Es guets Nöis
Oder, auf Hochdeutsch und diesmal: Ich wünsche allen, die ab und zu hier landen, ein heiteres, sorgloses Jahr 2025.
Es guets Nöis
Oder, auf Hochdeutsch und diesmal: Ich wünsche allen, die ab und zu hier landen, ein heiteres, sorgloses Jahr 2025.
„tüüssele“ (V)
auf Hochdeutsch: sich auf leisen Sohlen herbei- oder davonstehlen, ganz sachte auf den Zehenspitzen gehen.
24. Dezember: Während die Kinder, vom Papa abgelenkt, mit Bauklötzen spielen, passiert hinter ihrem Rücken Unerhörtes: Das Christkind tüüsseled mit einem Arm voller Geschenke in die Stube. Dort wartet Mama, nimmt dem Christkind leise die Päckli ab und legt sie unters Bäumchen. Das Christkind macht sich über den Balkon davon, dann ruft die Mama die Kinder in die Stube, und – „Oh, Du fröhliche!“ – da steht das Bäumchen, erleuchtet von ganz vielen Christbaumkerzen!
So war das bei uns.
Frohe, leuchtende Weihnachtstage wünsche ich Euch allen!
Vor ein paar Jahren machte ich mit meiner Freundin Helga in Deutschland einen Ausflug nach Speyer. Sie zeigte mir den goldenen Hut im Museum, dann schlenderten wir zum Auto zurück. „Dort hinten liegt der Rhein“, sagte sie beiläufig. Ich sofort: „Oh, da will ich unbedingt hin!“ Sie sah mich befremdet an. „Da gibt es aber nicht viel zu sehen“, meinte sie. „Das ist einfach ein Fluss.“ Ich grinste: „Du bist kein sehr reisefreudiger Mensch, oder?“ Ich gab keine Ruhe, bis wir am Rhein standen und ich die Hand ins Wasser getaucht hatte. Mich beglückte die Vorstellung, vielleicht einen Tropfen am Finger zu haben, der 350 Kilometer flussaufwärts durch meine Heimatstadt Luzern geflossen war. Denn durch meine Heimatstadt fliesst die Reuss, und die wiederum mündet bei Brugg im Aargau in die Aare – und die wiederum etwas weiter nördlich in den Rhein.
Die Episode ging mir durch den Kopf, als ich „Iowa“ von Stefanie Sargnagel las. Die 38-jährige Autorin schildert darin ihren „Ausflug nach Amerika“ mit der Musikerin Christiane Rösinger im Jahre 2022. Zunächst sitzen die beiden in einem Unort namens Grinnell fest. Aber dann werden sie eines Autos habhaft, und plötzlich tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf. Bei näherer Betrachtung klingen allerdings auch diese Möglichkeiten recht banal, halt das, was die Touristin so macht. Bis die Idee auftaucht, an den Mississippi zu fahren. „Mit einem Mal verklärt sich Christianes Blick“, schreibt Sargnagel (S. 137). „Etwas ist entfacht“ bei der Freundin. Stefanie erwidert trocken: „‚Ok, dann machen wir Mississippi, ist notiert.'“
Das tun sie dann auch. Sie erreichen den Strom bei Dubuque im Staate Iowa. Dort ist Christiane „glücklich und streckt ihre Nase in den Wind“. Stefanie dagegen findet alles hier „zubetoniert und deprimierend“ und hat auch noch Menstruationsschmerzen. Sie reisst sich dann aber zusammen und erzählt eine magische Anekdote über Christiane und den Fluss und die Pelikane am Fluss, die sie vielleicht gesehen haben und vielleicht auch nicht. Warum nur fühlen manche Menschen den Sog, den nur schon der Name eines Flusses haben kann und manche nicht?
Stefanie Sargnagel: „Iowa – ein Ausflug nach Amerika“, Rowohlt Verlag, 2. Auflage, 2024
Brest ist eine ehrliche Stadt, keine Sommerferienidylle. Die Gegend um den Bahnhof ist eine einzige Baustelle. Windstösse rempeln uns an, und hier lernen wir la bruine kennen, jenen Regen, der nicht fällt und doch die Brillengläser mit Tröpfchen besetzt. Die Paradestrasse Rue de Siam ist am Sonntag fast leer, Bettelnde warten vergebens. Wo sind bloss die Sonntagsspaziergänger?
