Leben in der Trump-Ära: Bücher aus den USA

Wegen des Zoll-Wahnsinns von Donald Trump sollten wir jetzt keine Waren aus den USA mehr kaufen, heisst es. Bislang erschien mir das einfach. Ich wollte nie einen Harley Davidson, beim Whisky bevorzugen wir – wenn überhaupt – Marken aus den schottischen Highlands und Levi’s Jeans haben eh noch nie zu meinen Kurven gepasst. Vielleicht bestelle ich sogar Netflix ab, dachte ich, und X sollte ich mir sowieso endlich abgewöhnen.

Aber jetzt lese ich, „James“, den überwältigenden Roman des US-Autors Percival Everett. Er erzählt die Geschichte von Huckleberry Finn’s Mississippi-Reise aus der Sicht seines Schwarzen Begleiters Jim – pardon, James. Dieser ist ein entflohener Sklave und schildert eindrücklich, wie er und seine Leidensgenossen schon als Kinder lernen, sich auch sprachlich kleinmachen, um zu überleben. Sklaverei ist gewiss die entsetzlichste Form von Ungleichheit. Aber was Jim da erzählt, ist teils auch auf andere Machtverhältnisse anwendbar. Und: Der Roman ist auf bitterböse Art lustig.

Nein, auf Romane aus den USA will ich nicht verzichten, denke ich. Romanautorinnen und -autoren sind ja auch so selten Republikaner, denke ich. Wir müssen doch die Meinungsvielfalt ennet dem Atlantik aufrechterhalten helfen, denke ich. Ich will nach „James“ auch Mark Twain’s „Abenteuer von Huckleberry Finn“ wieder mal lesen. Dieses Buch werde ich mir aber doch in der Bibliothek besorgen. Und danach werden wir dann sehen, wie teuer uns die Förderung der US-Meinungsvielfalt zu stehen kommt.

Schweizerdeutsch 27: Falsche Freunde

schtärnsverrockt (Adj.)

Standarddeutsch: sehr wütend, rasend

Achtung: Wer denkt, „verrockt“ sei Schweizerdeutsch für „verrückt“, sitzt einem falschen Freund auf; „verrockt“ heisst bei uns stets „wütend“. Wollen wir dagegen mitteilen, dass jemand nicht alle Tassen im Schrank hat, sagen wir: „är schpennt“.

Quelle: istockphoto.com

Immer wieder bin ich versucht, meine Schweizerdeutsch-Lektiönli mit dem Irrsinn in den USA in Verbindung zu bringen. Aber dann ist mir meine Muttersprache dafür doch zu liebevoll, zu harmlos oder zu schade. Diesmal jedoch bin ich schtärnsverrockt über den orangen Koloss in Washington und seinen Adlaten, J. D. Vance. Wenn die beiden nicht mehr Freunde der Ukraine sein wollen, sollen sie es bitte einfach sagen und nicht Wolodimir Selenski im Weissen Haus vor der Weltöffentlichkeit abkanzeln. „Wer settigi Frönde hed, brucht keni Fende“, pflegte mein Freund, Carlito in solchen Lebenslagen zu sagen: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde.

Schweizerdeutsch 20: Zankereien

Zum Schtriite bruchts immer zwöi.

Auf Standarddeutsch: „Zum Streiten braucht’s immer zwei.“

Erläuterungen: Mein kleiner Bruder und ich waren als Kinder ein streitsüchtiges Gespann. Wenn wir schliesslich sogar über die Frage zankten, wer angefangen hatte, pflegte meine Mutter den obigen Satz zu sagen. Daran habe ich lange Jahre geglaubt und bei jedem Streit versucht, beide Seiten zu sehen. Heute frage ich mich oft schon im Kleinen: Stimmt der Satz wirklich? Oder ist der Angreifer einfach ein Rüpel, der reinhaut, weil er es eben kann?

Wenn es um die globale Gemengelage geht, dann kann ich im Moment  nur Herfried Münklers „Welt in Aufruhr“ empfehlen: Münkler ist sachlich. Er geht von der Position aus, dass kriegführende Staatsoberhäupter einen Plan haben und ihre eigenen Motive verstehen. Auch wenn mein Bruder, auf dessen politisches Urteil ich mich mittlerweile gerne stütze, sagt: „Donald Trump hat keinen Plan. Er hat keine Ahnung, was er tut.“

Warum ich aufgehört habe, über Donald Trump zu diskutieren

Wenn Gespräche auf Donald Trump kommen, fühlte ich mich in letzter Zeit merkwürdig an die Pandemie erinnert. Ich höre Sätze, die klingen wie damals, als viele sagten: „Ach, das ist nur eine Grippe, das hatten wir doch auch schon!“ Der schmerzliche Unterschied ist: Damals kamen solche Sätze von Leuten, von deren Urteil ich eh wenig hielt. Jetzt kommen sie zum Teil von Freunden, vor deren Meinung ich jahrzehntelang grossen Respekt hatte. Sie sagen: „Donald Trump? Ach Gott, früher war es doch auch schlimm! Da hatten wir den Kalten Krieg und dann den Neoliberalismus.“ Hä?! Oder: „Ach, Du hast doch zu viel doomgescrollt!“ Nein, mein Lieber, ich habe nicht zu viel doomgescrollt. Ich habe mir einen erheblichen Wissenvorsprung verschafft, während Du Krimis geguckt hast!

