muss man wissen, das Eribon in Reims in einer Arbeiterfamilie aufwuchs, dann nach Paris ging und als Soziologe und Journalist europaweit bekannt wurde. Er schuf eine grosse Distanz zwischen sich und seiner Herkunft. Nachdem seine Mutter gestorben war, vermisste er jedoch ihre Sprache so sehr, dass er sogar ein Dialektwörterbuch der Gegend von Reims kaufte – in der Hoffnung, beim Lesen dieses Buches „besser zu verstehen, wer seine Mutter gewesen war“, quasi in der Sprache ihren Körper, ihren Gestus, ihren Habitus noch einmal zu rekonstruieren.

Eribon nervt teils, weil er ein solches Tamtam um seinen sozialen Aufstieg macht und um die Sprache, die in Paris die seine wurde. Ich wohne Luftlinie nur drei Kilometer von meinem Elternhaus entfernt und lebe in einem Milieu, das jenem meiner Eltern zum Teil ähnlich ist. Aber es sind halt vierzig Jahre vergangen, seit ich bei ihnen wohnte. Unsere Umgangssprache hat sich verändert. Und doch tue ich etwas sehr Ähnliches wie Eribon. Während mein Vater im Talgrund immer unbeweglicher wird, sitze ich da und sammle die Redensarten meiner Kindheit. Als könnte ich ihm damit noch einmal auf sein Töffli setzen.

Wenn ich sie für meinen Blog notiere, merke ich aber auch: Für für meine mehrheitlich nichtschweizerische Leserschaft ist halt doch eine erweiterte Vorgehensweise nötig. Aber darüber ein andermal mehr.

*Didier Eribon: „Eine Arbeiterin – Leben, Alter und Sterben“ : Suhrkamp, 2024

 

Schweizerdeutsch 16: Haferflocken und Mäuschen

Müesli (N, n) oder Birchermüesli (N, n)

Hochdeutsch: Müsli

Erläuterungen 1: Erfunden vom Schweizer Arzt Maximilian Oskar Bircher-Benner (1867 bis 1939) für seine Kurklinik in Zürich, gehört das Birchermüesli zu den wenigen Schweizer Speisen, die auch in anderen Ländern gegessen werden. Hier das Originalrezept.

Erläuterungen 2: Meine Freundin Ella hat mir einige Tipps für diese Rubrik gegeben. Zum Thema Müesli sagte sie: „Ich finde es seltsam, dass die Deutschen sich nie die Mühe nehmen, ‚Müesli‘ richtig auszusprechen. Immer sagen sie Müüsli. Aber das heisst doch etwas ganz anderes!“ Wir lachen beide, denn Müüsli heisst „Mäuschen“. „Ach, da musst Du Nachsicht haben mit den Deutschen“, sagt Linguistin Frogg, „Wenn Du so einen Diphthong nicht schon als Kleinkind lernst, musst Du Dich später richtig, richtig anstrengen, ihn aussprechen zu können.“

Schweizerdeutsch 15: Ab in die Disco

Töffli

Hochdeutsch: Mofa

Mofa mit Windschutz (Quelle: velos-motos-keller.ch)

Erläuterungen: Wie die meisten anderen aus meiner Gymi-Klasse fuhr ich mit dem Velo – also dem Fahrrad – zur Schule. Mein Vater aber besass Puch Maxi – und manchmal, wenn ich am Wochenende in die Disco ging, lieh er mir das Fahrzeug. So ratterte ich in die Luftschutzkeller und Mehrzwecksäle unserer Agglomeration und tanzte dort zu Deep Purple und Jimi Hendrix, zu The Clash, Lou Reed, David Bowie und Bob Marley. Das Töffli  war leider gar nicht schnittig, denn es hatte einen Windschutz. Vor der Heimfahrt stellte ich mich deswegen immer gutgelaunt dem Spott der Kumpels – schliesslich sind alle Eltern seltsam, nicht? Es gibt übrigens in der Schweiz nicht nur Töffli, sondern auch Töffs – die haben dann 125 Kubikzentimeter oder mehr. Auf die Idee zu diesem Beitrag bin ich dank der Kätzerin gekommen – auch wenn die Sache mit dem „Kracherl“ wohl auf einem Missverständnis beruht.