Wir finden sie auf einer endlos langen Hafenmole. Dort tummeln sich Menschen mit ihren Hunden, zahlreiche Angler und drei junge Anglerinnen, Jogger, die Kinder der Angler mit Fahrrädern, Seebären und ein paar Schaulustige wie wir. Die wenigsten haben Aufhebens um ihr Styling gemacht. Es gibt dennoch allerhand zu sehen. Die bescheidenen Fänge in den Angeleimern. Den Tanker, der aus dem riesigen, leeren Hafen zieht, begleitet von einem Lotsenboot. Die Hundehaufen, die man nicht übersehen sollte. Die Stadtbehörden haben zwar Schablonenbilder mit einem sich versäubernden Hund auf den Asphalt gesprayt. Der Hund grinst und sagt: „Mon maître ramasse“*. Auch Angeln ist verboten. Das kümmert hier niemanden.
*Mein Herrchen sammelt meine Kacke ein.
Im Spätsommer 1990 waren mein damaliger Liebster Konrad und ich nach mehr als 100 Radkilometern am Ziel: in Aberdaron, an einem der äussersten Nordwestzipfel von Wales. Wir verbrachten dort ein paar Tage mit meinem Freund Peter Cadle in einem Haus auf dem Hügel. In meiner Erinnerung ist der Sand dort strahlend hell. Aber es muss auch ein paarmal geregnet haben. Denn wir standen viele Stunden lang am Pool-Tisch im Pub.
Im Haus auf dem Hügel waren wir zu fünft, und es gab eine einzige Regel: Wer hier zu Gast ist, muss mindestens einmal abends kochen. Damals war ich eine halbwegs kompetente Köchin, dennoch standen Konrad und ich vor einer Herausforderung. Denn Peter war Vegetarier, eine der Frauen dort vegan und eine weitere ass keinerlei Früchte. Das zog einen breiten Strich durch fast alles, was wir beiden so im Repertoire hatten.
Wir entschlossen uns, Bohneneintopf zu machen. Wir fanden sogar riesige, getrocknete, Butterbohnen im Dorfladen. Wir hätten sie am Vorabend unseres Kochtermins in Salzwasser einlegen sollen, taten es aber erst am nächsten Nachmittag um 16 Uhr. So gab es an jenem Tag erst gegen 21.30 Uhr Dinner. Und die Bohnen waren immer noch nicht ganz weich.
Dennoch: Man verzieh uns, es wurde ein heiterer Abend. Es waren die Thatcher-Jahre. Wir diskutierten über die Poll Tax-Demos. Und Peter korrigierte auf liebenswürdige Weise mein Englisch, um mir weitere Peinlichkeiten zu ersparen: „Pass auf, ‚backside‘ heisst: ‚der Hintern‘! Wenn du von der Hinterseite des Hauses sprichst, ist es einfach ‚the back‘!“ Es war eine wunderbare Gesellschaft.
Die Geschichte eignet sich auch, um zu erörtern, welche Reise-Momente zumindest mir oft nach vielen Jahren noch erinnerlich sind: ungewöhnliche Begegnungen oder besondere Treffen mit Freunden, klar. Aber bei Peter habe ich ganze Wochen in London verbracht, doch nur die Episode in Wales habe ich noch glasklar vor mir. Wir erinnern uns wohl eben auch gerne an Herausforderungen, die wir gemeistert haben, wenn auch vielleicht nicht mit Bestnoten. Bei den einen mag es eine Bergbesteigung sein. Bei mir war es halt der Bohneneintopf. Und dann habe ich mir die Episode wohl auch gemerkt, um es bei einem nächsten Mal besser zu machen, sprich: die Butterbohnen rechtzeitig einzulegen.