Dennoch bin ich nicht ganz sicher, ob nicht doch ich in diesen Diskussionen die Querdenkerin bin. Ich war jedenfalls fast so unglücklich über die Schweizer Berichterstattung zu den US-Wahlen wie seinerzeit die Covidskeptiker bei ihrem Thema. Ich fand unsere Medien verharmlosend, weichgespült oder dann schockierend weit rechts. Das alles wäre einfacher zu ertragen gewesen, wenn ich knapp hätte artikulieren können, was ich an all dem so unerträglich finde.

Letzten Samstag las ich dann in der Republik die Samstagskolumne von Daniel Binswanger zur kommenden Trump-Ära, hier der Link. Sein Fazit: „Die US-Demokratie führt gerade mit krudest­möglicher Deutlichkeit vor Augen, dass auf die politischen Mechanismen zur Herstellung von sozialem Ausgleich und minimalster gesellschaftlicher Solidarität überhaupt kein Verlass mehr ist.“ Er findet Worte für genau das, was mich seit Wochen umtreibt. Ich atme erleichtert auf und witzle: „Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor mir der Binswanger sagt, wie man es in Worte fasst?!“ Der Polit-Kolumnist der „Republik“ sagt übrigens auch, was das für Europa bedeutet und ob wir in der Schweiz noch Hoffnung haben können. Sehr zur Lektüre empfohlen.

Der Mississippi-Mythos

Ungefähr so sieht der Mississippi in meiner Erinnerung aus (Quelle: www.nature.org)

Allen herzlichen Dank für die Kommentare zum Mississippi-Beitrag von gestern! Nicht nur Christiane Rösinger und ich sind der Mississippi-Magie verfallen, so viel ist nun klar! Ja, Mississippi ist ein wohlklingendes Wort – deshalb und aus vielen anderen Gründen wurde der Ol‘ Man River wohl so oft besungen, ist einer der ganz grossen Mythen der USA. Er ist der alte Mann, der immer weiterfliesst, von der leidvollen Maloche der Schwarzen an seinem Ufer völlig unbeeindruckt. Ein Symbol für die Gleichgültigkeit der Natur gegenüber den Menschen, für Dauerhaftigkeit und ewige Veränderung zugleich.

Auch per Whatsapp habe ich eine Rückmeldung mit Lieblingssong bekommen: „The River“ von Bruce Springsteen. Auch ich hätte „The River“ als meinen zweitliebsten Mississippi-Song bezeichnet. Ironischerweise ist der titelgebende Fluss aber wohl nicht der Mississippi, sondern der Conemaugh River in Johnstown, Pennsylvania. Doch egal: Auch der Conemaugh River mündet in einen Fluss, der im Mississippi mündet. Auch hier: Der Fluss als Ort, der bleibt, der einen sein ganzes, unerfülltes Leben lang an die Träume erinnert, die man einst hatte.

Mein meistgeliebter Mississippi-Song ist aber „When the Levee Breaks“. Von Led Zeppelin zur verstörenden Rock-Apokalypse gemacht (hier der Link zum Song), handelt es sich eigentlich um einen Blues-Klassiker aus den 1920er-Jahren (hier die Version von Memphis Minnie von 1929). Er erinnert an die grosse Flut im Mississippi-Delta im Jahre 1927. „Die ganze Nacht sass ich auf dem Deich und habe gestöhnt. Wenn der Deich bricht, haben wir kein Zuhause mehr.“ Man denkt in diesen Tagen an Österreich, an Italien, an Polen.

All diese Songs höre ich heute leider nur noch als sinnlosen Geräuschbrei. Aber ich erinnere mich an einen Tag Anfang Juli 2005, als Herr T. und ich von New Orleans nach Chicago flogen. Herr T. liess mich am Fenster sitzen, und so sah ich unter mir den Mississippi wie eine silbrig-braune, riesige Schlange, die sich durch ein riesiges, rötliches Amerika wand. Das ist meine eigene Teilhabe am grossen Mississippi-Mythos, die mir bleibt.

Aber je länger ich darüber nachdenke, desto besser verstehe ich, dass Stefanie Sargnagel simple Teilhabe am Mississippi-Mythos zu billig ist. Dass sie sich nicht erheben lassen und dabei übersehen will, dass im Grunde alles ganz anders ist. Dass die USA ein ziemlich kaputtes Land sind.