Hier habe ich über Oligarchen – vor allem russische – in London geschrieben. Aber man soll ja nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen. Deshalb habe ich damals versprochen, dass ich auch noch einen Beitrag über russische Kleptokraten und Kleptokratengelder in der Schweiz verfassen werde. Um es gleich transparent zu machen: Ich bin Schweizerin, lebe in der Schweiz und bin in Finanzfragen eine blutige Amateurin. Für diese Recherche stand mir das Internet zur Verfügung, und ich verfolge das Mediengeschehen meist aufmerksam. Wenn man das tut, läuft man schnell Gefahr, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen. Täglich liest liest und hört man Geschichten über Oligarchengelder in der Schweiz. Seit Wochen drehe ich mich bei der Frage im Kreis, wie ich das alles einordnen soll. Ich meine: Na klar ist die Schweiz involviert! Klar liegen auf Schweizer Banken Milliarden und Milliarden von Oligarchengeldern! Klar, dass hier andererseits viele jeden möglichen Beitrag dazu leisten möchten, dass das Morden in der Ukraine aufhört!
7,5 Milliarden Schweizer Franken wurden bereits blockiert, heisst es. Aber ist das genug? Und wenn es nicht genug ist: Wer verhindert, dass es mehr wird? Es ist kompliziert. Ich weiss es nicht.
Klar werden hier schmierige Geschäfte gemacht. Klar leben russische Oligarchen in der Schweiz, unter ihnen Andrei Melnitschenko, sanktioniert und Gründer der in einigen Ländern (nicht in der Schweiz) sanktionierten Firma Eurochem. Bevor er sanktioniert wurde, hat er die Bude seiner Ehefrau überschrieben, aber diese wurde dann auch sanktioniert. Das Unternehmen kann bei den Schweizer Grossbanken keine Geschäfte mehr machen. Eine missliche Lage, nicht? Heinz Tännler, Finanzminister des steuergünstigen Kantons Zug, wollte der Firmeneignerin aus der Patsche helfen. Er nahm flugs den Telefonhörer in die Hand und bat bei der Zuger Kantonalbank um ein Konto für Eurochem. Er hat dort gute Beziehungen, denn der Kanton Zug ist Mehrheitsaktionär der Bank. Man kann das hier genauer nachlesen, und, ja, das halte ich für ein schmieriges Geschäft. Aber ist es illegal? Ich weiss es nicht.
Der einflussreiche angelsächsische Financier Bill Browder zeigt mit dem Finger nicht nur auf das Schweizer Finanzwesen, sondern auch auf die Bundesanwaltschaft: „Die Schweizer Justiz ist korrupt“, sagte er hier. Er will sogar drei ehemalige Mitglieder der Bundesanwaltschaft auf die Sanktionsliste der USA setzen lassen. Ich finde das ungeheuerlich, und wir alle sollten es ungeheuerlich finden. Hey, die Integrität unserer höchsten Strafverfolgungsbehörde ist in Frage gestellt! Wir sollten die Kommentarspalten unserer Zeitungen mit Fragen fluten! Wir sollten vor unseren Regierungsgebäuden sitzen, meinetwegen mit Transparenten in der Hand, bis unsere Fragen beantwortet sind! Wir sollten unsere Parlamentarierinnen mit Forderungen an die Regierung zutexten!
Aber niemand demonstriert, nur wenige schreiben in die Kommentarspalten. Was genau ist hier los? Naja, darüber werde ich wohl in einem weiteren Beitrag nachdenken müssen.
Die Schweizer Banken machen einfach weiter als ob nichts wäre, wie diese Recherche des Tagesanzeigers zeigt:
https://www.tagesanzeiger.ch/leck-zu-schweizer-bankgeschaeften-ein-beamter-putins-sponsert-den-krieg-seine-familie-schaffte-millionen-in-die-schweiz-575763293058
(Leider hinter der Bezahlschranke)
Aber der Podcast zu dieser Geschichte ist online zu hören:
https://www.tagesanzeiger.ch/apropos-der-taegliche-podcast-der-beamte-von-putin-und-millionen-auf-schweizer-banken-642907850340
Oh, danke, lieber Kulturflaneur! Wir haben es ja immer befürchtet. Nicht nur der Autor fragt: Wie kann das sein?! Schrecklich!