Schliesslich gibt es das, was ich mittlerweile den Obelix-Moment nenne. Ihr wisst schon, Obelix, der Gallier, der auf seinen Reisen ins Ausland die Gewohnheiten der Menschen beobachtet und immer wieder sagt: „Die spinnen, die Römer!“ Oder: „Die spinnen, die Briten!“ In Aberdaron hatte ich den Obelix-Moment angesichts der für uns skurrilen Essgewohnheiten unserer britischen Freunde. Obelix-Momente eignen sich auch hervorragend zur Unterhaltung einer Abendgesellschaft in der Heimat. So habe ich diese Anekdote oft wiedererzählt und dabei wohl neu im Gedächtnis abgespeichert.
Doch manche Obelix-Momente gehen tiefer. Ich glaube, sie sagen uns etwas darüber, wer wir sind und wie wir leben oder leben wollen. Über dieses Thema könnte ich Seiten füllen. Aber ich glaube, es reicht, wenn ich sage: In jenen Tagen habe ich gelebt, wie ich leben wollte – und ich hoffe, dass ich sie bis an mein Lebensende nicht vergessen werde.
Wir stiegen hoch in unser Zimmer im Dachgeschoss des Hotels in Caernarfon. Ich dachte: „Nun ja, das Gute an einer ausgebrannten Hotelküche ist, dass sie wahrscheinlich kein zweites Mal ausbrennen wird.“ Dann legten wir uns ins Bett und ich zog die Decke über den Kopf. „Hier ist meine Insel, hier fühle ich mich sicher“, sagte ich mir. Dann schlief ich ein. Am nächsten Morgen hatte Regen den Möwenkot an unserem Fenster beinahe abgewaschen. Und ich hatte begriffen, dass es auf dieser Reise an den raueren Orten nur eins gibt: Inseln der Geborgenheit suchen; das Schöne finden. Und ich muss jetzt auch einfach sagen: Wir haben immer wieder freundliche Leute getroffen, die uns dabei geholfen haben. Ich habe sie umso mehr schätzen gelernt.
Wir fanden: Das Caffi Maes, auf dem Schlossplatz, wo uns eine junge Frau mit regenbogenfarbig geschminkten Augen das Frühstück servierte – es war Pride Month. Dort lernten wir unsere erste kymrische Vokabel: „Caffi“ heisst Café.
Wir fanden einen tollen Spazierweg entlang der Meerenge von Menai, auf einem ehemaligen Eisenbahngleis, den Lôn Las Menai.
Die Meerenge ist auf dem Bild oben gerade nicht zu sehen. Sie ist auch nicht sehr fotogen, es handelt sich einfach um einen breiten Meerwasserstreifen, der Nordwales und die Insel Anglesey trennt. Aber für uns zwei Binnenländer war sie ein faszinierendes Gewässer, wir sammelten dort Muscheln und Schiefersteine. Der Weg ist teils von regenwaldartigem Gehölz umwuchert, so dicht und dunkel wie ich es noch selten gesehen habe. Als dann wieder Regen einsetzte, waren wir an einem kleinen Hafen namens Y Felinheli angelangt. Dort fanden wir schnell eine Bushaltestelle mit Wind- und Wetterschutz, und innert zehn Minuten fand uns ein Bus.
In der sehr charmanten Altstadt von Caernarfon, an der Palace Street, fand ich einen ausgezeichneten Buchladen, Palas Print, mit einer englischen und einer grossen walisischen Abteilung. Ich verbrachte dort fast eine Stunde und musste am Schluss schwierige Entscheidungen treffen, denn der Platz in meiner Reisetasche war beschränkt. Ich fand ausserdem einen Souvenirladen, der mir eine Teetasse mit dem walisischen Wappentier verkaufte, einem roten Drachen, in den ich mich ein wenig verguckt hatte. Er ist ein Symbol für den Unabhängigkeitswillen der Menschen in Wales.
Mein Lieblingsplatz aber wurde die Stelle, wo der River Seiont in die Meerenge mündet. Dort trennt eine Fussgänger-Drehbrücke aus dem Industriezeitalter den Hafen vom Meer. Manchmal schrillt auf der Brücke der Alarm, alle müssen sie verlassen, und sie quietscht und knarzt und öffnet sich. Dann zieht ein halbes Dutzend Segelboote in Gänseformation hintereinander ins Meer. Sie liegen schon im Hafen in Wartestellung, bei Ebbe auf ihren Keilen im Schlick.
Gegenüber steht das Schloss, erbaut vom König Edward I. und auch Aufenthaltsort der Königin Eleanor, der ich anderswo schon einen Beitrag gewidmet habe. Hier brachte sie den ersten englischen Prince of Wales zur Welt, den späteren Edward II. Die Ausstellung über sie im Schloss hebt hervor, dass Eleanor 19 Kinder zur Welt brachte, von denen nur sechs sie überlebten. Seither weiss ich, weshalb die Gebärerin unter den Bienen „Königin“ heisst.
Als wir am nächsten Tag Richtung Süden aufbrachen, stellte ich überrascht fest: Die Stadt ist mir ein bisschen ans Herz gewachsen.
Herr T. hat dann doch kein Covid-19 bekommen, und mittlerweile sind meine Blutwerte wieder beinahe normal. Essen schmeckt wieder besser, und gestern habe ich einen langen Spaziergang mit dem Pedestrian gemacht. Ich bin dafür sogar in einen nicht allzu vollen Überlandbus gestiegen und habe mich dem in der Schweiz stets spürbaren Druck gebeugt, dabei keine Maske zu tragen. „Bin ich jetzt gerettet?“ frage ich mich. Mir ist klar: Sicher sein werde ich vielleicht nie.
Täglich tue ich zwei Dinge: Ich gehe hinaus auf den Südbalkon und betrachte unser Kumquat-Bäumchen, das dieses Jahr zum ersten Mal geblüht hat. Ich betrachte die grünen Knöllchen, die zurückgeblieben sind und frage mich: Werden daraus orange Früchte werden? Werden sie vielleicht sogar reif? Und mit der gleichen Mischung aus Neugier, Freude und Ungeduld lüfte ich den Turban auf meinem Kopf, zupfe an einem der noch spärlichen Stoppel und frage mich: Bekomme ich jetzt wieder Haare?
Flaneurin Frogg wird von der Wucht des langersehnten Gewitters überrascht. Als um 17.45 Uhr ein Platzregen einsetzt, muss sie unter einem grossen Vordach auf den Bahnhofplatz Schutz suchen. Ein Moment des Innehaltens mit bester Sicht auf den Verkehrsknotenpunkt. Regen peitscht den Asphalt, vermischt mit Hagelkörnern. Es blitzt und donnert, es schäumt am Trottoirrand. Es ist grossartig.
Zwei Autospuren stadtauswärts sind fast sofort überschwemmt. Stoisch kämpft sich der Feierabendverkehr durch die Elemente. Während ich so zuschaue, verstehe ich, weshalb hierzulande jede, die etwas auf sich hält, mit Vierradantrieb unterwegs ist: Auf so einem Bahnhofplatz kann man bei Gewitter Wasserfluten aufspritzen lassen als würde man in einem Wasserloch in der Kalahari mit Nilpferden herumtollen. Es muss eine Freude sein! Mich treffen die Fontänen nicht, ich stehe in sicherer Distanz, andere zu Fuss Gehende schon.
Ein paar verdutzte Touristen irren in den Unterstand, schauen unschlüssig ins Schaufenster des jetzt schon hell beleuchteten Schmuckladens. Wenn wir in dieser Stadt dann zu wenig Strom haben, gibt es hier erfreulich viel Sparpotenzial.
Durch den Regen radelt ein Mädchen lächelnd auf die Brücke zu. Überhaupt: Auffallend viele junge Menschen sind ohne Schirm unterwegs, T-Shirts kleben ihnen am Leib, ihre Augen sind weit offen.
Um 18 Uhr ist alles vorbei. Als ich noch zum Coop einkaufen gehe, zerren mich kleine Windstösse an den Armen hierhin und dorthin.
Ich habe gerade das dringende Bedürfnis, mich ein wenig zu vergnügen. Deshalb habe ein Buch zu lesen begonnen, auf dessen erheiternde Wirkung ich mich in jungen Jahren verlassen konnte: Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis“. Ich war nicht sicher, ob es bei Frau Frogg Ü50 noch funktioniert, aber siehe da: Auf Seite 52 brach ich in derart schallendes Gelächter aus, dass Herr T. verwundert aufsah.
Für alle, die die Story nicht kennen: Sie erzählt die Geschichte des ahnungslosen Erdenbewohners Arthur Dent, der eines Donnerstagsmorgens von einem intergalaktischen Freund auf eine aberwitzige Reise durchs All entführt wird. So um die Seite 50 haben die beiden ihre erste Mitfahrgelegenheit in einem riesigen Raumschiff gekapert. Doch Arthur versteht von der Lautsprecher-Durchsage des Kapitäns nur ein sehr beunruhigendes: „Heul heul gurgel heul gurgel heul.“ Meinen schwerhörigen Leserinnen und Lesern wird dieses Problem bekannt vorkommen. Arthur Dent ist jedoch nicht schwerhörig, sondern er versteht kein Vogonisch, und Vogonisch ist die Sprache des Raumschiffkapitäns.
Aber nun bekommt Arthur von seinem Freund einen kleinen, gelben Fisch ins Ohr gesteckt, einen so genannten Babelfisch. Und sogleich verwandelt sich das Gegurgel in seinem Ohr in annähernd normales Deutsch. Auch dieses Phänomen kennen wir Schwerhörigen. Wir erleben es zum Beispiel, wenn wir passende Hörgeräte anziehen. Dieses plötzlich wieder klare Hören kann ein geradezu überschäumendes Glücksgefühl auslösen.
Der Babelfisch aber ist, so lesen wir auf Seite 52, kein Gerät, sondern ein Lebewesen: ein für Galaxis-Reisende derart „unfassbar nützliches“ Produkt der Evolution, dass „einige Denker ihn als schlüssigen und endgültigen Beweis der NICHT-Existenz Gottes sehen.“ (S. 52)
Das Argument geht ungefähr so: „Gott sagt: Ich weigere mich zu beweisen, dass ich existiere. Denn ist dieser Beweis einmal erbracht, braucht es den Glauben nicht mehr, und ohne Glauben bin ich nichts.“ Aber, so antwortet der Mensch: „Der Babelfisch ist ein todsicheres Zeichen, nicht wahr? Er kann sich nicht durch Zufall entwickelt haben. Er beweist, dass Du existierst, und daher existierst Du eben gemäss Deinem eigenen Argument nicht. QED.“ An dieser Stelle setzte mein Gelächter ein, weil mich die Passage an die mittelalterlichen Gottesbeweise erinnerte, die wir in den Philosophiestunden am Gymnasium lernten. Erwartet man so etwas in einem Science Fiction-Roman?
Ich lachte aber auch, weil ich zweifelsfrei feststellte, dass man die ganze Sache auch genau umgekehrt sehen kann: Soweit wir wissen, gibt es in der ganzen Galaxis keinen Babelfisch für Schwerhörige. Für uns hält das Universum also keine „unfassbar nützliche“ Lösung unserer Probleme bereit, nur mehr oder weniger taugliche Hörgeräte. Heisst das möglicherweise, dass es doch einen Gott gibt?
Zitate aus Douglas Adamas: „The Hitch Hiker’s Guide to the Galaxy – a Trilogy in Four Parts“, London, William Heinemann Ltd., 1979 (Übersetzung der Zitate von Babelfröschin Frogg). Hier geht’s zu einem YouTube-Ausschnitt der Verfilmung von 2005 mit Martin Freeman als Arthur Dent.
Auf Flüeli-Ranft, einem winzigen Dorf in den Innerschweizer Bergen, lebte unser Nationalheiliger. Er hiess Niklaus von Flüe. Auf keinen Fall sollte man ihn mit St. Nikolaus mit dem roten Mantel verwechseln. Dieser lebte in Myra, einer Stadt in der heutigen Türkei und war ein wohltätiger und vermutlich auch geselliger Mann. Der schweizerische Bruder Klaus jedoch war Einsiedler, Mystiker und Politberater. Ein Mann des Friedens, ja, aber auch ein asketischer und in vielerlei Hinsicht gequälter Mensch. Manche sagen heute, er sei anorektisch gewesen und habe ein Burn-out durchgemacht.
Wenn man heute „Flüeli-Ranft“ sagt, dann kommen automatisch zwei Reaktionen, und beide lösen bei mir einen Abwehrschauer aus. Zum einen haben unsere Nationalisten den Nationalheiligen vereinnahmt und werfen bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein „Machet den zun nit zuo wit“ in die Runde. „Macht den Zaun nicht zu weit“, heisst das und soll bedeuten, dass die Schweiz neutral bleiben und stets nur den eigenen Nabel beschauen soll, jetzt und in alle Ewigkeit! Wenn man diese Forderung mit dem Zitat eines Heiligen aus dem 15. Jahrhundert untermalen kann, muss man ja auch gar keine Argumente mehr mitliefern, das ist das Praktische daran. Dieses Gelaber macht mich gallig, und vielleicht finde ich es deshalb deplatziert, wenn mir mal wieder jemand sagt, dort oben könne man „schöne spirituelle Erlebnisse haben und wunderbar meditieren“. Heutige Katholiken sagen zwar, Niklaus von Flüe habe das mit dem Zaun gar nie selbst gesagt – und wenn eventuell doch, dann habe er es ganz anders gemeint (hier mehr dazu). Aber wie auch immer: Ich kann nicht nach Flüeli-Ranft gehen, niemand kann nach Flüeli-Ranft gehen, ohne über das Erbe von Bruder Klaus zu grübeln.
Wobei wir gar nicht wegen des Nationalheiligen nach Flüeli-Ranft gingen, sondern eine Tagung von Herrn T.s Klimaspuren-Freunden besuchten. Dass sie dort oben stattfand, hat ebenfalls mit dem Heiligen zu tun: Grüne Katholiken haben sich statt des Geredes über den Zaun die Bewahrung der Schöpfung auf die Fahne geschrieben und im Ranft-Zentrum einen Tagungsort der Nachhaltigkeit geschaffen.
An dieses Treffen zu gehen war für mich eine schwierige Mission. Zwar geht es mir insgesamt erstaunlich gut, und der dreitägige Ausflug bediente meine grosse Sehnsucht nach einer kleinen Reise. Aber ich höre zurzeit so schlecht, dass ich in einem vollen Speisesaal keiner, wirklich keiner Konversation gewachsen bin. Die ersten zwei oder drei Mahlzeiten waren eine einzige Hochnotpeinlichkeit. Diese Angst, dass jemand das Wort an mich richten könnte! Diese Verunsicherung darüber, dass ich mit meinem dunkelblauen Turban zwar auffiel, aber eigentlich nicht da war. So griff ich zu einer ähnlichen Strategie wie schon in Salecina: Ich blieb nur kurz zum Essen, dann flüchtete ich. Diesmal aber nicht nach Hause, sondern hinunter ins enge Tal, zum Einsiedler, dem ich mich auf einmal sehr verwandt fühlte. Das Schild am Zugangsweg kam mir vor wie ein boshafter, kleiner Kalauer, extra für mich gemacht.
Die Pilgerkirche zuunterst war komplett überlaufen, so suchte ich auch von dort das Weite – auch der Eremit hätte es so gemacht. Auf einem lange Spaziergang fand ich meinen eigenen Weg, meine eigenen Gedanken, mein eigenes, vergessenes Kirchlein auf der anderen Talseite. Und am Abend sass ich auf dem Balkon unseres Hotelzimmers, blickte über die Landschaft und – nein, ich meditierte nicht, das wäre übertrieben. Aber ich war einfach glücklich, in dieser überirdisch schönen Landschaft aufgehoben zu sein.
Und dann, am nächsten Tag, beim Mittagessen, gab es eine überraschende, beglückende Wendung in dieser Geschichte.